Spruch:
Der zu B1948/97 gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Die zu B1222/97 eingebrachte Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Die beschwerdeführende Aktiengesellschaft erhob am 21. Mai 1997 durch ihren Rechtsvertreter eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen einen näher bezeichneten Berufungsbescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, die beim Verfassungsgerichtshof zu B1222/97 protokolliert wurde. Am 16. Juli 1997 wurde der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft die Gegenschrift der belangten Behörde zugestellt, in welcher die belangte Behörde ausführt, daß der angefochtene Bescheid der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft nicht - wie in der Beschwerde behauptet - am 9. April 1997, sondern bereits am 8. April 1997 zugestellt worden sei. Die Beschwerde sei demnach nicht innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist von der Beschwerdeführerin erhoben worden.
Mit Schriftsatz vom 28. Juli 1997 (zur Post gegeben am selben Tag) beantragt die beschwerdeführende Aktiengesellschaft nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Frist gemäß §82 Abs1 VerfGG zur Erhebung der Beschwerde gegen den genannten Bescheid, weil die beschwerdeführende Aktiengesellschaft durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden an der Wahrung der Beschwerdefrist gehindert gewesen sei. Zur Begründung dieses Antrages wird näher ausgeführt, daß der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft in der Regel Bescheide und Schriftstücke an eine näher bezeichnete Adresse in Wien zugestellt würden. Der Betrieb der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft sei so eingerichtet, daß die jeweilige Post des Tages, welche - wie der Bescheid der Finanzlandesdirektion - in den Kompetenzbereich eines namentlich genannten Prokuristen fiele, am Tag der Zustellung an das in einem anderen Wiener Gemeindebezirk gelegene Büro des Prokuristen per Boten übermittelt werde und der Prokurist nach Erhalt des Schriftstückes darauf einen Eingangsstempel mit dem Datum des Erhaltes anbringe. Für die Einhaltung dieser Vorgangsweise habe es vom genannten Prokuristen auch eine ausdrückliche diesbezügliche Anweisung an die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin gegeben. Da diese Vorgangsweise bei der Beschwerdeführerin stets so gehandhabt werde, habe der Prokurist, ein langjähriger und verdienter Mitarbeiter der Beschwerdeführerin, auch im vorliegenden Fall darauf vertrauen können, daß der Bescheid der Finanzlandesdirektion, welcher offenbar erst am Tag nach seiner Zustellung übermittelt worden sei, tatsächlich erst am 9. April 1997 zugestellt wurde. Der Prokurist habe demnach auf dem angefochtenen Bescheid einen Eingangsstempel "Buchhaltung 09.04.1997" anbringen lassen. Im vorliegenden Fall sei zum ersten Mal offensichtlich die Übermittlung des Bescheides an den Prokuristen nicht am Tag der tatsächlichen Zustellung erfolgt, im übrigen würde aber das geschilderte System der Weiterleitung von Schriftstücken am Tag der Zustellung stets funktionieren.
In weiterer Folge sei - unter Zugrundelegung des 9. April 1997 als Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides - der Ablauf der Beschwerdefrist mit 21. Mai 1997 errechnet und dieses Datum auch als letzter Tag der Beschwerdefrist in den Kalender der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin, an welchen der angefochtene Bescheid zwecks Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde übermittelt worden sei, eingetragen worden. Sowohl die Verfasserin der Beschwerde als auch der Rechtsanwaltsanwärter der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin hätten unter Einhaltung der gebotenen Sorgfalt aufgrund des auf dem Bescheid angebrachten Eingangsstempels davon ausgehen können, daß der Bescheid tatsächlich am 9. April 1997 zugestellt worden sei. Dem Rechtsanwaltsanwärter sei zudem vom Prokuristen und von der Verfasserin der Beschwerde der 9. April 1997 als Zustelldatum bestätigt worden.
II. Der - rechtzeitig eingebrachte (vgl. §148 Abs2 ZPO) - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht begründet.
1. Da das VerfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11706/1988).
2. Davon kann im vorliegenden Fall aber nicht die Rede sein. Im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen bedarf es eines Mindestmaßes an Sorgfalt sowie der Einrichtung einer - möglichst effizienten - Organisation, welche geeignet ist, Fristversäumungen zu verhindern. Die Anbringung des Eingangsstempels erst nach Übermittlung des Bescheides an das - von der Zustelladresse außerdem relativ weit entfernt gelegene - Büro des zuständigen Prokuristen ohne vorhergehende Rücksprache mit dem Mitarbeiter, der die Post übernommen hat, ist aber im besonderen Maße geeignet, Fehler bei der Anbringung des Eingangsdatums zu bewirken. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die von der Beschwerdeführerin gewählte Art der Behandlung der an sie zugestellten fristauslösenden Bescheide und Schriftstücke eine - über die im Antrag vorgebrachte Anweisung an die Mitarbeiter hinausgehende - besondere Form der Überwachung und Kontrolle bedurft hätte. Im Antrag der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft wird aber hinsichtlich der Einrichtung eines geeigneten Kontrollsystems bzw. über die Gründe, weshalb dieses System im vorliegenden Fall versagt hat, nichts vorgebracht. Nach Lage des Falles kann keinesfalls angenommen werden, daß der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft ein Fehler unterlaufen ist, der nur als ein minderer Grad des Versehens zu werten ist und daß der Fristversäumung nur leichte Fahrlässigkeit zugrunde liegt.
Der Wiedereinsetzungsantrag war sohin abzuweisen.
3. Bei diesem Ergebnis war die zu B1222/97 protokollierte Beschwerde als verspätet zurückzuweisen.
4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 bzw. §19 Abs3 Z2 litb VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
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