VfGH B1956/94

VfGHB1956/9417.6.1995

Zurückweisung einer Beschwerde gegen ein Schreiben des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten an eine Bürgerinitiative betreffend die Umweltverträglichkeitsprüfung eines Straßenbauprojekts mangels Bescheidqualität der angefochtenen Erledigung

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
Richtlinie des Rates vom 27.06.85. 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung
UVP-G
EWR-Abkommen Art6
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
Richtlinie des Rates vom 27.06.85. 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung
UVP-G
EWR-Abkommen Art6

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit einem an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gerichteten Schriftsatz vom 12. Juli 1994 beantragten H B u.a. (Bürgerinitiative "Lebensraum ohne S 18") ihnen im Verordnungserlassungsverfahren betreffend "S 18 Bodensee Schnellstraße" Parteistellung gemäß §19 Abs4 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz - UVP-G, BGBl. 697/1993, einzuräumen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach den besonderen Vorschriften des UVP-G für die Erlassung von (Trassen-)VO nach §4 Bundesstraßengesetz 1971 (BStG 1971) durchzuführen. Diesem Antrag legten sie eine Stellungnahme gemäß §9 Abs4 UVP-G und eine Unterschriftenliste jener Personen, die diese Stellungnahme unterstützt haben und welche - nach Auffassung der Einschreiterin - in ihrer Gesamtheit die Bürgerinitiative "Lebensraum ohne S 18" bilden, bei.

Am 11. August 1994 erging an die Bürgerinitiative ein "für den Bundesminister" gezeichnetes Schreiben folgenden Wortlautes:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Zu Ihrem an Herrn Bundesminister Dr. Wolfgang Schüssel gerichteten Schreiben ... vom 12.7.1994, teilt das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten mit, daß die vom Landeshauptmann von Vorarlberg im Rahmen der Auftragsverwaltung des Bundes durchzuführende Zusammenfassung und Prüfung des Ergebnisses des Anhörungsverfahrens für die (S 18 Bodensee Schnellstraße, gesamter Verlauf, A 14 Rheintal Autobahn, Anschlußstelle Wolfurt-Lauterach) nach Ablauf der Auflagefrist in Kenntnis der einzelnen Eingaben und Stellungnahmen erfolgen wird.

- Ihre Ausführungen werden daher dem Landeshauptmann von Vorarlberg zur Kenntnis und Überprüfung übermittelt. Damit ist sichergestellt, daß Ihre Überlegungen bzw. Ausführungen in den Entscheidungsprozeß einfließen werden.

Da das gegenständliche Verfahren vor dem 1. Juli 1994 eingeleitet wurde, findet das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz keine Anwendung."

2. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird dieses Schreiben als Bescheid, mit dem die Parteistellung verneint wird, gewertet und dessen kostenpflichtige Aufhebung wegen Verletzung - nicht näher bezeichneter - verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesstellen, namentlich des §46 UVP-G, beantragt.

