VfGH G25/01

VfGHG25/0120.6.2001

Aufhebung der Bestimmungen der Wr BauO 1930 über das vereinfachte Baubewilligungsverfahren in der Fassung aus 1998 unter Verweis auf die Vorjudikatur

Normen

B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
Wr BauO 1930 §70a
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
Wr BauO 1930 §70a

 

Spruch:

1. §70a der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 61/1998, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2001 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

2. Der Landeshauptmann für Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt für Wien kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1296/99 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Spruchpunkt II des Bescheides vom 25. Februar 1999 wies der Magistrat der Stadt Wien die von den Nachbarn und nunmehrigen Beschwerdeführern erhobenen Einwendungen gegen die Errichtung einer Wohnhausanlage auf der Liegenschaft in Wien 14, Viktor Hagl-Gasse/Salzwiesengasse, EZ 510, KG Hadersdorf, mit denen die Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte gemäß §134a Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO f Wien) geltend gemacht wurden, gemäß §70a Abs7 iVm §134a Abs1 BO f Wien teils als unbegründet ab, teils als unzulässig zurück. Auf die geplante Wohnhausanlage der BOE Bauobjekt-Entwicklungs-Gesellschaft mbH & Co KG wurde das vereinfachte Baubewilligungsverfahren gemäß §70a BO f Wien angewendet.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführer wies die Bauoberbehörde für Wien mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Juni 1999 ab.

2. §70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 46/1998 (§70a Abs11 trat gemäß ArtI Z20 iVm ArtII Abs1 dieser Novelle mit 3. März 1999 außer Kraft) und LGBl. Nr. 61/1998, der gemäß ArtIV des Gesetzes, mit dem einzelne Bestimmungen der Bauordnung für Wien und des Wiener Kleingartengesetzes 1996 neuerlich beschlossen und kundgemacht werden und die Bauordnung für Wien geändert wird, LGBl. Nr. 61/1998, am 1. Jänner 1999 in Kraft getreten ist, lautet:

"Vereinfachtes Baubewilligungsverfahren

§70a

(1) Wird den Bauplänen und erforderlichen Unterlagen gemäß §63 die im Rahmen seiner Befugnis abgegebene Erklärung eines Ziviltechnikers angeschlossen, daß sie unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verfaßt sind, insbesondere jener, die subjektiv-öffentliche Nachbarrechte (§134a) begründen, und ist weder eine Bewilligung nach §69 erforderlich noch eine Baubewilligung nach §71 ausdrücklich beantragt, findet das vereinfachte Baubewilligungsverfahren Anwendung. Hievon sind ausgenommen:

  1. 1. Grundflächen im Wald- und Wiesengürtel;
  2. 2. Gebiete, für die Bausperre besteht;
  3. 3. Gebiete der Bauklasse VI;
  4. 4. Bauvorhaben, für die eine Grundabteilungsbewilligung erforderlich ist, aber noch nicht vorliegt, sowie Bauvorhaben auf Bauplätzen oder Baulosen, die mit einem Bauverbot behaftet sind;

    5. Gebäude und bauliche Anlagen, deren Höhe 26 m überschreitet;

  1. 6. Sonderbauten;
  2. 7. das Anlegen von Steinbrüchen, Schotter-, Sand-, Lehm- und Tongruben sowie anderer Anlagen zur Ausbeutung des Untergrundes, ferner das Anlegen von Schlacken-, Schutt- und Müllhalden;
  3. 8. bestehende, jedoch nicht bewilligte Bauten;
  4. 9. Bauvorhaben, die sich auf bereits begonnene Bauführungen beziehen und über den Umfang des §60 Abs1 litc hinausgehen.

(2) Enthält die Einreichung entgegen der Bestimmung des Abs1 das Erfordernis der Erwirkung einer Bewilligung nach §69 oder werden die Voraussetzungen des Abs1 Z1 bis 9 nicht erfüllt, hat die Behörde das Baubewilligungsverfahren gemäß §70 durchzuführen; dies ist dem Einreicher innerhalb von drei Monaten ab der Einreichung mitzuteilen.

(3) Auf Grund der vollständig vorgelegten Unterlagen hat die Behörde lediglich zu prüfen:

1. die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und dem Bebauungsplan;

2. die Einhaltung der baulichen Ausnützbarkeit des Bauplatzes beziehungsweise Bauloses;

3. die Einhaltung der bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen;

4. die Einhaltung der Abstände von den Grenzen des Bauplatzes beziehungsweise Bauloses;

5. die Einhaltung der zulässigen Gebäudehöhe, Gebäudeumrisse beziehungsweise Strukturen;

6. die Versorgung mit gesundheitlich einwandfreiem Trinkwasser und die Schmutzwasserentsorgung;

7. die Einhaltung der Bestimmungen über die äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen (§85).

