VfGH G187/91,G269/91

VfGHG187/91,G269/91G187/91,G269/9116.10.1991

Keine lückenhafte bzw. unbestimmte Regelung der örtlichen Zuständigkeit der UVS zur Entscheidung über Berufungen in Verwaltungsstrafverfahren durch §51 Abs1 VStG; keine Einschränkung der Zuständigkeit der UVS auf Entscheidungen der Behörden des jeweiligen Bundeslandes durch Art129 B-VG

Normen

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129
B-VG Art129a
VStG §51 Abs1
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129
B-VG Art129a
VStG §51 Abs1

 

Spruch:

Den Anträgen wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien stellte zum AZ G187/91 aufgrund seines Kammerbeschlusses (§51 c Verwaltungsstrafgesetz 1991, Kdm. WV BGBl. 52/1991) vom 2. April 1991 in dem bei ihm anhängigen Verfahren über die Berufung des T B gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, vom 18. Jänner 1991, Z Pst 12.896/F/90, womit eine Verwaltungsstrafe von 25.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von achtundzwanzig Tagen) wegen Übertretung des §99 Abs1 litb iVm §5 Abs2 StVO 1960 verhängt wurde, gemäß Art140 Abs1 iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "den zweiten Halbsatz des §51 Abs1 (', in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde') Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52, in eventu den Abs1 des §51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52, zur Gänze" wegen Verstoßes gegen den Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG und die Art129 und 129 a B-VG als verfassungswidrig aufheben.

1.1.1.2.1. Der antragstellende Senat führte zur Frage der Präjudizialität der aufzuhebenden Norm aus:

"Nach §51 Abs1 VStG steht dem in dem Verwaltungsstrafverfahren Beschuldigten das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde.

Diese Bestimmung begründet die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates zur Entscheidung über Berufungen in Verwaltungsstrafverfahren, sie ist daher im vorliegenden Verfahren vom Unabhängigen Verwaltungssenat anzuwenden."

1.1.1.2.2. In der Sache selbst wurde der Aufhebungsantrag ua. folgendermaßen begründet:

" . . . Bei Behandlung der Berufung entstanden dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien folgende grundsätzliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §51 Abs1 VStG:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG den Gesetzgeber zu einer - strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl. VfSlg. 10.311/1984 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur). Der Gesetzgeber mißachtet nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dieses Gebot schon dann, wenn er sich unklar und undeutlich ausdrückt, weil damit eine Lage herbeigeführt wird, die einer unbestimmten Kompetenzabgrenzung gleichkommt.

So wurde mit dem Erkenntnis VfSlg. 9937/1984 eine zuständigkeitsbegründende Norm deswegen als verfassungswidrig aufgehoben, weil mehrere Auslegungen denkbar waren und diese jeweils zu verschiedenen Ergebnissen führten.

Diesem Bestimmtheitserfordernis genügt §51 Abs1 VStG nicht.

So führt die Anwendung des §51 Abs1 VStG zu keinem eindeutigen Ergebnis, wenn Tatort der Begehung einer Verwaltungsstraftat (wie zB nach §14 b Abs1 Z4 FremdenpolizeiG, BGBl. 75/1954 idF BGBl. 190/1990) das gesamte Bundesgebiet ist, und (wie zumindest aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hervorgeht - vgl. zB VwGH 18.2.1981, Z80/01/3351; 15.10.1986, Z84/01/0370) mit Straferkenntnis als Tatort nur festgestellt werden müßte, daß sich der Beschuldigte im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Strafbehörde braucht dann auch nicht zu ermitteln (und im Spruch des Bescheides festhalten), in welchem Bundesland und damit in welchem Sprengel eines Unabhängigen Verwaltungssenates sich der Beschuldigte aufhielt.

Es sind unzählige weitere Fälle denkbar, in denen die Zuständigkeitsregel des §51 Abs1 VStG zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. Dies etwa dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde, (sei es zur Gänze oder mit einem in Österreich eintretenden Erfolg), wenn sich (rechtswidrigerweise) der Tatort nicht aus dem erstinstanzlichen Bescheid ergibt oder wenn eine einheitliche Tat im Gebiet mehrerer Bundesländer gesetzt wurde. Dies kann insbesondere bei Dauerdelikten oder fortgesetzten Delikten häufig vorkommen. . .

Offenkundig ist §51 Abs 1 VStG lückenhaft (vgl. auch Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 1991, S 173). Allerdings sind mehrere Möglichkeiten denkbar, diese Lücke zu schließen, die je nach Fallkonstellation zu unterschiedlichen Ergebnissen führen:

Thienel (aaO, S 173) meint, vorerst wäre §27 Abs1 VStG analog anzuwenden. Diese Bestimmung gilt für das erstinstanzliche Verfahren und beruft jene Behörde zur Entscheidung, in deren Sprengel die Tat - unabhängig vom Eintritt des Erfolges - begangen wurde. Diese Zuständigkeitsregel entspricht inhaltlich §51 Abs1 VStG und führt in all jenen Fällen zu keinem Ergebnis, in denen der Tatort nicht feststellbar ist, nicht im Bundesgebiet liegt oder sich auf das gesamte Bundesgebiet oder das Gebiet mehrerer Bundesländer erstreckt.

