VfGH B1344/02

VfGHB1344/029.10.2002

Keine Folge für einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes betreffend die Vorschreibung von Wasseranschluß- und Kanalanschlußgebühr; keine innerstaatliche Rechtsgrundlage aber auch keine Verpflichtung kraft Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall

Normen

EG Art242, Art243
VfGG §85 Abs2
EG Art242, Art243
VfGG §85 Abs2

 

Spruch:

Dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit Bescheid vom 28. Mai 2001 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde E dem Beschwerdeführer die Bewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses.

Mit zwei Bescheiden vom 29. November 2001 und vom 4. Dezember 2001 schrieb der Bürgermeister dem Beschwerdeführer eine Wasseranschlußgebühr von S 247.184,08 (€ 17.963,57) und eine Kanalanschlußgebühr von S 375.721,94 (€ 27.304,78) vor. Entsprechend den anzuwendenden Bestimmungen der Wasserleitungsgebührenordnung und der Kanalgebührenordnung wurde dabei die Baumasse des Gebäudes zugrundegelegt, welche der Bürgermeister mit 4.708 m3 annahm.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer Berufungen. Sie wurden mit Bescheiden des Gemeindevorstandes vom 13. Feber 2002 abgewiesen, nachdem bereits der Bürgermeister abweisende Berufungsvorentscheidungen erlassen hatte.

Mit Bescheid vom 22. Juli 2002 wies die Tiroler Landesregierung eine Vorstellung des Beschwerdeführers ab.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde.

2.1. Der Beschwerdeführer vertritt ua. den Standpunkt, daß die Baumasse richtig nur mit 1.726 m3 anzunehmen gewesen wäre, sodaß sich eine Wasseranschlußgebühr von € 6.585,61 (S 90.620,-) und eine Kanalanschlußgebühr von € 10.010,17 (S 137.743,-) ergäben.

2.2. Mit der Beschwerde verbindet der Beschwerdeführer einen "Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß [Art.] 242 bzw. 243 EGV". Er führt aus, er habe in seinen Berufungen Anträge auf Zahlungsaufschub und in seiner Vorstellung einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Die Berufungsbehörde habe diese Anträge gemeinsam mit den Berufungen abgewiesen; die Vorstellungsbehörde habe keine Entscheidung getroffen. Um eine Zwangsvollstreckung zu vermeiden, habe der Beschwerdeführer die Abgabenbeträge gezahlt. Der Beschwerdeführer begehrt "einstweiligen Rechtsschutz" dergestalt, daß der Abgabenbehörde aufgetragen werde, den jedenfalls zu viel gezahlten Betrag von € 31.897,50 samt 4 % Zinsen seit 16. März 2002 bis zur endgültigen Entscheidung zurückzuerstatten. Dieser Betrag ist etwas höher als die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Betrag und jenem, der sich nach den obigen Angaben ergäbe; wie die Beschwerde zu ihm gelangt, führt sie nicht aus.

Da der Beschwerdeführer die Abgabenbeträge bereits gezahlt habe, so führt die Beschwerde weiter aus, sei keine Möglichkeit für einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vor dem Verfassungs- und vor dem Verwaltungsgerichtshof verblieben. Der Europäische Gerichtshof betone jedoch die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes für die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechtes, darunter sei wohl auch die ordnungsgemäße Anwendung nationaler Normen im Lichte des Primär- und Sekundärrechts zu verstehen. Der Europäische Gerichtshof lasse keinen Zweifel daran, daß die Verpflichtung zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für Gerichte unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht folge, sodaß die Abgabenbehörde bzw. die belangte Behörde die Abgabeneinhebung auszusetzen gehabt hätte, "wenn sie Bedenken gegen die Vereinbarkeit von durch sie anzuwendenden Steuer- bzw. Abgabenregelungen mit Gemeinschaftsrecht auch nur andeutungsweise hegt".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung noch auch das VfGG oder die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach §35 VfGG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Zivilprozeßordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung enthalten eine Regelung, die die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, wie sie der Beschwerdeführer begehrt, begründen könnte.

Das bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht. Er meint aber, daß aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes abzuleiten sei, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergebe. Daher hätte der Verfassungsgerichtshof - so meint er der Sache nach - in einem bei ihm anhängigen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, um die volle Wirksamkeit einer allfälligen späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob aus den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des Schutzes von Rechten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuleiten ist, obwohl eine gesetzliche Ermächtigung zur Setzung entsprechender Akte eines Provisorialrechtsschutzes nicht vorhanden ist, eine Frage, die im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Factortame letztlich offen bleibt (vgl. die Beschlüsse VfSlg. 15057/1997, 15788/2000 und 15982/2000; VfGH 14.3.2001, B1224/00). Denn selbst unter der Annahme, daß der Verfassungsgerichtshof zur Erlassung entsprechender einstweiliger Anordnungen zur Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen auch ohne innerstaatliche gesetzliche Kompetenzzuweisung allein kraft Gemeinschaftsrechts berufen sein sollte, würde es im vorliegenden Fall an einer wesentlichen Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung des vom Beschwerdeführer begehrten Inhalts fehlen:

Im vorliegenden Verfahren geht es nämlich nicht um die (vorläufige) Sicherung eines sich für den Beschwerdeführer aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtes (worauf es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Factortame ankommt), sondern um die Sicherung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angewandten generellen Rechtsnormen. Hiefür kann - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - aber aus dem Gemeinschaftsrecht keine Kompetenz zur Erlassung von Beschlüssen durch den Verfassungsgerichtshof abgeleitet werden, die auf einstweiligen Rechtsschutz abzielen.

2. Im einzelnen ist zum Vorbringen der Beschwerde festzuhalten:

Die Beschwerde behauptet zwar ua. auch die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der vorgeschriebenen Abgaben, dies jedoch nicht wegen einer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der angewandten Bestimmungen der Wasserleitungsgebührenordnung oder der Kanalgebührenordnung, sondern wegen der für den Beschwerdeführer fehlenden Möglichkeit einer Rückerstattung, die gar nicht in einer dieser Verordnungen begründet ist und von welcher der Beschwerdeführer - wie er behauptet - in gemeinschaftsrechtswidriger Weise ausgeschlossen sei. Das Rückzahlungsbegehren, das dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes innewohnt, stützt die Beschwerde jedoch, soweit ihr eine Begründung dafür entnommen werden kann, ausschließlich auf die behauptete gesetzwidrige Berechnung der Baumasse. Daß dieser Berechnung eine gemeinschaftsrechtswidrige Vorgangsweise zugrundeliege, wird nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

Daß die Entscheidungen der Tiroler Landesregierung über Wasserleitungs- und Kanalanschlußgebühren nach Art144 B-VG einer - auf die Kontrolle von Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und von Rechten infolge der Anwendung rechtswidriger genereller Normen beschränkten - nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen, ist durch keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift gefordert. Es ist daher zur Durchsetzung der Effektivität des gemeinschaftsrechtlich geforderten Rechtsschutzes ein einstweiliger Rechtsschutz im verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Kontrolle der Bescheide der Tiroler Landesregierung nicht erforderlich.

3. Da somit die Voraussetzungen zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch den Verfassungsgerichtshof nicht vorliegen, war dem darauf zielenden Antrag keine Folge zu geben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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