VfGH B2115/95,B284/96

VfGHB2115/95,B284/96B2115/95,B284/9611.6.1996

Feststellung der Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die Erklärung der Rechtmäßigkeit der Anhaltung der Beschwerdeführer in Schubhaft nicht binnen einer Woche; Abweisung und Abtretung der Beschwerden; teilweiser Kostenzuspruch

Normen

PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
VfGG §88
FremdenG §51, §52
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
VfGG §88
FremdenG §51, §52

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide, soweit die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates für rechtmäßig erklärt wurde, jeweils im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, weil diese Entscheidungen nicht binnen einer Woche ergingen.

II. Im übrigen ist der Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden mit Ausnahme der unter Punkt I. erledigten Feststellungsanträge abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit jeweils S 9.000,-- bestimmten Kosten dieser Verfahren binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 25. April 1995 gemäß §41 Abs1 und 2 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Schubhaft verhängt. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. April 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §18 Abs1 iVm. Abs2 Z8 FrG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, weil er "bei der Ausübung von Schwarzarbeit betreten wurde".

2.1. Zu B2115/95:

Unter dem 4. Mai 1995 - beim Unabhängigen Verwaltungssenat Niederösterreich (im folgenden: UVS) am 9. Mai 1995 eingelangt (nachdem der zunächst angerufene, aber unzuständige Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Bescheid vom 8. Mai 1995 die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen hatte) - erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß §51 FrG, in welcher er den Antrag stellte, der UVS möge seine Festnahme, die Verhängung und die derzeitige Fortdauer der Schubhaft für rechtswidrig erklären. Mit Bescheid vom 15. Mai 1995 wies der UVS die Beschwerde gemäß §52 leg.cit. als unbegründet ab. Dieser Bescheid wurde der Bundespolizeidirektion Wien am 15. Mai 1995 per Telefax zugestellt; die Zustellung an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erfolgte am 7. Juni 1995.

2.2. Zu B284/96:

Unter dem 1. Juni 1995 erhob der Beschwerdeführer abermals eine Beschwerde gemäß §51 FrG, welche mit Bescheid des UVS vom 8. Juni 1995 gemäß §52 leg.cit. als unbegründet abgewiesen wurde. Aus den höchst unvollständig vorgelegten Verwaltungsakten geht nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt (zwischen Beschwerdeerhebung am 1. Juni 1995 und Datierung des angefochtenen Bescheides mit 8. Juni 1995) die Beschwerde beim UVS einlangte. Der Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers laut dessen - unwidersprochenen und durch den Akteninhalt nicht widerlegten - Beschwerdebehauptung am 12. Dezember 1995 zugestellt. Der Beschwerdeführer befand sich bis 23. Juni 1995 in Schubhaft; an diesem Tag wurde er abgeschoben.

3. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in welchen die "Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, der persönlichen Freiheit und des Art6 Abs1 PersfrG" behauptet und beantragt wird, der Verfassungsgerichtshof wolle die bekämpften Bescheide aufheben und jeweils der belangten Behörde den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens auftragen.

4. Der UVS als belangte Behörde dieser verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hat die Verwaltungsakten vorgelegt, zu B284/96 allerdings nur unvollständig, gleichwohl die Zuerkennung eines Ersatzes für Vorlage(- und Schriftsatz)aufwand begehrt und jeweils eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid jeweils verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Zur Frage der Einhaltung der Entscheidungsfrist führt die belangte Behörde zu B2115/95 aus, daß die Beschwerdeentscheidung am 15. Mai 1995 (Ende der Entscheidungsfrist: 16. Mai 1995) im Wege der Telekopie der Bundespolizeidirektion zugestellt worden sei; der Bescheid sei sohin mit diesem Zeitpunkt als erlassen anzusehen. Eine Zustellung im Postwege an die genannte Behörde erfolgte am 16. Mai 1995 mit dem Auftrag, eine Bescheidausfertigung dem Beschwerdeführer zuzustellen.

Zu B284/96 konnte die belangte Behörde auf Anfrage des Verfassungsgerichtshofes nichts Zweckdienliches dartun.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.1. In dem zu B2115/95 protokollierten Beschwerdefall ist die Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG am 9. Mai 1995 beim UVS eingelangt. Die Entscheidung des UVS über die Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft hatte daher - da sich der Beschwerdeführer weiterhin in Schubhaft befand (vgl. Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG) - binnen einer Woche, spätestens also am 16. Mai 1995 zu ergehen. Der angefochtene Bescheid wurde zwar der vor dem UVS belangten Behörde am 15. Mai 1995, sohin binnen Wochenfrist, mittels Telekopie zugestellt, dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers jedoch erst am 7. Juni 1995, sohin nach Ablauf der gemäß Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG gebotenen Frist von einer Woche.

1.2. In dem zu B284/96 protokollierten Beschwerdefall ist die Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG spätestens am 8. Juni 1995 (Datierung des angefochtenen Bescheides) beim UVS eingelangt, dessen Entscheidung (wegen des Feiertages am 15. Juni 1995) spätestens am 16. Juni 1995 zu ergehen hatte; die Entscheidung des UVS wurde dem Rechtsvertreter des bis 23. Juni 1995 in Schubhaft befindlichen Beschwerdeführers aber erst am 12. Dezember 1995 zugestellt.

2. Die vorliegenden Beschwerdefälle entsprechen in allen entscheidungswesentlichen Belangen den Beschwerdesachen VfGH 4.10.1994, B1847/93, 29.6.1995, B83/95, und zuletzt 25.9.1995, B446/95. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse - je eine Ausfertigung derselben ist der vorliegenden Entscheidung angeschlossen - hinzuweisen, aus denen sinngemäß auch für diese Beschwerdefälle folgt, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt wurde, soweit jeweils die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung des UVS für rechtmäßig erklärt wurde, weil diese Entscheidungen nicht binnen einer Woche ergingen.

3. Eine Aufhebung des Spruches der angefochtenen Bescheide kommt insoweit nicht in Betracht. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich deshalb (vgl. auch §87 Abs1 VerfGG 1953, wonach der angefochtene Verwaltungsakt "gegebenenfalls" aufzuheben ist) auf den Ausspruch zu beschränken, daß jeweils eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (VfGH 4.10.1994, B1847/93, 29.6.1995, B83/95, 25.9.1995, B446/95).

4. Im übrigen aber hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, daß die angefochtenen Bescheide an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leiden.

5. Die Beschwerden waren daher mit Ausnahme der in den verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren erfolgreichen Feststellungsanträge abzuweisen, antragsgemäß jedoch dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt wurde.

6.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953, wobei eine Kürzung vorzunehmen war, da der Beschwerdeführer nur zum Teil durchgedrungen ist. Im zugesprochenen Betrag sind jeweils S 1.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

6.2. Zum jeweils beantragten Kostenersatz der belangten Behörde wird bemerkt, daß für das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren die Anwendung der das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren betreffenden Bestimmungen nicht in Betracht kommt.

III. Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher

Sitzung getroffen werden.

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