Für einen derartigen Fall schlägt Thienel (aaO, S 173) die Anwendung des §56 Abs3 VStG vor. Diese Bestimmung sieht für Privatanklagesachen vor, daß dem Privatankläger gegen die Einstellung des Strafverfahrens die Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat zusteht, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat. Die Anwendung dieser Bestimmung führt in allen Fällen zu einem eindeutigen Ergebnis.

Ebenfalls naheliegend wäre die analoge Anwendung des §27 Abs2 VStG. Diese Bestimmung sieht dann, wenn nach §27 Abs1 VStG die Zuständigkeit mehrerer Behörden begründet wird oder es ungewiß ist, in welchem Sprengel die Übertretung begangen wurde, die Zuständigkeit jener Behörde vor, die zuerst eine Verfolgungshandlung vorgenommen hat. Eine sinngemäße Anwendung dieser Bestimmung führte dazu, daß jener Unabhängige Verwaltungssenat zuständig wäre, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche zuerst eine Verfolgungshandlung gesetzt hat. Auch bei dieser Auslegung käme man in jedem Fall zu einem eindeutigen Ergebnis, allerdings zu einem anderen als dem (oben) . . . gezeigten.

Zu einem in den meisten Fällen eindeutigen Ergebnis gelangte man bei sinngemäßer Anwendung des §3 AVG, dessen unmittelbare Anwendbarkeit im Strafverfahren durch §24 VStG ausgeschlossen wird. Nach §3 AVG würde sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates im Regelfall nach dem aufrechten Wohnsitz des Beschuldigten, bei Fehlen eines solchen nach seinem Aufenthalt, sonst nach seinem letzten Wohnsitz im Inland bestimmen; bezieht sich die Verwaltungsstrafe auf den Betrieb einer Unternehmung oder sonstigen dauernden Tätigkeit, nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll. Diese Auslegung hätte für sich, daß ein örtlicher Zusammenhang zwischen dem Beschuldigten und dem Unabhängigen Verwaltungssenat besteht.

Sowohl §27 Abs1 VStG für das erstinstanzliche Verfahren als auch §51 Abs1 VStG für das Berufungsverfahren legen als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im Verwaltungsstrafverfahren das Tatortprinzip fest. Dieses Prinzip gilt auch für die Anknüpfung der Zuständigkeit nach der StPO, die in den §§51 ff eine detaillierte Regelung des Tatortprinzips sowie der dabei entstehenden Zweifelsfälle enthält. Die Zuständigkeitsvorschriften des VStG wurden von Lehre und Rechtsprechung schon verschiedentlich nach den in der StPO geregelten Grundsätzen ausgelegt (vgl. zB Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren, zweiter Halbband, 8. Auflage, 1990, S 98; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 4. Auflage, Rz 829; VwSlg. 6245 A).

Eine Heranziehung dieser Grundsätze ergäbe wohl für alle Fälle eine eindeutige Zuständigkeit, auch für im Ausland begangene Straftaten. Zumindest wäre es denkbar, die nach der StPO gegenüber dem Tatortprinzip subsidiären Zuständigkeitsregeln, die sich auch in anderen Zuständigkeitsvorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze finden . . ., in der gleichen Reihenfolge wie die entsprechenden Tatbestände in der StPO anzuwenden.

Zu beachten ist allerdings, daß nach der StPO für die örtliche Zuständigkeit der Berufungsinstanzen die örtliche Zuständigkeit der davor einschreitenden Instanzen entsprechend der Sprengelgliederung maßgeblich ist. Zu einem gleichen Ergebnis käme nur eine analoge Anwendung des §56 Abs3 VStG.

Entscheidend für die Bedenken des Unabhängigen Verwaltungssenates ist nun, daß nicht erkennbar ist, welcher dieser Auslegungsvarianten der Vorzug zu geben ist. Grundsätzlich ist nach der Lehre jene Bestimmung analog anzuwenden, die unter dem Gesichtspunkt des Regelungszweckes am ähnlichsten ist (vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S 477 ff). Danach sprechen für die Anwendung jeder der vorhin genannten Bestimmungen gleich viele Gründe wie Gegengründe.

Die Anwendung des §27 Abs1 VStG führt wegen des grundsätzlich gleichen Regelungsinhaltes in den meisten fraglichen Fällen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Für die Anwendung des §27 Abs2 VStG spricht, daß es sich um eine möglichst allgemeine Zuständigkeitsregel handelt, die für das gesamte erstinstanzliche Verfahren gilt; dagegen spricht, daß es sich bei der Behörde der ersten Verfolgungshandlung nur um einen sehr losen und vielfach zufälligen Zusammenhang zwischen entscheidender Behörde und dem diese Entscheidung kontrollierenden Unabhängigen Verwaltungssenat handelt; außerdem führt auch die Anwendung dieser Regel nicht in allen Fällen zu einem eindeutigen Ergebnis, etwa dann, wenn die erste Verfolgungshandlung von einer österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland gesetzt wird. Diese Nachteile vermiede die analoge Anwendung des §56 Abs3 VStG, wogegen aber wiederum spricht, daß diese Bestimmung nach dem Willen des Gesetzgebers den engsten Anwendungsbereich hat: Sie gilt nur für Privatanklagesachen und hier wiederum nur für die Berufung des Privatanklägers gegen die Einstellung, sodaß insofern die Analogiebasis am engsten ist. Die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des §3 AVG oder der §§51 ff StPO führten wiederum jeweils zu verschiedenen Ergebnissen, ohne daß eine dieser Lösungen klar zu bevorzugen ist.

