VfGH G216/96

VfGHG216/969.10.1997

Gleichheitswidrigkeit des Ausschlusses des außerordentlichen Strafmilderungsrechtes nach dem VStG für bestimmte Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960 - zB Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand - infolge Unsachlichkeit der dadurch bewirkten Verschärfung der Strafdrohung für Verwaltungsdelikte im Vergleich zu gerichtlich zu ahndenden Delikten

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
VStG §20
StGB §41
StVO 1960 §99 Abs1
StVO 1960 §100 Abs5
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
VStG §20
StGB §41
StVO 1960 §99 Abs1
StVO 1960 §100 Abs5

 

Spruch:

Die Zahl "20," in §100 Abs5 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, in der Fassung der 19. Straßenverkehrsordnungs-Novelle, BGBl. Nr. 518/1994, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark ist zur Zahl UVS 30.14-128/95 eine Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung anhängig, mit dem über den zum Tatzeitpunkt 15 1/2jährigen Berufungswerber eine Verwaltungsstrafe wegen Lenkens eines Fahrrades in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gemäß §§5 Abs1 iVm. 99 Abs1 lita StVO 1960 in der Höhe von S 8.000,- sA verhängt wurde, anhängig. Aus Anlaß dieses Verfahrens entstanden beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §100 Abs5 StVO 1960.

Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG stellte der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark daher den beim Verfassungsgerichtshof zu G216/96 protokollierten Antrag, "in §100 Abs5 StVO in der Fassung BGBl. 1994/518 die Zahl '20', in eventu die Zahl '1' in der Ziffernfolge '99 Abs1' als verfassungswidrig aufzuheben".

1.2. Die angefochtene Bestimmung des §100 Abs5 StVO 1960 in der Fassung der 19. Novelle, BGBl. Nr. 518/1994, lautet:

"(5) Bei einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1, 2 oder 2a finden die Bestimmungen der §§20, 21 und 50 VStG keine Anwendung."

§99 Abs1 StVO 1960 lautet:

"(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 8000 S bis 50.000 S, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von einer bis sechs Wochen zu bestrafen,

a) wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt,

b) wer sich bei Vorliegen der in §5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht,

c) (Verfassungsbestimmung) wer sich bei Vorliegen der im §5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen."

§20 VStG lautet:

"Überwiegen die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich oder ist der Beschuldigte ein Jugendlicher, so kann die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden."

1.3. Der antragstellende Unabhängige Verwaltungssenat beruft sich zur Begründung der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung darauf, daß er diese bei der Erledigung der Berufung anzuwenden hätte. Die Voraussetzungen für eine Strafmilderung im Sinne des §20 VStG wären im Falle des Berufungswerbers erfüllt, da er sowohl zum Tatzeitpunkt Jugendlicher im Sinne des Gesetzes, als auch bisher unbescholten, geständig und schuldeinsichtig gewesen sei. Die Zahl "20" sei daher insoferne präjudiziell, als sie die im §20 VStG normierte außerordentliche Milderung der Strafe im vorliegenden Fall ausdrücklich verbiete.

1.4. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des §100 Abs5 StVO 1960 werden vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark folgende Bedenken vorgebracht:

Zum einen bestehe kein Regelungsbedarf im Sinne des Art11 Abs2 B-VG für die von den nach der Bedarfskompetenz des Bundes erlassenen Verfahrensvorschriften des VStG abweichende Regelung des §100 Abs5 StVO 1960. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dürfe eine solcherart abweichende Regelung gemäß Art11 Abs2 letzter Halbsatz B-VG nur getroffen werden, "wenn die abweichende Regelung 'unerläßlich' ist, somit der zuständige Gesetzgeber ohne die erlassene Regelung die ih(m) in der Hauptmaterie eingeräumte Zuständigkeit nicht erfüllen könnte". "Die Aufnahme des §20 VStG in den Katalog des §100 Abs5 StVO erweist sich nicht als 'unerläßlich' im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung, da dem höheren Unrechtsgehalt ua. von Alkoholdelikten bereits durch die vor Inkrafttreten der B-VG Novelle 1974 normierte Mindeststrafe sowie den Ausschluß der Anwendbarkeit der §§21 und 50 VStG Rechnung getragen wird."

