Normen
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
KommAustria-G §10
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
KommAustria-G §10
Spruch:
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 1.962,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Kommunikationsbehörde Austria vom 30. Juli 2003 wurde dem Österreichischen Rundfunk (ORF) gemäß §10 Abs7 des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria ("KommAustria") und eines Bundeskommunikationssenates (KommAustria-Gesetz - KOG), BGBl. I Nr. 32/2001, ein Finanzierungsbeitrag zur Finanzierung des Aufwandes der "Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH" (RTR-GmbH) für das
2. Quartal 2003 in bestimmter Höhe vorgeschrieben.
2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Bundeskommunikationssenates vom 11. September 2003 nicht stattgegeben. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die beschwerdeführende Partei ein in Österreich niedergelassener Rundfunkveranstalter iSd. §10 Abs2 KOG idF ArtIII des BG BGBl. I Nr. 70/2003 und daher dem Grunde nach zur Leistung von Finanzierungsbeiträgen verpflichtet sei. Ob die in der Berufung vorgebrachten verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der Behörde anzuwendenden Gesetzesbestimmungen zutreffen würden, könne dahingestellt bleiben, weil keine verfassungskonforme Interpretation der anzuwendenden Vorschriften in dem von der beschwerdeführenden Partei begehrten Sinn und daher auch kein abweichendes Ergebnis für die Entscheidung der belangten Behörde möglich sei.
3. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in sonstigen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§10 KOG idF ArtIII des BG BGBl. I Nr. 70/2003) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4.1. Der Bundeskommunikationssenat hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet, sondern auf die, in den zu B815/02 und B1076/02 protokollierten Verfahren, abgegebenen Stellungnahmen verwiesen.
4.2. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wurde zu einer Äußerung eingeladen. In der abgegebenen Stellungnahme verweist es ebenfalls auf die, in den zu B815/02 und B1076/02 protokollierten Verfahren, abgegebenen Äußerungen.
4.3. Die beschwerdeführende Partei erstattete in der Folge ein ergänzendes Vorbringen. Dieses nahm das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst zum Anlass, eine weitere Stellungnahme abzugeben, auf welche die beschwerdeführende Partei replizierte. In der Folge erstattete die beschwerdeführende Partei eine weitere ergänzende Stellungnahme.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 7. Oktober 2004 - mit Erkenntnis vom 7. Oktober 2004, G3/04, die die Rundfunkveranstalter bzw. Rundfunkbranche betreffenden Teile des §10 KOG idF ArtI des BG BGBl. I Nr. 32/2001 als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986).
3. Die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Verletzung wegen Anwendung des als verfassungswidrig erachteten §10 KOG idF ArtIII des BG BGBl. I Nr. 70/2003 liegt hier nicht vor, zumal diese Bestimmung im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht präjudiziell ist. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist Präjudizialität zwar dann gegeben, wenn eine Rechtsnorm von der Behörde angewendet wurde oder auch nur anzuwenden war (vgl. zB VfSlg. 5373/1966 und die dort zitierte Vorjudikatur). Die faktische Anwendung einer Vorschrift begründet Präjudizialität jedoch nur dann, wenn die Anwendung denkmöglich erfolgt (VfSlg. 5373/1966, 8999/1980; vgl. auch VfSlg. 9906/1983, 14.595/1996).
Die Anwendung des §10 KOG idF ArtIII des BG BGBl. I Nr. 70/2003 im Bescheid der belangten Behörde erfolgte jedoch auf denkunmögliche Weise. Im Gegensatz zur Behörde erster Instanz, welche die Vorschreibung des Finanzierungsbeitrages für das 2. Quartal 2003 auf §10 KOG idF ArtI des BG BGBl. I Nr. 32/2001 stützte, wendete die belangte Behörde im Hinblick auf die Berufungsentscheidung §10 KOG idF ArtIII des BG BGBl. I Nr. 70/2003 an.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes handelt es sich bei den Finanzierungsbeiträgen zur Finanzierung des Aufwandes der RTR-GmbH um "zeitraumbezogene" Beitragspflichten, weshalb davon auszugehen ist, dass bei der Bescheiderlassung das im konkreten Zeitraum geltende Recht anzuwenden ist (zur von der Rechtsmittelbehörde anzuwendenden Rechtslage vgl. auch die Rsp. des Verwaltungsgerichtshofes in VwSlg. 9315 A/1977, 13.384 A/1991). Entgegen der Auffassung der belangten Behörde hätte diese daher, ebenso wie die Behörde erster Instanz, §10 KOG idF ArtI des BG BGBl. I Nr. 32/2001 anzuwenden gehabt. Dies insbesondere, weil die Novellierung der betreffenden Bestimmung erst am 20. August 2003 - somit nach dem 2. Quartal 2003 - in Kraft getreten ist.
4. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 13. Oktober 2003 eingelangt, war also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im zu G3/04 protokollierten Gesetzesprüfungsverfahren schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde hätte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung anzuwenden gehabt. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind nicht nur jene Bestimmungen präjudiziell, die von der belangten Behörde tatsächlich angewendet wurden, sondern auch jene, welche die Behörde - objektiv betrachtet - anzuwenden gehabt hätte (zur Frage der Präjudizialität vgl. VfSlg. 10.617/1985, 16.262/2001, 16.627/2002). Das ist hier hinsichtlich der aufgehobenen Wortfolgen in §10 KOG idF ArtI des BG BGBl. I Nr. 32/2001 der Fall. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig gewesen wäre. Die beschwerdeführende Partei wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-
enthalten.
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