Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs4
Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 13.12.82, BGBl 612/1982, über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen
ASVG §59 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs4
Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 13.12.82, BGBl 612/1982, über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen
ASVG §59 Abs1
Spruch:
Die Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982, BGBl. Nr. 612/1982, über die Höhe der Verzugszinsen gemäß §59 Abs1 ASVG, war vom Beginn des Jahres 1986 bis Ende des Jahres 1989 gesetzwidrig.
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Nach §59 Abs1 ASVG sind von rückständigen Beiträgen Verzugszinsen in einem Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten, der 8,5 v.H. nicht unterschreiten und 14 v.H. nicht überschreiten darf und innerhalb dieses Rahmens durch Verordnung "unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen festzusetzen" ist.
Mit Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982, BGBl. 612, wurde dieser Zinssatz mit 10,5 v.H. festgelegt. Er blieb seither unverändert.
II. Im April 1984 schrieb die Vorarlberger Gebietskrankenkasse dem zu B665/90 beschwerdeführenden Verein für die Beschäftigung des Wiener Volksopernchores während der Sommerfestspiele in Bregenz eine Beitragsnachzahlung von 648.642,40 S vor. Der Landeshauptmann hob diese Vorschreibung zwar zunächst im Dezember 1984 auf, wies aber nach Wiederaufnahme des Verfahrens den Einspruch schließlich ab. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos. Am 18. Mai 1989 begehrte die Vorarlberger Gebietskrankenkasse für den Zeitraum vom 19. April 1984 bis 12. Mai 1989 Verzugszinsen in der Höhe von 10,5 v.H. des nachzuzahlenden Betrages. Mit dem vorliegenden Bescheid wurde der Einspruch des beschwerdeführenden Vereins gegen diese Zinsenvorschreibung abgewiesen.
Die Beschwerde rügt in erster Linie die Gesetzwidrigkeit der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982, BGBl. 612/1982, über die Höhe der Verzugszinsen gemäß §59 Abs1 ASVG. Nach dem Gesetz sei der Hundertsatz unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen festzusetzen. Dieser Nominalzinssatz sei jedoch seit 1982 von 9,69 v.H. auf 7,75 v.H. im Jahr 1983, 8,25 v.H. 1984, 8,35 v.H. 1985, 7,08 v.H. 1986 und 6,61 v.H. 1987 gesunken und 1988 noch auf 6,625 v.H. und 1989 auf 7,18 v.H. geblieben. Die Unterlassung der Anpassung des verordneten Zinssatzes an diese Entwicklung habe die Verordnung gesetzwidrig gemacht. Außerdem schreibe §59 ASVG ohne sachlichen Grund einen Mindestsatz von 8,5 v.H. vor.
Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der in Rede stehenden Verordnung beschlossen. Er ist dabei davon ausgegangen, daß §59 Abs1 ASVG in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der 35. Novelle, BGBl. 585/1980 (535 BlgNR 15.GP, 19) wie folgt motiviert ist:
"Aufgrund der Bestimmung des §59 Abs1 ASVG haben Beitragspflichtige bei nicht rechtzeitiger Einzahlung der Beiträge Verzugszinsen im gesetzlich geregelten Ausmaß von 8,5 v.H. zu entrichten. Dieser Prozentsatz steht in einem Mißverhältnis zu dem am Geldmarkt derzeit üblichen Kreditzinsfuß. Wie der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger berichtet, hat dies zur Folge, daß die Dienstgeber in einem steigenden Umfang anstelle einer Inanspruchnahme von kommerziellen Krediten die Beiträge zur Sozialversicherung verspätet bezahlen. Besonders die Pensionsversicherungsträger, im vermehrten Umfang aber auch die Krankenversicherungsträger, haben die nachteiligen Folgen dieser Zahlungspraktiken zu tragen.