Zusammengefaßt ist daher nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien §51 Abs1 VStG deswegen verfassungswidrig, weil er gegen das aus Art83 Abs2 und Art18 B-VG folgende Bestimmtheitsgebot verstößt.

Davon unabhängig hegt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien folgende weitere Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §51 Abs1 VStG:

Art129 und 129 b B-VG richten die Unabhängigen Verwaltungssenate als Landesbehörden ein. Diese Bestimmungen knüpfen damit an die sonstige für Landesbehörden geltende Territorialgliederung des Behördenaufbaues an. Für diesen zeichnet die Bundesverfassung vor, daß der Instanzenzug von jenen Behörden, die nach den allgemeinen Bestimmungen eines Landes tätig werden, nur zu einer Behörde desselben Landes geht.

Selbstredend gilt dies für jene Angelegenheiten, die in der Vollziehung Landessache sind. Aber auch für jene Agenden, die in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden, sieht Art102 B-VG vor, daß der Instanzenzug (entsprechend dem Weisungszusammenhang) an den Landeshauptmann jenes Landes geht, für dessen Bereich die erstinstanzliche Behörde zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob in erster Instanz eine Bundes- oder Landesbehörde eingeschritten ist und anhand welcher Kriterien sich deren Zuständigkeit bestimmt (sei es nach dem Tatort, dem Wohnort oder - in Bundessachen - aufgrund einer Zuständigkeitsübertragung nach §29 a VStG). Es wäre daher verfassungswidrig, würde es direkt oder indirekt gesetzlich vorgesehen sein, daß gegen Entscheidungen der Bundespolizeidirektion Eisenstadt (allgemein oder in bestimmten Fällen) die Berufung an den Landeshauptmann von Wien zu richten ist.

Neu ist in diesem Zusammenhang durch die Einrichtung der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, daß diese Landesbehörden auch gegen Entscheidungen von Bundesbehörden in unmittelbarer Bundesverwaltung (mit Ausnahme der Finanzverwaltung des Bundes) angerufen werden können. Diese Besonderheit kann aber nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien nicht dazu führen, daß die zuständige Gesetzgebung darin frei wäre zu bestimmen, der Unabhängige Verwaltungssenat welchen Landes zu entscheiden hat. Hiefür gilt vielmehr weiterhin das Prinzip, daß der Unabhängige Verwaltungssenat jenes Landes zur Entscheidung berufen ist, für das die erstinstanzliche Behörde zuständig ist. Andernfalls könnte der Gesetzgeber nach seinen rechtspolitischen Vorstellungen oder seinem Belieben Instanzenzüge quer durch Österreich vorsehen, was mit Sicherheit nicht mit dem föderativen Grundgedanken zu vereinbaren ist, die Unabhängigen Verwaltungssenate als Landesbehörden einzurichten.

Zusammengefaßt ausgedrückt, folgt nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien aus Art129 und 129 a B-VG, daß die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Kontrolle jener Entscheidungen vorgesehen sind, die von Behörden im Bereich ihres Landes ergehen. Dagegen verstößt §51 Abs1 VStG, indem er die örtliche Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate in einer Weise bestimmt, die vielfach dazu führt, daß die Unabhängigen Verwaltungssenate über Bescheide von Behörden anderer Länder (sogar in Landessachen) abzusprechen haben. . ."

1.1.2. Die zur Äußerung aufgeforderte Bundesregierung gab eine schriftliche Stellungnahme ab; sie verteidigte darin die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Norm, trat dafür ein, §51 Abs1 VStG nicht als verfassungswidrig aufzuheben, und brachte begründend ua. wörtlich vor:

" . . . Die Bundesregierung geht davon aus, daß der Unabhängige

Verwaltungssenat Wien in der dem Antrag zugrundeliegenden

Beschwerdesache §51 VStG anzuwenden hat. Die Prozeßvoraussetzungen

erscheinen insofern gegeben. . .

Ohne zunächst auf die vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien näher dargestellten Fälle einzugehen, ist einzuräumen, daß Fälle denkbar sind, die vom Wortlaut des §51 Abs1 VStG nicht ausdrücklich erfaßt sind.

Es ist daher mit dem Antrag davon auszugehen, daß eine Regelungslücke in jenen Fällen vorliegt, in denen sich aus dem Erkenntnis der Behörde erster Instanz nicht (eindeutig) ein ausschließlich in einem bestimmten Bundesland gelegener Tatort ergibt.

Entgegen den Ausführungen im Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien ist die Bundesregierung jedoch der Auffassung, daß das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung der örtlichen Zuständigkeit für jeden einzelnen Fall §51 Abs1 nicht verfassungswidrig macht, sondern die bestehende Regelungslücke durch Auslegung (Analogie und verfassungskonforme Auslegung) geschlossen werden kann.

