VfGH B2343/94,B2713/94

VfGHB2343/94,B2713/94B2343/94,B2713/9417.6.1995

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung von Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes durch ein Transportunternehmen aufgrund Vernachlässigung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ermöglichung der Einhaltung der Einsatzzeit und zur Vorsorge für die Führung eines Fahrtenbuches durch den Lenker; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Blankettstrafnorm des ArbeitszeitG; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anzeigepflichten des Arbeitsinspektorates auch ohne vorheriges Aufforderungsverfahren zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes an den Arbeitgeber

Normen

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
ArbeitsinspektionsG §9
ArbeitszeitG §28
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
ArbeitsinspektionsG §9
ArbeitszeitG §28

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Aufgrund von Anzeigen des Arbeitsinspektorates Klagenfurt vom 6. Juli 1993 wurde der Beschwerdeführer, der damals geschäftsführender Gesellschafter eines Transportunternehmens war, als gemäß §9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ des Unternehmens (und somit arbeitszeitrechtlich als verantwortlicher Arbeitgeber) mit (drei) Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau vom 31. Jänner 1994 wegen Übertretung des §17 Abs1, §14 Abs2 und §16 Abs3 jeweils iVm §28 Abs1 AZG (idF vor BGBl. 446/1994) bestraft.

Gegen diese Bescheide richtete der nunmehrige Beschwerdeführer Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten; dieser bestätigte einen der bekämpften Bescheide und gab den Berufungen gegen die beiden anderen Bescheide teilweise statt, indem er den Schuldspruch bestätigte, die verhängten Verwaltungsstrafen aber herabsetzte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die hg. zu B2343/94 protokollierte Beschwerde.

b) Aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates Klagenfurt vom 5. Juli 1993 wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des AZG mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau vom 20. April 1994 eine Verwaltungsstrafe gemäß §17 Abs1 iVm §28 Abs1 AZG (idF vor BGBl. 446/1994) verhängt. Diesen Bescheid bestätigte der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten mit Bescheid vom 2. November 1994, gegen den sich die hg. zu B2713/94 protokollierte Beschwerde wendet.

2. a) Der Beschwerdeführer behauptet in beiden auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, durch den jeweils angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten in verschiedenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung von für verfassungswidrig erachteten Bestimmungen des AZG und des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, BGBl. 27/1993, (im folgenden: ArbIG) verletzt worden zu sein, und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Bestimmungen des AZG erachtet die Beschwerde wegen deren behaupteter Unvollziehbarkeit und wegen Verstoßes gegen das aus Art18 B-VG abzuleitende Bestimmtheitsgebot als verfassungswidrig. Im ArbIG wird die "verstärkte Anzeigepflicht" nach §9 Abs3 (offenbar als gleichheitswidrig) und die Regelung des ersten Satzes des §9 Abs4 ArbIG, derzufolge mit einer Anzeige ein bestimmtes Strafausmaß zu beantragen sei, als verfassungswidrig - weil dem Verfassungsgebot des Art11 Abs2 B-VG widersprechend - gerügt.

b) Der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden. Dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des ArbIG tritt der Unabhängige Verwaltungssenat dabei - allerdings ohne sich damit näher auseinanderzusetzen - entgegen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen, zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§187 ZPO iVm §35 VerfGG) - Beschwerden erwogen:

1. a) Das ArbIG richtet die Arbeitsinspektorate als staatliche Behörden ein, denen besondere Aufgaben im Interesse des Arbeitnehmerschutzes übertragen sind. Dazu räumt ihnen das Gesetz u. a. bestimmte Befugnisse bei der Kontrolle (insbesondere durch §§4 bis 8 ArbIG), Antragstellung und Anzeige (insbesondere durch §§9 und 10 ArbIG) und auch im Verfahren vor den staatlichen Behörden (insbesondere durch §§11 bis 12 ArbIG) und in besonderen Fällen auch die Kompetenz zur Bescheiderlassung (§10 Abs3 ff. ArbIG) ein. Die Arbeitsinspektorate sind Organe der staatlichen Verwaltung, deren Tätigkeit gemäß Art18 Abs1 B-VG entsprechender gesetzlicher Ermächtigung bedarf.

b) Gemäß §9 Abs1 ArbIG hat das zuständige Arbeitsinspektorat, wenn es die Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift feststellt, den Arbeitgeber zur Herstellung eines rechtskonformen Zustandes aufzufordern. Wird der Aufforderung nicht entsprochen, so hat das Arbeitsinspektorat Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten (Abs2).