Zum anderen behandle die angefochtene Regelung ungleiches dadurch gleich, daß der Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes in gleicher Weise für Jugendliche als auch für Erwachsene gelte. Dieser Ausschluß sei weder sachlich gerechtfertigt noch verhältnismäßig. Im Bereich der gesamten Strafrechtsordnung sei eine differenzierte Behandlung von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen angeordnet. Generalpräventive Erwägungen, wie sie dem §100 Abs5 StVO 1960 zugrundeliegen, seien im Bereich des Jugendstrafrechts weitgehend zurückgedrängt. Im Verwaltungsstrafverfahren sei dem Umstand, daß jugendlichen Tätern die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht fehle, durch die VStG-Novelle BGBl. Nr. 516/1987 Rechnung getragen worden, mit welcher der §20 VStG in der geltenden Fassung eingeführt wurde. "Durch den generellen Ausschluß von §20 VStG durch §100 Abs5 StVO werden aber Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen erfaßt, mit der Folge, daß die gebotene Unterscheidung zwischen diesen Personengruppen wieder aufgehoben wird."

Weiters widerspreche die angefochtene Regelung auch dem Sachlichkeitsgebot. Der antragstellende UVS verweist auf VfSlg. 12151/1989, wonach die Strafe des Verfalls als gleichheitswidrig erkannt wurde, wenn zwischen der Höhe der Strafe der Einziehung einerseits und dem Grad des Verschuldens und der Höhe des verursachten Schadens andererseits ein exzessives Mißverhältnis besteht. Wenn in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu §100 Abs5 StVO 1960 ausgeführt werde, es solle aus general- und spezialpräventiven Gründen und wegen des besonders großen Unrechtsgehaltes bei den in Frage kommenden Delikten nicht nur ein Absehen von der Strafe, sondern auch eine außerordentliche Milderung der Strafe unmöglich sein, so schieße die Regelung über das Ziel hinaus, da mit dem Einbezug des §20 VStG in den Katalog des §100 Abs5 StVO 1960 sowohl bei Jugendlichen als auch innerhalb der Gruppe der Erwachsenen keine Möglichkeit mehr bestehe, in besonders gelagerten Fällen die Mindeststrafe zu unterschreiten. Vergleichsweise gelte im gerichtlichen Strafrecht das außerordentliche Strafmilderungsrecht auch für Delikte, deren Unrechtsgehalt weit über jenem der Alkoholdelikte liegt. "Selbst dann, wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat, ist die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes nicht ausgeschlossen, weil sich auch bei schweren und schwersten Delikten Unrechts- und Schuldgehalt dem Nullpunkt nähern können. (Vgl. Foregger - Nowakowski, Wiener Kommentar zum StGB ...)". Dies müsse auch für das Verwaltungsstrafrecht gelten. Der formulierten Zielsetzung, dem besonders großen Unrechtsgehalt ua. der Alkoholdelikte Rechnung zu tragen, stehe die Anwendung des §20 VStG nicht entgegen, da die Strafbehörde nicht zwingend eine die Untergrenze des Strafrahmens unterschreitende Strafe verhängen müßte. Aber erst die "Anwendbarkeit des §20 VStG erlaubt es einerseits auf die besondere Situation von Jugendlichen einzugehen und andererseits eine Abwägung der Milderungs- und Erschwerungsgründe vorzunehmen. Einem erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat kann daher differenziert begegnet werden."

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung. Zunächst wird betont, daß dem Vorbringen des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark betreffend die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung nicht entgegengetreten werde.