Dazu ist im einzelnen folgendes auszuführen:

Da es um die Festlegung einer behördlichen Zuständigkeit (näherhin der örtlichen Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats) geht, bedeutet die Unvollständigkeit, daß es Fälle geben kann, in denen die durch den ersten Halbsatz grundsätzlich vorgesehene Entscheidung nicht ergehen könnte. Daß diese Lücke eine planwidrige ist, erweist der erste Halbsatz des §51 Abs1 VStG, demzufolge dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht. Der nachfolgende Relativsatz hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit kann nicht als eine Einschränkung des grundsätzlichen Rechts, welches im ersten Halbsatz normiert wird, gelesen werden. Dies ergibt sich insbesondere iVm den Erläuterungen zur VStG-Novelle 1990, in denen der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht hat, daß gegen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden (die das VStG anzuwenden haben) in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich - es sei denn, es besteht eine sonderverfassungsgesetzliche Zuständigkeit - die Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenats möglich ist (RV 1090 BlgNR, XVII. GP, 18: 'In Abs1 wird der Grundsatz ausgesprochen, daß dem Beschuldigten ein Berufungsrecht zusteht', und 9: ' . . . auf sämtliche Verwaltungsstrafsachen erstreckt, sofern nicht spezielle bundesverfassungsgesetzliche Regelungen bestehen').

Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß im vorliegenden Fall kein Raum für einen Umkehrschluß ist, der dazu führen müßte, daß in jenen Fällen, in denen §51 Abs1 zweiter Halbsatz VStG zu keiner Lösung führt, auch kein Berufungsrecht zustünde (vgl. zur Problematik des Umkehrschlusses etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S 476).

Es ist vielmehr - und in diesem Sinn kann auch Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 1991, S 171 ff, verstanden werden - im Wege der Auslegung die entstehende Lücke zu schließen.

Die methodische Zulässigkeit einer derartigen Lückenschließung

ergibt sich auch aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs. So

hat der Verfassungsgerichtshof etwa im Erkenntnis VfSlg. 9748/1983

die Analogie grundsätzlich zugelassen. Im besonderen ist auch auf

die Frage der Auslegung von gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen,

die keine bestimmte Verfahrensordnung für eine Behörde für

verbindlich erklären. Wie der Verwaltungsgerichtshof zu dieser

Frage mehrfach ausgesprochen hat, erfordert eine

verfassungskonforme Interpretation in derartigen Fällen die

Annahme, daß die allgemeinen Grundsätze eines rechtsstaatlichen

Verfahrens zur Anwendung kommen (zB VwSlg. 1196 A/1950, 1977

A/1951, 2054 A/1951, 7307 A/1968 ua.). . .

Mit den von der Methodenlehre entwickelten Grundsätzen und in

Übereinstimmung mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs

(VfSlg. 7182/1973) ist . . . zu klären, welche der sonst

vorhandenen Rechtsvorschriften 'nach Art und Gegenstand' einen dem jeweils konkret zu entscheidenden Fall 'am ähnlichsten' gelagerten Sachverhalt regeln.

Daraus ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung, daß primär auf den §51 Abs1 VStG innewohnenden Grundgedanken abzustellen ist, daß der Tatort für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats maßgeblich sein soll. Nur wo dieser Gedanke - wie bei der Auslandstat, bei der kein Anknüpfungspunkt im Inland gegeben ist - nicht verwirklicht werden kann, sind andere Regelungen - zunächst des VStG - heranzuziehen. Dabei scheiden aber nach Auffassung der Bundesregierung Regelungen, die die erstinstanzliche Zuständigkeit regeln, aus, da eine Analogie nur zu anderen Vorschriften, die die Zuständigkeit einer Berufungsbehörde regeln, zulässig ist (vgl. wieder VfSlg. 7182/1973).

Im einzelnen bedeutet dies für die im Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien dargestellten Fälle folgendes:

Für die Fälle einer Tat, die in mehreren Bundesländern begangen wurde, scheidet die von Thienel (aaO, S 172) angebotene Lösung, daß jeder der mehreren unabhängigen Verwaltungssenate zuständig sei, aus. Wie Thienel zutreffend bemerkt, ist eine Auflösung der Zuständigkeitskonkurrenz zwischen den unabhängigen Verwaltungssenaten gemäß §4 AVG nicht möglich. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß im Hinblick auf die Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz jener Verwaltungssenat zuständig ist, in dessen Sprengel die Tat überwiegend begangen wurde. Diese Lösung ergibt sich aus der Analogie zu dem Grundgedanken des §51 Abs1 VStG, daß jener Verwaltungssenat entscheiden soll, in dessen Gebiet sich die Tat ereignet hat.

In diesem Sinn werden auch die vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien in seinem Antrag an den Verfassungsgerichtshof genannten Fälle wie etwa §14 b Abs1 Z4 Fremdenpolizeigesetz zu lösen sein. Daß ein Bescheid unter Umständen nicht nur aus dem Spruch allein, sondern im Zusammenhalt mit seiner Begründung auszulegen ist, wurde vom Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach festgehalten. Aus der Begründung eines entsprechenden Bescheids muß sich daher auch ergeben, wo sich ein Fremder aufgehalten hat (sonst könnte ihm nicht denkmöglich der Aufenthalt im Inland vorgeworfen werden). Sofern sich der Betreffende in mehreren Bundesländern aufgehalten hat, muß auf das Überwiegen abgestellt werden.