Nach Abs3 des §9 ArbIG ist das Arbeitsinspektorat berechtigt, auch ohne vorausgehende Aufforderung Strafanzeige zu erstatten; nach dem zweiten Satz dieses Absatzes ist es dazu verpflichtet, "wenn das Verschulden der verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen nicht geringfügig ist oder die Folgen der Übertretung nicht unbedeutend sind".

Mit der Anzeige ist nach Abs4 ein bestimmtes Strafausmaß zu beantragen, und nach dem letzten Satz dieses Absatzes hat die Verwaltungsstrafbehörde über die Anzeige ohne Verzug, längstens jedoch binnen zwei Wochen das Strafverfahren einzuleiten.

c) Nach seinem §25 Abs1 trat das ArbIG mit 1. April 1993 in Kraft. Nach seinem §26 Abs1 und 2 ist das ArbIG 1974 auf Sachverhalte, die sich nach Ablauf des 31. März 1993 ereigneten, nicht mehr anzuwenden; hingegen sind am 1. April 1993 anhängige Verfahren nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.

2. a) In den Beschwerden wird zunächst die Auffassung vertreten, es sei dem Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, in welchen Fällen das Arbeitsinspektorat auch ohne vorhergehendes Aufforderungsverfahren zur Anzeige befugt ist.

Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken jedoch nicht:

Er versteht die Bestimmung des §9 Abs3 ArbIG in der Weise, daß das Arbeitsinspektorat zu einer Anzeige ohne vorheriges Aufforderungsverfahren dann verhalten ist, wenn - wie es in concreto der Fall war - der Sache nach ein Aufforderungsverfahren nicht in Betracht kommt oder nach den Erfahrungen ein solches Verfahren keine Aussicht auf Erfolg hätte, und daß sie auch dann geboten ist, wenn das Verschulden nicht geringfügig ist oder die Folgen der Übertretung nicht unbedeutend sind. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Zuge der Kontrolle des anschließenden Strafverfahrens überprüft werden. Angesichts dessen hat der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken ob der Bestimmtheit der angewendeten Regelung des ArbIG.

Auch hegt der Verfassungsgerichtshof nicht das Bedenken, daß das Regelungssystem dem Gebot des Art11 Abs2 B-VG widerspricht. Nach dieser bundesverfassungsrechtlichen Norm entspricht eine von einer Regelung der unter Inanspruchnahme der Bedarfs-Gesetzgebungskompetenz nach Art11 Abs2 B-VG erlassenen Verwaltungsverfahrensgesetze abweichende Bestimmung in einem Bundes- oder Landesgesetz nur dann der Verfassung, wenn sie im Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften unerläßlich ist (vgl. zB VfSlg. 11564/1987 mwH).

Der Verfassungsgerichtshof hat keine Bedenken dagegen, daß den Arbeitsinspektoraten als Organen der öffentlichen Aufsicht Anzeigepflichten übertragen sind und Verfahren, die aufgrund solcher Anzeigen des Arbeitsinspektorates (als privilegiertem Anzeiger; vgl. Pkt. II.1.a) eingeleitet werden, in Abweichung von dem das Verwaltungsstrafverfahren im allgemeinen beherrschenden Inquisitionsprinzip derart ausgestaltet sind, daß sie auch Elemente des formellen Anklageprinzips enthalten. Denn dies hängt mit den besonderen Aufgaben, die den Arbeitsinspektoraten im Interesse der Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer übertragen sind, notwendig zusammen. Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, eigene Staatsorgane zur Wahrnehmung derartiger Aufgaben einzurichten. Will er solchen Staatsorganen Überwachungs- und Beobachtungsaufgaben übertragen und solche Aufgaben im Interesse der Effektivität bei eben diesen Organen konzentrieren, die Erlassung von Bescheiden aber den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung belassen, so ist es geradezu unerläßlich, in solchen Fällen das das VStG beherrschende Inquisitionsprinzip (§25 Abs1 VStG) insoweit zu durchbrechen. Dann aber ist es auch nicht zu beanstanden, daß dem anzeigenden Arbeitsinspektorat aufgetragen ist, mit der Anzeige ein ihm als gerechtfertigt erscheinendes Strafausmaß zu beantragen (§9 Abs4 ArbIG), zumal dieser Antrag keinerlei bindende Wirkung entfaltet.

b) Der Verfassungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdefälle auch keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des die angefochtenen Entscheidungen tragenden §28 Abs1 AZG (idF vor BGBl. 446/1994).

