VfGH B128/03

VfGHB128/0328.2.2005

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags eines nicht zum Zuge gekommenen Mitbieters in einem Vergabeverfahren; Zuständigkeit des Vergabekontrollsenates infolge der in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise rückwirkend angeordneten Weitergeltung einer vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmung im Salzburger Landesvergabegesetz

Normen

B-VG Art83 Abs2
BG BGBl I 99/2002 Art4 (Verfassungsbestimmung betr Nachprüfungsverfahren hinsichtlich oberster Organe der Vollziehung iSd Art19 Abs1 B-VG)
Sbg LandesvergabeG §1 Abs1 Z1
Sbg VergabekontrollG 2002 §32
B-VG Art83 Abs2
BG BGBl I 99/2002 Art4 (Verfassungsbestimmung betr Nachprüfungsverfahren hinsichtlich oberster Organe der Vollziehung iSd Art19 Abs1 B-VG)
Sbg LandesvergabeG §1 Abs1 Z1
Sbg VergabekontrollG 2002 §32

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Salzburg ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Land Salzburg hat im offenen Verfahren den "Ersatz der dezentralen Kopierer bzw. des gesamten dezentralen Druck- und Kopiervolumens" ausgeschrieben. An der Ausschreibung beteiligten sich unter anderem die Beschwerdeführerin sowie die ACP Computer Handels-GmbH (im Folgenden "ACP"). Mit Schreiben vom 18. Oktober 2002 teilte die Auftraggeberin der Beschwerdeführerin mit, dass die ACP "unverbindlich als Bestbieter ausgewählt" wurde und "nach Ablauf einer Frist von 14 Tagen ab Ausstellungsdatum dieses Schreibens mit der Lieferung bzw. Ausführung der Arbeiten beauftragt" wird.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 teilte die Beschwerdeführerin dem Auftraggeber mit, dass sie die Nichtausscheidung zweier Bieter und die Auftragserteilung an die ACP für rechtswidrig halte. Mit Telefax vom 5. November 2002 und Schreiben vom 6. November 2002 teilte das Land Salzburg der Beschwerdeführerin mit, dass sie die Absicht, den Zuschlag ACP zu erteilen, aufrecht halte.

Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin gemäß §6 des Salzburger Landes-Vergabegesetzes (LVergG) mit Eingabe vom 12. November 2002 beim Landeskontrollsenat des Landes Salzburg (im Folgenden: "VKS") einen Nachprüfungsantrag und den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gem. §10 LVergG.

Mit Bescheid vom 19. November 2002 wies der VKS die Anträge wegen Unzuständigkeit zurück. Die Zurückweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2001, G132-136/01 die Wortfolge "das Land" in §1 Abs1 Z. 1 des LVerG, LGBl. Nr. 1/1998, als verfassungswidrig aufgehoben und für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis 30. September 2002 gesetzt habe. Seit diesem Tag sei das LVergG nicht mehr anzuwenden. Dann heißt es im Bescheid:

"In Artikel 4 Abs1 Bundesvergabegesetz 2002 (BGBL. I Nr. 99/2001) findet sich zwar die Verfassungsbestimmung, dass die für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden gesetzlich auch zur Kontrolle der im Artikel 19 Abs1 bezeichneten obersten Organe der Vollziehung berufen werden können. Diese gesetzliche Berufung zur Kontrolle des Auftraggebers 'Land' durch den zuständigen Landesgesetzgeber ist allerdings bislang nicht erfolgt, so dass die Anträge mangels Zuständigkeit des Vergabekontrollsenats für das Land Salzburg zurückzuweisen waren."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft führt aus, dass zwischenzeitig das Salzburger Vergabekontrollgesetz, LGBl. Nr. 103/2002, erlassen worden sei, das in den Übergangsbestimmungen vorsieht, dass das alte Landesvergabegesetz über den 30. September 2002 hinaus bis zum 31. Dezember 2002 Anwendung findet. Der VKS habe seiner Entscheidung eine falsche Rechtslage zu Grunde gelegt. Er hätte das "alte Landesvergabegesetz" anwenden und den Antrag meritorisch behandeln müssen.