Zu den Fällen, in denen die Tat im Ausland begangen wurde, ist folgendes auszuführen:

In diesen Fällen scheidet eine Analogie zu dem erwähnten Grundgedanken (daß der Tatort für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgebend sein soll) der Sache nach aus. Mit Thienel (aaO, S 173) ist auch davon auszugehen, daß §27 Abs1 VStG - der auf den tatsächlichen Tatort abstellt - nicht herangezogen werden kann (entsprechend den oben entwickelten Grundsätzen ergibt sich die Nichtanwendbarkeit des §27 Abs1 VStG auch schon aus der Überlegung, daß für die Analogie eine Rechtsvorschrift für das erstinstanzliche Verfahren nur bedingt herangezogen werden kann); es ist daher eine Analogie zu §56 Abs3 VStG zu ziehen, sodaß der Sitz der erstinstanzlichen Behörde entscheidet.

Diese Analogie wird in all jenen Fällen zu ziehen sein, in denen der Grundgedanke, daß der Tatort für die örtliche Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats maßgeblich ist, nicht herangezogen werden kann (dies bedeutet etwa, daß nach Auffassung der Bundesregierung in dem auch von Thienel weiters genannten Fall, daß das Straferkenntnis der ersten Instanz den Tatort nicht angibt, ebenfalls eine Analogie zu §51 Abs1 VStG zu ziehen ist; auch in diesem Fall muß aus der Begründung ein örtlicher Anknüpfungspunkt für ein vorgeworfenes Verhalten zu gewinnen sein).

Auch dieser vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien genannte Fall ist daher einer Lösung zugänglich. Auf die Tat im Gebiet mehrerer Bundesländer wurde bereits . . . eingegangen. . .

Zu den vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien erwogenen Lösungsmöglichkeiten, die Regelungslücke zu schließen, wäre auszuführen, daß es nicht darauf ankommen kann, welche Regelungen die Rechtsordnung an anderen Stellen für die erstinstanzliche Zuständigkeit vorsieht. Maßgeblich ist der Grundgedanke, der aus dem Gesetz für den Fall der Erhebung einer Berufung hervorgeht (vgl. im übrigen §24 VStG, demzufolge §3 AVG im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden ist).

Es trifft daher nicht zu, daß mehrere Lösungen für die Schließung der Lücke sich anbieten. Sofern der Grundgedanke, daß der Tatort maßgeblich sein soll, nicht zum Durchbruch kommen kann (etwa weil es sich um eine Auslandstat handelt), wäre die für den Fall der Berufung vorgesehene Regelung des §56 Abs3 VStG heranzuziehen. . .

Zu den weiteren Bedenken des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien gegen die Verfassungsmäßigkeit des §51 Abs1 VStG ist folgendes festzuhalten:

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien geht davon aus, daß die Art129, 129 a und 129 b B-VG an die sonstige für Landesbehörden geltende Territorialgliederung des Behördenaufbaues anknüpfen. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien vertritt die Auffassung, daß die Bundesverfassung für diesen Behördenaufbau vorzeichne, daß der Instanzenzug von jenen Behörden, die nach den allgemeinen Bestimmungen eines Landes tätig werden, nur zu einer Behörde desselben Landes gehe. Nach Auffassung der Bundesregierung kann ein derartiger Grundsatz der Bundesverfassung nicht entnommen werden. Art129 B-VG beruft die unabhängigen Verwaltungssenate 'zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung' gemeinsam mit dem Verwaltungsgerichtshof, ohne die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate auf die Entscheidungen der Behörden des jeweiligen Bundeslandes einzuschränken.

Der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angenommene Grundsatz würde auch dazu führen, daß der Unabhängige Verwaltungssenat Wien für alle Verfahren zuständig gemacht werden müßte, die Entscheidungen von Organen betreffen, die ihren Sitz in Wien haben. Das wären etwa alle Bundesministerien sowie die Organe von gesetzlichen Interessenvertretungen oder selbstverwaltungsähnlichen Einrichtungen mit Sitz in Wien (etwa die Börsekammer nach dem Börsegesetz, BGBl. Nr. 555/1989). Da solche erstinstanzliche Behörden für ganz Österreich zuständig sind (vgl. die Börsekammer), trifft es nicht zu, daß der unabhängige Verwaltungssenat jenes Landes zur Entscheidung berufen sein solle, 'für das die erstinstanzliche Behörde zuständig ist.' Dieser Grundsatz könnte allenfalls insoweit Geltung beanspruchen, als die Worte 'für das die erstinstanzliche Behörde zuständig ist' so zu verstehen sind, daß es darum geht, die Zuständigkeit der Behörde erster Instanz für Fälle, die sich in einem bestimmten Territorium ereignen, zu bestimmen. Wie §29 a VStG zeigt, reicht der so verstandene örtliche Wirkungsbereich der Behörden erster Instanz über das Gebiet, das man als ihren 'Sprengel' bezeichnet, hinaus. Eine Behörde ist auch für Taten, die in einem anderen Bundesgebiet begangen wurden, zuständig, wenn der Beschuldigte seinen Wohnsitz im Sprengel der Behörde hat. Damit ist die Behörde insoweit auch eine 'für' das andere Bundesland zuständige Behörde.