Im übrigen wird dem Vorbringen des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenates, wonach für die Verfahrensvorschrift des §100 Abs5 StVO 1960 kein Regelungsbedarf im Sinne des Art11 Abs2 B-VG vorliege, entgegengehalten, daß der Ausschluß der Anwendung von §20 VStG bei Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 bereits durch die 3. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 209/1969, in §100 Abs5 StVO aufgenommen worden sei. Diese Novelle sei noch vor der B-VG-Novelle 1974, BGBl. Nr. 444, mit der Art11 Abs2 B-VG in der derzeit geltenden Fassung beschlossen wurde, erlassen worden. Vor der genannten B-VG-Novelle wäre es von Verfassungs wegen noch nicht geboten gewesen, im Rahmen der Anwendung des Art11 Abs2 B-VG auf die "Erforderlichkeit" einer Regelung Bedacht zu nehmen, sodaß §100 Abs5 StVO 1960 in der Fassung BGBl. Nr. 209/1969 jedenfalls verfassungskonform gewesen sei. Wie auch vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 8945/1980 festgestellt, lasse das Fehlen einer Übergangsbestimmung zum durch die B-VG-Novelle 1974 neugefaßten Art11 Abs2 die Absicht des Verfassungsgesetzgebers erschließen, daß dieser in den von ihm vorgefundenen Rechtsbestand bloß im geringstmöglichen Ausmaß eingreifen wollte. Daraus ergebe sich, daß §100 Abs5 StVO 1960 in der Fassung der 3. StVO-Novelle auch nach der B-VG-Novelle 1974 nicht an einem mit Verfassungswidrigkeit behafteten Mangel gelitten hätte. Daran könne auch die Neufassung des §100 Abs5 StVO 1960 durch BGBl. Nr. 518/1994 nichts ändern, da die vom antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenat für verfassungswidrig erachtete Zahl "20" bereits durch die 3. StVO-Novelle eingeführt worden sei. "War deshalb der Ausschluß der Anwendung von §20 VStG auch nach der B-VG-Novelle 1974 im Hinblick auf Art11 Abs2 B-VG verfassungsrechtlich unbedenklich, so kann daraus auch kein verfassungsrechtlich verankertes Gebot abgeleitet werden, ihn im Rahmen einer Novellierung, die das materielle Verhältnis von §20 VStG zu §99 Abs1 StVO inhaltlich völlig unberührt läßt, der neuen Rechtslage anzupassen." Dessen ungeachtet wäre der Ausschluß der Anwendung des §20 VStG bei Alkoholdelikten auf jeden Fall "erforderlich" im Sinne des Art11 Abs2 letzter Halbsatz B-VG. Wie sich bereits aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu §100 Abs5 StVO 1960 ableiten lasse, sei der Gesetzgeber der Ansicht gewesen, daß aus general- und spezialpräventiven Gründen und wegen des besonders großen Unrechtsgehaltes bei Alkoholdelikten nicht nur ein Absehen von der Strafe, sondern auch eine außerordentliche Milderung der Strafe unmöglich sein soll. "Demnach hält der Gesetzgeber das Lenken eines Fahrzeuges unter Alkoholeinfluß für sozial in so hohem Ausmaß schädlich, daß er sich veranlaßt sah, einerseits eine Mindeststrafe festzusetzen, andererseits auch zu verhindern, daß diese in Einzelfällen unterschritten und so die abschreckende Wirkung der Strafdrohung - sowohl im Einzelfall als auch generell - abgeschwächt wird." Dies würden auch die österreichischen Unfallstatistiken belegen, wonach die Altersgruppe der 15 bis 24jährigen die im Straßenverkehr am meisten Gefährdete bzw. Gefährdende sei. Rund ein Drittel aller Verletzten und ein Viertel aller im Straßenverkehr Getöteten gehöre dieser Altersgruppe an, ebenso falle fast ein Drittel aller alkoholisierten Unfallbeteiligten unter diese Altersgruppe. Die Regelung sei daher erforderlich, "um insbesondere Jugendliche von der Unvereinbarkeit des Lenkens eines Fahrzeuges nach dem Genuß von Alkohol zu überzeugen und von derartigen Verhaltensweisen abzuschrecken". "Bei Alkoholdelikten im Straßenverkehr handelt es sich überdies um einen Bereich, in dem eine überaus hohe Selbst- und Fremdgefährdung festzustellen ist, wobei insbesondere Jugendliche signifikant häufig betroffen sind. Somit steht eine Regelung, wie sie §100 Abs5 StVO vorsieht, mit der Sicherheit des Straßenverkehrs in so engem Konnex, daß sie als 'unerläßlich' zu qualifizieren" sei.

Der Auffassung des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenates, daß §100 Abs5 StVO 1960 dem dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebot widerspreche, da aus verschiedenen Bestimmungen der Strafrechtsordnung hervorgehe, und daß eine Unterscheidung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen "geboten" sei, sei entgegenzuhalten, daß auch, wenngleich in bestimmten Bereichen der Strafrechtsordnung Jugendliche anders als Erwachsene behandelt werden, dies keinen ausnahmslos gültigen, von Verfassungs wegen gebotenen Grundsatz der österreichischen Rechtsordnung darstelle. Insbesondere stelle es keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar, wenn der Gesetzgeber die außerordentliche Strafmilderung aufgrund der Eigenart oder der besonderen Gefährlichkeit eines Deliktes ausschließt. Auch hätte die Einführung der außerordentlichen Strafmilderung für Jugendliche durch die VStG-Novelle 1987 keinen Mindeststandard für Jugendliche begründet, von welchem abzugehen dem Gesetzgeber verwehrt wäre. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dürfe der Gesetzgeber ein von ihm selbst geschaffenes Ordnungssystem verlassen, sofern dies im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz geschehe.