(4) Ergibt die Prüfung nach Abs3, daß die Bauführung unzulässig ist, hat die Behörde binnen drei Monaten ab tatsächlicher Vorlage der vollständigen Unterlagen, in Schutzzonen binnen vier Monaten, die Bauführung mit schriftlichem Bescheid unter Anschluß zweier Ausfertigungen der Baupläne zu untersagen. Wenn außerhalb von Schutzzonen das Bauvorhaben von maßgeblichem Einfluß auf das örtliche Stadtbild und deswegen die Befassung des Fachbeirates für Stadtplanung und Stadtgestaltung erforderlich ist, beträgt die Frist für die Untersagung vier Monate; dies ist dem Einreicher innerhalb der Frist von drei Monaten ab tatsächlicher Vorlage der vollständigen Unterlagen mitzuteilen.

(5) Untersagungsbescheide gemäß Abs4 und Mitteilungen gemäß Abs2 und 4 gelten auch dann als rechtzeitig zugestellt, wenn sie der Behörde wegen Unzustellbarkeit zurückgestellt werden.

(6) Ist das vereinfachte Verfahren gemäß Abs1 zulässig, wurden die Unterlagen vollständig vorgelegt und erfolgt keine Untersagung, darf mit der Bauführung begonnen werden.

(7) Nachbarn (§134 Abs3) können bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs2) Einwendungen im Sinne des §134a vorbringen und damit beantragen, daß die Baubewilligung versagt wird. Vom Zeitpunkt der Erhebung solcher Einwendungen an sind die Nachbarn Parteien. Eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs4) ist ausgeschlossen.

(8) Die Versagung der Baubewilligung hat mit schriftlichem Bescheid unter Anschluß zweier Ausfertigungen der Baupläne zu erfolgen. Wird die Baubewilligung versagt, ist die Bauführung einzustellen.

(9) Erfolgt keine rechtskräftige Versagung der Baubewilligung oder erlangen die Nachbarn keine Parteistellung gemäß Abs7, gilt das Bauvorhaben als mit rechtskräftigem Bescheid gemäß §70 bewilligt. War die Erklärung gemäß Abs1 inhaltlich unrichtig und ergibt sich daraus eine Verletzung von subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten (§134a), ist das Verfahren auf Antrag eines in seinen Nachbarrechten verletzten Nachbarn wieder aufzunehmen, wenn der Nachbar ohne sein Verschulden daran gehindert war, dies gemäß Abs7 geltend zu machen. Eine Wiederaufnahme ist unzulässig, wenn seit der Fertigstellungsanzeige mehr als drei Jahre verstrichen sind. Darüber hinaus ist §137 sinngemäß anzuwenden.

(10) Leistungen, deren Erbringung gesetzlich als Voraussetzung zur Erteilung der Baubewilligung gefordert wird oder die anläßlich der Baubewilligung vorzuschreiben sind, hat die Behörde unmittelbar nach angezeigtem Baubeginn vorzuschreiben. Dies gilt auch für die bescheidmäßige Feststellung, um wieviel die Zahl der Stellplätze hinter dem gesetzlich geforderten Ausmaß zurückbleibt."

3. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 14. Dezember 2000 gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des §70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 61/1998, von Amts wegen zu prüfen.

In seinem Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber §70a BO f Wien anzuwenden hätte.

4. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §70a BO f Wien sind Bedenken entstanden, die sich mit jenen Gründen decken, die zur Feststellung geführt haben, dass §70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997, verfassungswidrig war (siehe beiliegendes Erkenntnis G97/00 vom 12. Dezember 2000).

5. Die Wiener Landesregierung verzichtete - unter Verweis auf die Äußerung im Verfahren G97/00 - auf eine Äußerung und ersucht, im Falle der Aufhebung der Bestimmung für das Außerkrafttreten die gemäß Art140 Abs5 letzter Satz B-VG vorgesehene längste Frist von 18 Monaten zu bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen, dass das Beschwerdeverfahren, das Anlass zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde §70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 61/1998, anzuwenden hätte, haben sich als zutreffend erwiesen.

Auch die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung treffen zu, da sie sich mit jenen Bedenken decken, die zur Feststellung geführt haben, dass §70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997, verfassungswidrig war und die Wiener Landesregierung diesen Bedenken auch keine neuen Argumente entgegensetzte.

III. Um allfällige legistische Vorkehrungen zu ermöglichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung des §70a BO f Wien den Ablauf des 31. Dezember 2001 bestimmt. Diese Frist schien dem Verfassungsgerichtshof deshalb ausreichend, weil dem Wiener Landesgesetzgeber die Verfassungswidrigkeit der Norm seit dem Erkenntnis G97/00 vom 12. Dezember 2000 bekannt sein musste.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz

B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung des §70a BO f Wien ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden.

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