Bei einer Behörde schließlich, deren Sprengel sich gar über mehrere Bundesländer erstreckt, ist der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien formulierte Satz jedenfalls unanwendbar. Eine solche Behörde ist 'für mehrere' Länder zuständig, sodaß der formulierte Satz zur Zuständigkeit mehrerer Verwaltungssenate führen müßte.

Der Bundesregierung erscheint eine solche Auslegung nicht nur nicht zwingend, sondern auch aus föderalistischen Überlegungen zweifelhaft.

Daß der Unabhängige Verwaltungssenat Wien selbst offenbar nicht davon ausgeht, daß der von ihm postulierte Grundsatz gilt, zeigt sich daran, daß er im ersten Teil seines Antrages ohne Bedenken davon ausgeht, daß §3 AVG zur Lückenschließung herangezogen werden könnte. Wenn der Wohnsitz oder die Lage eines Unternehmens tauglicher Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz sein können, kann sehr leicht der Fall eintreten, daß dadurch die Zuständigkeit eines unabhängigen Verwaltungssenats eines anderen Bundeslandes begründet wird als jenes, in dem die Behörde erster Instanz ihren Sitz oder Sprengel hat.

Nicht verständlich ist der Hinweis, daß auch in 'Landesangelegenheiten' die Zuständigkeit eines Verwaltungssenats eines anderen Bundeslandes ('etwa im Bereich der StVO') begründet werden könnte. §29 a VStG verhindert, daß in solchen Fällen eine andere Behörde als eine solche des Bundeslandes des Tatorts in erster Instanz zuständig sein kann.

Die Bundesregierung geht somit davon aus, daß weder in der Lehre noch in der Judikatur bislang der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien postulierte Grundsatz angenommen wurde und daß auch Art129 ff B-VG keinen Anhaltspunkt dafür bieten, bei den unabhängigen Verwaltungssenaten von einem derartigen Grundsatz auszugehen.

Die Art129 ff B-VG lassen es vielmehr offen, welches System der Begründung der örtlichen Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats in Angelegenheiten des Art129 a Abs1 Z1 B-VG der Bundesgesetzgeber wählt. . ."

1.1.3. Zu dieser Äußerung der Bundesregierung (zum AZ G187/91) langte eine Replik des antragstellenden Senats ein.

1.2.1. Ferner stellte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zum AZ G269/91 durch sein zuständiges Mitglied (§51 c VStG) in dem bei ihm gleichfalls anhängigen Verfahren über die Berufung des H K gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 11. Juni 1991, Z IV-Pst 2122/FrB/91, womit eine Verwaltungsstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen) wegen Übertretung des §14 b Abs1 Z4 iVm §2 Abs1 FremdenpolizeiG verhängt wurde, gemäß Art140 Abs1 iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG einen gleichlautenden Aufhebungsantrag (s. Punkt 1.1.1.1), dessen Begründung die im Verfahren AZ G187/91 vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Grund des Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG wiederholt und wie folgt ergänzt:

"Weitere Fälle, in denen §51 Abs1 VStG zu keinem Ergebnis

führt, sind zB Berufungen gegen verfahrensrechtliche Bescheide (zB

Aussetzung des Verfahrens nach §30 Abs2 VStG), wenn noch kein

Straferkenntnis ergangen ist; länderübergreifende Kompetenzen einer

Behörde (zB nach §54 iVm §12 EisenbahnG) und Tatbegehung im

Bereich mehrerer Bundesländer. . .

Zur Äußerung der Bundesregierung (im Verfahren AZ G187/91)

. . . wird hinsichtlich der Lösungsmöglichkeit des 'überwiegenden

Tatortes' der vorliegende konkrete Anlaßfall als Beispiel für die

Nichtanwendbarkeit dieses Lösungsmodells angeführt, da sich weder

aus dem Spruch noch aus der Begründung ein solcher 'überwiegender

Tatort' konstruieren läßt. Die Bundesregierung führt zudem nicht

näher aus, woraus sich der 'überwiegende Tatort' ableiten soll - in

Frage kommt der Ort, wo das Verschulden 'überwiegt' . . ., oder

soll der Zeitfaktor . . . oder die km-Strecke . . . zur Bewertung

herangezogen werden?"