Auch sei entgegen der Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates die Abwägung der Milderungs- und Erschwerungsgründe bei einer Bestrafung nach §99 Abs1 StVO 1960 möglich, da §100 Abs5 StVO 1960 die Bestimmungen der §§3 bis 5 und 19 VStG gänzlich unberührt lasse. Es könne daher weiter dem Ausmaß der Schuld im Rahmen der Strafbemessung ausreichend Rechnung getragen werden. Auch bestehe kein Grund für die Annahme, die Regelung widerspreche dem Prinzip "nulla poena sine culpa". Zuletzt sei auf VfSlg. 14381/95 zu verweisen, in welchem es der Verfassungsgerichtshof für bedenklich erachtet hätte, wenn neben dem Ausschluß der Anwendung des §19 Abs2 VStG auch die Anwendung des §20 VStG ausgeschlossen wäre.

Die Bundesregierung stellt daher den Antrag, die angefochtenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen durchführen zu können.

3. Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr teilte mit, daß er sich der Stellungnahme der Bundesregierung vollinhaltlich anschließe.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark gab eine ergänzende Stellungnahme ab:

In der Stammfassung der StVO, BGBl. Nr. 159/1960, sei in der Strafbestimung des §99 die Verhängung von Geldstrafen oder Arreststrafen vorgesehen gewesen. §20 VStG 1950 in seiner Stammfassung, BGBl. Nr. 172, hätte angeordnet, daß bei Überwiegen der mildernden Umstände die Behörde statt der in der Verwaltungsvorschrift angedrohten Arreststrafe eine den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschuldigten entsprechende Geldstrafe oder Hausarrest verhängen könne. Durch die von der Bundesregierung zitierte 3. StVO-Novelle seien in den Verweis des §100 Abs5 StVO 1960 §20 und §50 VStG aufgenommen worden, "mit dem Regelungsgehalt, daß eine außerordentliche Milderung in der Hinsicht, daß anstelle einer Arreststrafe ein Hausarrest oder eine Geldstrafe verhängt hätte werden können, wegen der Gefährlichkeit der Übertretungen nicht möglich war". Das Verkehrsrechtsanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 274/1971, hätte insofern eine Entkriminalisierung der Verkehrsstraftaten herbeigeführt, als seither im §99 StVO 1960 primär die Verhängung einer Geldstrafe vorgesehen gewesen sei. §20 VStG sei aus dem Katalog des §100 Abs5 StVO 1960 entfernt worden, da, wie in den Erläuternden Bemerkungen dazu ausgeführt wurde, im §99 StVO 1960 keine primäre Arreststrafe mehr angedroht war. Erst durch die VStG-Novelle 1987 wäre der §20 in der geltenden Fassung eingeführt worden, um - wie im Ausschußbericht zur Regierungsvorlage ausgeführt - für Jugendliche eine leichtere Bestrafung zu ermöglichen. Mit der 19. StVO-Novelle wäre "aus general- und spezialpräventiven Gründen und wegen des großen Unrechtsgehaltes" die Aufnahme des §20 VStG in den Katalog des §100 Abs5 StVO 1960 erfolgt. Nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates zeige die Entwicklungsgeschichte, daß die Argumentation des Bundeskanzleramtes unter Bezug auf den Rechtsbestand vor der B-VG-Novelle 1974 und der davon abgeleiteten Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Rechtslage (keine Erforderlichkeitsprüfung im Sinne des Art11 Abs2 B-VG) sowohl aus historischer Sicht als auch im Hinblick auf den geänderten Regelungsgehalt des §20 VStG vor und nach der B-VG-Novelle 1974 nicht überzeugend sei.