Begründend wird ausgeführt, daß die im Anhang XX unter I.1. des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) samt Beilagen, BGBl. 909/1993, (im folgenden: EWR-A) genannte Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5. Juli 1985, S 40, mit Inkrafttreten des EWR-A idF des Anpassungsprotokolls zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum samt Anhang, Schlußakte, Erklärungen, vereinbarter Niederschriften und Einvernehmen, BGBl. 910/1993, (im folgenden: AnpProt) am 1. Jänner 1994 (Art129 Abs3 EWR-A iVm Art1 Abs1 und Art22 Abs3 AnpProt), insbesondere auch deren Art6 und 8, unmittelbar anwendbar sei und §46 Abs1 und 4 UVP-G mit dem im Verfassungsrang stehenden Art6 EWR-A in Widerspruch stünde.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift betont, daß das in Beschwerde gezogene Schreiben vom 11. August 1994 nach ihren Intentionen lediglich als bloße Mitteilung und Information verfaßt worden sei, was sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der äußeren Form hervorgehe.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen (letztinstanzliche) Bescheide von Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt einer - (wie hier) nicht in Form eines Bescheides ergangenen - Erledigung einer Verwaltungsbehörde der zur Begründung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes unerläßliche Bescheidcharakter dann zu, wenn sich aus ihrem maßgebenden Inhalt eindeutig ergibt, daß die Behörde gegenüber individuell bestimmten Personen normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat (vgl. zB VfSlg. 4986/1965, 6187/1970, 8744/1980, 9244/1981, 9444/1982, 11077/1986, 11415/1987, 12321/1990, 12753/1991 und VfGH 13.12.1993, B563/93). Ob eine Erledigung als Bescheid iS des Art144 Abs1 B-VG gewertet werden muß, ist vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt ihrer "Erlassung" geltenden Rechtslage zu beurteilen (vgl. zB VfSlg. 10270/1984, 10368/1985, 12753/1991 und VfGH 13.12.1993, B563/93). Aus der Erledigung muß deutlich der objektiv erkennbare Wille hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. zB VfSlg. 8560/1979, 10119/1984). Ob dies der Fall ist, kann sich auch daraus ergeben, ob die Behörde von Rechts wegen verpflichtet ist, einen Bescheid zu erlassen (vgl. VfSlg. 9520/1982 und VfGH 13.12.1993, B629/93).

2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung - von der abzugehen kein Anlaß besteht - ist das bekämpfte Schreiben nicht als Bescheid iS des Art144 Abs1 B-VG zu qualifizieren:

a) Die angefochtene Erledigung ist eine bloße Mitteilung an die Bürgerinitiative in deren Eigenschaft als Einschreiterin, ihr Anbringen sei ohne unnötigen Aufschub an den Landeshauptmann weitergeleitet worden, um ihm die Berücksichtigung der Argumente der Einschreiter zu ermöglichen. Ein solcher Hinweis kann in der hier erfolgten Form nicht als bescheidmäßiger Abspruch über die Parteistellung oder die Zuständigkeit der Behörde, die die Weiterleitung veranlaßt hat, gewertet werden.

b) Auch wenn man das Schreiben vor dem Hintergrund der maßgeblichen Rechtslage betrachtet, ändert dies nichts an dieser Bewertung: Zwar trifft es zu, daß zum Zeitpunkt der Behandlung der Eingabe gemäß Anhang XX (Rechtsakt 1) des EWR-A die Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG, ABl. L 175 v. 5.7.1985) in Geltung stand und angesichts des Art6 EWR-A und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH im österreichischen Recht unmittelbare Wirkung entfaltet hat, soweit sie unbedingt und inhaltlich so bestimmt formuliert ist, daß sich der einzelne vor den nationalen Instanzen darauf berufen kann (vgl. Schweitzer-Hummer, Europarecht4, 1993, 82 f.), sie also objektiv geeignet war, unmittelbar angewendet zu werden. Aber weder aus Art6 noch aus einer anderen Bestimmung dieser Richtlinie ergibt sich, daß einer bestimmten Interessentengruppe in einem durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren Parteistellung im verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinn zukommt oder eingeräumt werden müßte. Allerdings haben die Staaten nach Art6 Abs2 der Richtlinie u.a. dafür Sorge zu tragen, daß der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit gegeben wird, sich vor Durchführung des Projekts dazu zu äußern, wobei die Einzelheiten der Unterrichtung und Anhörung nach Art6 Abs3 der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten festzulegen sind.

Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit Art6 Abs2 unmittelbar anwendbares Recht darstellt. Denn auch wenn dies der Fall sein sollte, wäre die gewählte Vorgangsweise nicht zu beanstanden. Denn die Weiterleitung der Stellungnahme der Bürgerinitiative an den Landeshauptmann, von der ihr mit dem bekämpften Schreiben Mitteilung gemacht wurde, diente ja gerade dem Ziel, "der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zu geben, sich vor Durchführung des Projekts dazu zu äußern".

Auch vor diesem Hintergrund erweist sich daher das angefochtene Schreiben nicht als Bescheid.

3. Die Beschwerde ist daher wegen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen. Bei diesem Ergebnis brauchte nicht geprüft zu werden, ob die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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