1.2.2. Die Bundesregierung nahm in diesem zweiten Verfahren -

abermals die angefochtene Norm verteidigend - ua. wörtlich wie

folgt Stellung:

". . . Es trifft zu, daß im Fall der Bekämpfung eines

verfahrensrechtlichen Bescheids in einem Verfahren, in dem noch

kein Straferkenntnis ergangen ist, die Regelung, daß die

Zuständigkeit sich nach dem im Straferkenntnis genannten Tatort

richtet, nicht zum Tragen kommen kann. Die Bundesregierung geht

aber davon aus, daß dieser Fall im Wege der Analogie zu §27 Abs1

VStG sehr wohl gelöst werden kann (in diesem Sinne auch Thienel,

aaO, S 173). Dies auf Grund der Erwägung, daß die analoge Anwendung

dieser Bestimmung im Ergebnis dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten

Gedanken, daß der Tatort maßgeblich sein soll, am besten

entspricht: Der verfahrensrechtliche Bescheid kann nur in einem

Verfahren ergehen, dem ein konkretisierter Tatvorwurf, bezüglich

dessen Verfolgungshandlungen gegen einen konkreten Beschuldigten

unternommen wurden, zugrunde liegt. Es ist daher in diesen Fällen

jener unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel

die Tat begangen wurde, die dem Beschuldigten in dem Verfahren, in

dem der verfahrensrechtliche Bescheid erging, vorgeworfen

wird. . .

Zu(r) Fallkonstellation (Tatbegehung in mehreren Bundesländern)

ist ergänzend . . . folgendes zu bemerken: Auslegungsfragen, die im

Rahmen eines 'beweglichen Systems' - wie etwa auch bei der Frage, wann ein fortgesetztes Delikt vorliegt - aufgrund der Abwägung mehrerer für die Lösung ausschlaggebender Faktoren zu beantworten sind, mögen im Einzelfall schwierige Abgrenzungen erfordern. Geht man aber von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Bestimmung der Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats nach dem Aspekt des Überwiegens der Tatbegehung in einem Bundesland aus, dann wären auch die nunmehr genannten Fälle, in denen etwa zeitliche und örtliche Komponenten unterschiedlicher Gewichtung vorhanden sind, lösbar."

2. Über die Anträge wurde erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

Der Verfassungsgerichtshof vertritt auf Grund der Aktenlage die Auffassung, daß der anfechtende Verwaltungssenat die Präjudizialitätsfrage in beiden Verwaltungsstrafsachen denkmöglich bejahte.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die Gesetzesprüfungsanträge zulässig.

2.2. Zur Sache:

2.2.1. Zur Anfechtung aus dem Grund des Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG:

2.2.1.1. Der anfechtende Unabhängige Verwaltungssenat Wien macht dem §51 Abs1 VStG zunächst zum Vorwurf, sowohl lückenhaft als auch unbestimmt zu sein und damit gegen Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG zu verstoßen.

Zur Begründung führt der Senat - zusammengefaßt wiedergegeben - aus, es könnte der Tatort einer Verwaltungsübertretung im Erkenntnis der Strafbehörde nicht aufscheinen, sich über das gesamte Bundesgebiet erstrecken oder in mehreren Bundesländern oder im Ausland liegen. Für alle diese ungeregelt gebliebenen Fallkonstellationen biete das Gesetz keine (eindeutige) Lösung an. Gleiches gelte für Berufungen gegen verfahrensrechtliche Bescheide.

2.2.1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt aussprach, bindet Art83 Abs2 B-VG nicht nur die Vollziehung, sondern auch den Gesetzgeber. Das bedeutet, daß die sachliche Zuständigkeit einer Behörde im Gesetz selbst festgelegt sein muß (VfSlg. 6675/1972, 8349/1978; s. auch VfSlg. 2909/1955, 3156/1957). In Fortentwicklung dieser Judikatur vertrat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 9937/1984 die Rechtsansicht, daß Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG den Gesetzgeber zu einer strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit verpflichtet (vgl. VfSlg. 3994/1961, 5698/1968, 10.311/1984). Die Zuständigkeitsfestlegung muß so klar und unmißverständlich sein, daß es keiner subtilen und komplizierten Auslegung (mehr) bedarf, um die vom Gesetzgeber gewollte Kompetenz der Behörden, und zwar auch der Rechtsmittelinstanzen, ermitteln zu können. Regelungstechniken, die besondere Unsicherheit in der Frage nach den zuständigen Rechtsmittelbehörden entstehen lassen, sind - im Interesse der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung - verfassungsgesetzlich verpönt (VfSlg. 9937/1984, S 114 u. 117). Diese Anforderungen an Regelungen der sachlichen (und funktionellen) Kompetenz müssen nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs grundsätzlich auch an Normen über die örtliche Zuständigkeit gestellt werden (s. Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 1991, S 29), so auch an §51 Abs1 zweiter Halbsatz VStG.

2.2.1.3. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß §51 Abs1 VStG diesen hier entwickelten verfassungsgesetzlichen Anforderungen aus den im wesentlichen schon in den Äußerungen der Bundesregierung ausführlich dargelegten Gründen genügt:

Nach §51 Abs1 VStG steht dem Beschuldigten "das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde". Diese Gesetzesstelle räumt folglich in ihrem ersten Halbsatz dem Beschuldigten grundsätzlich das Recht zur Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat ein und bringt im zweiten Halbsatz deutlich und unmißverständlich den leitenden Grundgedanken zum Ausdruck, daß sich die örtliche Zuständigkeit der Berufungsbehörde nach dem Ort der Tatbegehung richten soll. Dem anfechtenden Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ist zuzugeben, daß §51 Abs1 VStG für die in der Anfechtungsschrift aufgezählten - vergleichsweise wohl eher seltenen - Fallgestaltungen keine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung enthält. Es handelt sich hier also angesichts des offenkundigen Gesetzeszwecks um eine planwidrige (Regelungs-)Lücke, die sich aber entgegen der Rechtsmeinung des anfechtenden Senats an Hand der vom Gesetz selbst gegebenen Hinweise völlig zwanglos durch Analogie schließen läßt (vgl. dazu: VfSlg. 9748/1983), ohne daß von einer unbestimmten Kompetenzabgrenzung (wie etwa im Fall, der dem schon vom Verwaltungssenat zitierten verfassungsgerichtlichen Erkenntnis VfSlg. 9937/1984 zugrundelag) gesprochen werden könnte.