Dieser Gesetzesvorschrift zufolge sind Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Bestimmungen des AZG zuwiderhandeln, in dort näher bestimmtem Umfang zu bestrafen; dabei handelt es sich - wie der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg. 9982/1984 erkannt hat - um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des §5 Abs1 zweiter Satz VStG.

Die Blankettstrafnorm des §28 Abs1 AZG in der hier maßgeblichen Fassung verweist - verfassungsrechtlich zulässigerweise (vgl. VfSlg. 12947/1991) - auf die materiellen Verhaltenspflichten gemäß dem AZG. Ungeachtet der Tatsache, daß sich die explizit formulierten Verhaltenspflichten des AZG, die im vorliegenden Fall von Bedeutung sind, an den Arbeitnehmer richten - er hat gemäß §17 ein Fahrtenbuch zu führen und nur seine Arbeitszeit bzw. Einsatzzeit ist gemäß §§14 und 16 begrenzt - hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkannt, daß damit auch Pflichten des Arbeitgebers normiert sind. Es ist diesem nicht nur verboten, arbeitsrechtliche Weisungen zu geben, deren Befolgung zur Gesetzesverletzung führen: "Nach dem insofern eindeutig erkennbaren Normgehalt dieser Bestimmung ergeben sich daraus die verwaltungsstrafrechtlich zu ahndenden Verletzungen nachstehender Pflichten: Die Einhaltung der Einsatz- und Arbeitszeit zu ermöglichen, sie zu überprüfen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Einsatzzeit sicherzustellen" (VwSlg. 11177 A/1983). Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofes begegnet im Prinzip keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Den Kritikern in der Literatur (vgl. insbesondere Stoitzner, ZAS 1987, 32 f.; Marhold, RdW 1991, 148 f.) ist einzuräumen, daß es im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot der Verfassung, das für (Verwaltungs)Strafbestimmungen eine weitgehende Umschreibung des Tatbildes im Gesetz verlangt, nicht angeht, vom Arbeitgeber zu verlangen, daß er bestimmte wirksame Vorkehrungen - die über die Vermeidung von Anreizen in der Art der Berechnung der Entlohnung und über die Erstellung von Fahraufträgen mit genauer Routeneinteilung unter exakter Festlegung der Stehzeiten, Ruhezeiten und Fahrtzeiten und deren effektive Kontrolle über ein Fahrtenbuch hinausgehen müssen - treffe und ihm dafür auch noch die Beweislast aufzuerlegen. Derartig weitgehende Verpflichtung für Arbeitgeber aus dem Regelungszusammenhang des AZG abzuleiten und unter Strafsanktion zu stellen, würde dem §28 Abs1 AZG (idF vor BGBl. 446/1994) in der Tat einen verfassungsrechtlich bedenklichen Inhalt beimessen. Nichts zwingt aber zum einen dazu, die angewendeten Vorschriften des AZG in solch extensiver Interpretation zu verstehen, zum anderen ist - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift zu Recht hervorhebt - davon auszugehen, daß auch bei Ungehorsamsdelikten Verdächtige nicht ihre Unschuld nachzuweisen haben: Vielmehr hat die Behörde die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes durch den Beschuldigten nachzuweisen und bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die an seinem Verschulden Zweifel lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären (VfGH 20.6.1994, B1908/93 ua.).

§28 Abs1 AZG (in der hier in Rede stehenden Fassung) begegnet also keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

c) Der Verfassungsgerichtshof teilt daher die von der Beschwerde aufgeworfenen Bedenken gegen die angewendeten Rechtsvorschriften nicht.

3. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften könnte der Beschwerdeführer nur durch in die Verfassungssphäre reichende Vollzugsfehler in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sein. Solches ist aber nicht hervorgekommen. Insbesondere hat die Behörde auch der Rechtsvorschrift des §28 Abs1 AZG keinen verfassungswidrigen Inhalt beigemessen. Sie hat ihre Bescheide vielmehr darauf gestützt, daß dem Lenker die Verpflichtung zur Führung des Fahrtenbuches vom Arbeitgeber nicht klargemacht wurde und daß der Arbeitgeber seine Planungspflichten nicht ausreichend erfüllt habe; dafür sei Voraussetzung, daß die Fahrt ordnungsgemäß disponiert werde, dh. unter Berücksichtigung der Streckenführung, des Bestimmungsortes und der Be- und Entladezeiten die Einhaltung von Lenk-, Einsatz- und Ruhezeiten möglich sei.

Ob die Entscheidungen des belangten Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten auch rechtsrichtig sind, hat aber nicht der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden.

4. Die Beschwerden waren daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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