Es werde nocheinmal betont, daß die Anwendung bzw. Nichtanwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes weder die Frage nach der generalpräventiven noch nach der spezialpräventiven Wirkung aufwerfe, sondern diese vielmehr eine Einzelfallgerechtigkeit ermöglichen solle, welche auch nicht durch die Anwendung des §19 VStG erreicht werden könne.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof folgt dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark darin, daß die Zahl "20" in §100 Abs5 StVO 1960 für diesen im Verfahren zu UVS 30.14-128/95 präjudiziell ist, weil dadurch die im §20 VStG vorgesehene außerordentliche Strafmilderung für Jugendliche, welche eine Verwaltungsübertretung gemäß §5 Abs1 in Verbindung mit §99 Abs1 lita StVO 1960 begehen, ausgeschlossen wird und der Beschwerdeführer vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat jedenfalls zum Tatzeitpunkt ein Jugendlicher war.

Da die Bedenken des Unabhängigen Verwaltungssenates gegen den Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes bei Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 lita StVO 1960 gerichtet sind, erscheint es dem Verfassungsgerichtshof gerechtfertigt, das die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes ausschließende Zitat des §20 VStG in §100 Abs5 StVO 1960 und nicht das - ebenfalls präjudizielle - Zitat des §99 Abs1 in §100 Abs5 StVO 1960, das vom Unabhängigen Verwaltungssenat in eventu angefochten wurde, zu prüfen, weil ansonsten auf Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 - im Falle der Aufhebung der Zahl 1 im Zitat des §99 Abs1 StVO 1960 in §100 Abs5 StVO 1960 - nicht nur §20, sondern auch die §§21 und 50 VStG auf Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 - entgegen dem Willen des Gesetzgebers - anzuwenden wären. Im Sinne seiner ständigen Judikatur, wonach der nach einer Gesetzesaufhebung verbleibende Gesetzesteil möglichst unverändert bleiben soll (VfSlg. 8155/1977, 9374/1982, 11455/1987 und 11506/1987), erscheint sohin dem Verfassungsgerichtshof die Prüfung - und Aufhebung (vgl. 2.) - der Zahl "20" in §100 Abs5 StVO 1960 der geringstmögliche Eingriff in die betreffende Regelung, mit dem den Bedenken des Unabhängigen Verwaltungssenates Rechnung getragen werden kann.

2. Der Antrag des UVS für die Steiermark ist auch in der Sache berechtigt:

Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl aus Art91 Abs2 und 3 B-VG als auch wegen des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebots verfassungsrechtliche Grenzen des für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmens festgestellt. In ständiger Judikatur (VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991 sowie vor allem

VfSlg. 14361/95 u.a.) hat er die Auffassung vertreten, daß ein vom Gesetzgeber als besonders sozialschädlich bewertetes und demgemäß mit schwerwiegender (Geld-)Strafe bedrohtes Verhalten verfassungsrechtlich der Strafgerichtsbarkeit vorbehalten ist. Gleichzeitig betrachtete der Gerichtshof eine das Strafausmaß betreffende gesetzliche Regelung als gleichheitswidrig, die ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion aufweist, weil derartige Strafdrohungen "mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind" (VfSlg. 12151/1989).

Der im Hinblick auf die geschilderte Judikatur (vgl. auch VfSlg. 8017/1977) notwendige Vergleich der Strafbemessungsvorschriften des Gerichts- mit dem Verwaltungsstrafrecht zeigt, daß dem Gerichtsstrafrecht (vgl. §41 StGB) ein Ausschluß der "Außerordentlichen Strafmilderung", soweit diese durch gesetzliche Festlegung einer Untergrenze des Strafrahmens überhaupt in Betracht kommt, ausnahmslos unbekannt ist. Für Jugendliche als Straftäter ist das außerordentliche Milderungsrecht durch die Bestimmungen des §5 JGG für das Gerichtsstrafrecht noch in besonderer Weise ausgebaut.

Die Regelung des §100 Abs5 StVO 1960, derzufolge bei allen mit einer Strafuntergrenze bedrohten, nach der StVO 1960 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen das außerordentliche Milderungsrecht nach §20 VStG entfällt, bedeutet so eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung für den Bereich der genannten Verwaltungsdelikte im Vergleich zum Gerichtsstrafrecht, die ein extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht entstehen läßt. Dieser Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts ist also an sich bereits mit den geschilderten Anforderungen an die Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen nicht zu vereinbaren.