Es sei auch unsachlich und verletze daher den Gleichheitssatz, dass Nachprüfungsanträge vor dem 30. September 2002 anders zu behandeln sind als solche, die in dem Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und dem 31. Dezember 2002 eingebracht wurden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2001, VfSlg. 16.327/01 hat der Verfassungsgerichtshof unter anderem die Wortfolge "das Land" in §1 Abs1 Z1 des Gesetzes vom 23. Oktober 1997 über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Landesvergabegesetz, L-VergG, LGBl. für das Land Salzburg Nr. 1/1998), als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. September 2002 in Kraft tritt.

Der persönliche Anwendungsbereich des L-VergG ergab sich aus §1 des Gesetzes, dessen Abs1 Z1 in Zusammenhang mit dem Einleitungssatz lautete:

"(1) Dieses Gesetz gilt für die Vergabe von Aufträgen durch folgende Auftraggeber:

1. das Land, die Gemeinden, die Gemeindeverbände;"

Die Aufhebung wurde unter Hinweis auf die Vorjudikatur damit begründet, dass es verfassungsrechtlich unzulässig sei, eine Verwaltungsbehörde mit der Kompetenz auszustatten, Entscheidungen oberster Organe nachprüfend zu kontrollieren.

Zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens der aufgehobenen Bestimmung (30.9.2002) hatte der Salzburger Landesgesetzgeber keine Ersatzregelung beschlossen. Erst am 16. Oktober 2002 beschloss der Salzburger Landtag das Gesetz über die Nachprüfung der Vergabe von Aufträgen (Salzburger Vergabekontrollgesetz 2002 - S.VKG). Die Kundmachung dieses Gesetzes im Landesgesetzblatt erfolgte erst am 20. Dezember 2002.

Das S.VKG sollte mit 1. Jänner 2003 in Kraft treten (§32 Abs1). Absatz 2 des §32 sah folgende Übergangsbestimmung vor:

§32.

"(2) Gleichzeitig tritt das Landesvergabegesetz, LGBl Nr 1/1998, in der Fassung der Gesetze LGBl Nr 99/2000 und 46/2001 sowie der Kundmachungen LGBl Nr 107/2001, 37/2002 und 80/2002 außer Kraft. (Verfassungsbestimmung) Die Aufhebung des §7 Abs4 steht im Verfassungsrang. Vorbehaltlich der Bestimmung des Abs4 findet das Landesvergabegesetz über den 30. September 2002 hinaus bis zum Außerkrafttreten auch auf Vergaben des Landes Anwendung."

Art 4 des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002 lautet:

"Art 4 (Verfassungsbestimmung)

(1) Die für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden können gesetzlich auch zur Kontrolle der in Art19 Abs1 bezeichneten obersten Organe der Vollziehung, der Gemeinden und Gemeindeverbände und von Privaten berufen werden.

(2) Abs1 tritt mit 1. September 2002 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2002 außer Kraft."

2. Im Beschwerdeverfahren gemäß Art144 B-VG ist von jener Rechtslage auszugehen, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bestanden hat (vgl. VfSlg. 2009/1950), es sei denn, die Rechtslage wird rückwirkend auf einen vor Erlassung des Bescheides liegenden Zeitpunkt geändert. In diesem Fall ist der angefochtene Bescheid an der rückwirkend geschaffenen Rechtslage zu messen (vgl. VfGH 29.11.2003, B1538/02 u.a. und die dort genannte weitere Judikatur).

Der angefochtene Bescheid stammt vom 19. November 2002, liegt also zeitlich zwischen der Beschlussfassung des Landtages über das S.VKG und der Kundmachung dieses Gesetzes. Die Übergangsbestimmung des §32 Abs2 S.VKG sieht jedoch vor, dass das LVergG über den 30. September 2002 hinaus bis zum 31. Dezember 2002 auch auf Vergaben des Landes Anwendung findet. Auch wenn das S.VKG erst nach Bescheiderlassung kundgemacht wurde, ist der angefochtene Bescheid vom 19. November 2002 an der in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (Art4 des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002) rückwirkend angeordneten Weitergeltung der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmung zu messen, wonach der VKS auch für die Nachprüfung von Vergaben des Landes zuständig ist.

Die Zurückweisung der Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft ist rechtswidrig. Sie ist somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 180,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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