Zunächst muß nämlich davon ausgegangen werden, daß ein Bescheid nicht nur aus dem Spruch, sondern unter Umständen auch im Zusammenhalt mit seiner Begründung auszulegen ist

(VfSlg. 2199/1951, 6764/1972, 8264/1978, 8346/1978, 8581/1979, 8981/1980, 9069/1981, 9432/1982), und zwar jedenfalls dann, wenn die Behörde entgegen §44 a Z1 VStG im Spruch ihres

Strafbescheides den - Bestandteil der gesetzlich gebotenen Tatumschreibung bildenden - Tatort nicht angibt. Nennt auch die Bescheidbegründung den Tatort nicht ausdrücklich oder geht es um verfahrensrechtliche Bescheide, die der Verwaltungssenat in diesem Zusammenhang ebenfalls ins Treffen führt, muß der Tatzuschreibung in örtlicher Beziehung der konkretisierte Tatvorwurf, wie er sich aus den Akten in Verbindung mit der Bescheidbegründung in der Regel notwendig ergibt, zugrundegelegt werden.

Hat nun der Beschuldigte die Tat in allen oder in mehreren Bundesländern verübt, ist zur Entscheidung über die Berufung - wie sich aus dem der Vorschrift des §51 Abs1 VStG innewohnenden Grundprinzip (: (inländischer) Tatort als Kompetenz-Bestimmungsgrund) herleiten und folgern läßt - jener Verwaltungssenat (örtlich) zuständig, in dessen Sprengel das Delikt nach den verwaltungsbehördlichen Sachverhaltsannahmen zum überwiegenden Teil begangen wurde.

Geht es aber um Auslandstaten oder um Delikte, die in örtlicher Hinsicht letztlich wirklich unkonkretisier- und unzurechenbar bleiben, kann zwar nicht auf den Grundgedanken der Kompetenznorm zurückgegriffen werden. Doch kommt in solchen Fällen - unter Bedachtnahme auf das Gebot der möglichst verfassungskonformen Interpretation - die nach Art und Gegenstand ähnlichste Regelung des VStG zur Anwendung (vgl. VfSlg. 7182/1973), nämlich die Vorschrift des §56 Abs3 VStG, die in Privatanklagesachen die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats zur Entscheidung über die Berufung des Privatanklägers gegen die (Verfahrens-)Einstellung vom Sitz der Behörde abhängig macht, die den bekämpften Bescheid erlassen hat.

2.2.2. Zur Anfechtung aus dem Grund der Art129, 129 a B-VG:

2.2.2.1. Des weiteren macht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (nur im Verfahren G187/91) geltend, der Gesetzgeber sehe mit §51 Abs1 VStG - den Art129 und Art129 a B-VG zuwider - Instanzenzüge "quer durch Österreich" vor, indem er die örtliche Zuständigkeit dermaßen bestimme, daß die in jedem Bundesland errichteten unabhängigen Verwaltungssenate (auch) über Bescheide abzusprechen hätten, die von Behörden anderer Bundesländer erlassen worden seien.

2.2.2.2. Der Meinung des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien zuwider erfordert jedoch die Bundesverfassung nicht, daß jedem unabhängigen Verwaltungssenat nur die Kontrolle der auf dem Territorium seines Landes ergehenden Entscheidungen zukomme. Nach Art129 B-VG sind "zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung . . . die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und der Verwaltungsgerichtshof in Wien berufen". Damit ist der Amtssprengel der unabhängigen Verwaltungssenate (: "in den Ländern") festgelegt; er umfaßt das Gebiet des (Bundes-)Landes, von dem der jeweilige unabhängige Verwaltungssenat eingerichtet wurde. Im B-VG findet sich indessen keine Vorschrift, die konkrete Anknüpfungspunkte für die Beziehung einzelner Verwaltungsstrafsachen zum Landesgebiet und damit für die Bestimmung der örtlichen Kompetenz (der unabhängigen Verwaltungssenate) vorsieht (s. Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 1991, S 169). Das hat zur Folge, daß die entsprechenden Regelungen dem zuständigen einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben, der die örtliche Kompetenz der Verwaltungssenate in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eben nicht vom Sitz der Verwaltungsbehörde abhängig macht, die den bekämpften Bescheid erlassen hat, sondern - verfassungsrechtlich unbedenklich - vom Ort der Tatbegehung, eine Regelung, deren Zweckmäßigkeit der Verfassungsgerichtshof weder zu untersuchen noch zu beurteilen hatte.

2.2.3. Die geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken treffen darum insgesamt nicht zu.

Die Anträge waren als unbegründet abzuweisen.

2.2.4. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen.

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