Der in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur 19. StVO-Novelle (1580 BlgNR, XVIII. GP, S 35) genannte spezial- und generalpräventive Zweck des §100 Abs5 StVO 1960, - soll doch den Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 ein "besonders große(r) Unrechtsgehalt" innewohnen und an der Vermeidung von Alkoholdelikten auch im Hinblick auf die österreichische Unfallstatistik im Interesse der Verkehrssicherheit eine besondere Notwendigkeit bestehen, wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung dartut, - wird durch den Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes gemäß §20 VStG nicht erreicht: Findet doch dieser Unrechtsgehalt in der abstrakten Höhe der gesetzlichen Strafdrohung seinen Ausdruck, nicht aber im - an sich bereits unsachlichen (vgl. in diese Richtung schon VfSlg. 14381/95) - Verbot der Berücksichtigung selbst beträchtlich überwiegender Milderungsgründe bei der konkreten Strafbemessung. Trotz des vom Gesetzgeber wahrgenommenen besonderen Unrechtsgehalts von Alkoholdelikten ist

Diese Überlegung - und damit die Gleichheitswidrigkeit der angefochtenen Regelung des §100 Abs5 StVO 1960 - gelangt jedenfalls dann zum Tragen, wenn die mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5.12.1996, G9/96 u.a., verbundenen Implikationen berücksichtigt werden: In diesem Erkenntnis hatte der Verfassungsgerichtshof, der Judikatur des EGMR (Fall Gradinger, 23.10.1995, Serie A Nr. 328-C) folgend, eine Wortfolge des §99 Abs6 litc StVO 1960 wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art4 des 7. ZPEMRK mit der Wirkung aufgehoben, daß das Lenken oder die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gemäß §99 Abs1 lita StVO 1960 nur dann - und somit nur subsidiär - als Verwaltungsübertretung zu bestrafen ist, wenn dieses strafbare Verhalten nicht gleichzeitig einen wesentlichen Gesichtspunkt einer vor einem Gericht strafbaren Handlung (etwa nach §81 Z2 StGB) bildet. Diese Beseitigung der kumulierten Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde und das Gericht gemäß §99 Abs6 litc StVO 1960 (in der Fassung vor dem E. d. VfGH vom 5.12.1996, G9/96 u.a.) bedeutet im Hinblick auf die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts, daß bei einer in alkoholisiertem Zustand durch einen Fahrzeuglenker begangenen Straftat, die von den Gerichten (unter Ausschluß einer Bestrafung nach §99 Abs1 lita StVO 1960 durch die Verwaltungsbehörde) zu ahnden ist, beträchtlich überwiegende Strafmilderungsgründe (sei es im Wege der Anwendung des §41 StGB, sei es unmittelbar bei der Strafbemessung mangels einer gesetzlichen Strafuntergrenze; vgl. Pallin in: Foregger-Nowakowski, Wiener Kommentar zum StGB, zu §41) zu berücksichtigen sind; das bloße Lenken oder die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand ohne weitere, die Gerichtszuständigkeit auslösende tatbestandliche Folgen, ist hingegen von den Verwaltungsbehörden gemäß §99 Abs1 lita StVO 1960 in Verbindung mit §100 Abs5 StVO 1960 ohne Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts zu ahnden. Es ist von der Sache her nicht einsichtig, daß bei einem von einem Verkehrsteilnehmer in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand begangenen Delikt beträchtlich überwiegende Milderungsgründe zwar bei der Strafbemessung vom Gericht wahrzunehmen, diese für die Verwaltungsbehörde hingegen rechtlich belanglos sind, wenn eine Person in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand ihr Fahrzeug (ohne weitere Folgen und daher mit geringerem Unrechtsgehalt als beim gerichtlich zu ahndenden Delikt) lenkt oder in Betrieb nimmt.

Der durch die Zitierung der Zahl "20," in §100 Abs5 StVO 1960 bewirkte Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes nach §20 VStG widerspricht sohin dem Gleichheitssatz. Die genannte Zahl war als verfassungswidrig aufzuheben.

Angesichts dieses Verfahrensergebnisses erübrigt es sich, auf die sonstigen verfassungsrechtlichen Bedenken, die vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark gegen §100 Abs5 StVO 1960 vorgetragen werden, einzugehen.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle erweist sich angesichts der die Aufhebung tragenden verfassungsrechtlichen Überlegungen nicht als notwendig.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 B-VG.

Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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