Im Interesse eines wirksamen Beitragseinzuges soll die gegenwärtig bestehende große Differenz zwischen dem starren Verzugszinsensatz von 8,5 v.H. und dem am Geldmarkt üblichen Zinssatz für kommerzielle Kredite durch eine Anhebung des Verzugszinsensatzes reduziert werden. Die Festsetzung des in Betracht kommenden Hundertsatzes soll daher künftig im Verordnungsweg vorgesehen werden, wobei der Hundertsatz unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen 8,5 v.H. nicht unterschreiten und 14 v.H. nicht überschreiten darf."
Dem Verfassungsgerichtshof lagen bei Einleitung des Verfahrens Stellungnahmen der belangten Behörde, der beteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse und des Bundesministers für Arbeit und Soziales vor.
Während sich der belangte Landeshauptmann in seiner Gegenschrift mit der Feststellung begnügte,
"... daß der häufige Wechsel der Bankrate für die Verzugszinsenregelung des ASVG für unzweckmäßig erachtet wurde; vor allem deshalb, weil auch im Bereich des Steuerrechtes von der Koppelung der Stundungszinsen nach der BAO mit der genannten Bankrate abgegangen wurde und damit die Parallelität zwischen den sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Zinssätzen gestört war ...",
war die Vorarlberger Gebietskrankenkasse der Auffassung, daß auf den Nominalzinssatz für Bundesanleihen bloß Bedacht zu nehmen sei und machte darauf aufmerksam, daß dieser Nominalzinssatz und die durchschnittlichen Zinsen für Geschäftskredite erheblich auseinanderklaffen; sie ging dabei von folgenden Zahlen aus:
"Jahr durchschnittlicher durchschnittlicher
Nominalzinssatz für Zinssatz für
Bundesanleihen Geschäftskredite
1982 9,62 % 12,375 %
1983 8,07 % 10,125 %
1984 8,31 % 9,75 %
1985 7,87 % 9,5 %
1986 7,26 % 9,125 %
1987 6,76 % 8,375 %
1988 6,67 % 8,25 %
1989 7,12 % 8,625 %."
Bei Festsetzung der Verzugszinsen sei zu berücksichtigen gewesen, daß einerseits der Verwaltungsmehraufwand abgegolten werde und andererseits keinerlei wirtschaftlicher Anreiz für den Dienstgeber bestehe, Beiträge schuldig zu bleiben.
Ein in der Gegenschrift der Gebietskrankenkasse bezogener Diskussionsbeitrag von Souhrada, SoSi 1983, 474f, hatte eine Anhebung des Verzugszinsensatzes auf 12 v.H. verlangt und unter anderem einen Beschluß des LGZRS Wien (49 Nc 83/83-2 vom 1. Februar 1983) zitiert, wonach Rückstände bei Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen deshalb nicht als ein Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit gewertet werden könnten,
"... weil ein Sozialversicherungsrückstand wirtschaftlich gesehen die Wirkung eines unbesicherten Kredites hat, noch dazu eines Kredites, um welchen nicht angesucht werden muß, eines Kredites, der nicht der Zustimmung des Kreditgebers bedarf, eines Kredites, den sich der Schuldner einfach im gewünschten Maße nehmen kann, eines Kredites, der im Verhältnis zu den sonst für unbesicherte Kredite geforderten Zinsen sogar mit Verzugszinsen (nur 10,5 %) und Säumniszuschlägen etc. sehr billig ist. Bei dieser Sachlage wäre es nach Ansicht des Gerichtes geradezu ein unternehmerischer Fehler (Managementfehler), wenn ein Unternehmer von dieser in seinem Belieben stehenden Kreditaufnahmemöglichkeit (von diesem billigen Geld) keinen Gebrauch machte."
Der Verfassungsgerichtshof hat überdies eine Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Soziales eingeholt. Auch dieser ist der Meinung, §59 Abs1 ASVG verlange keine direkte Anpassung des Hundertsatzes an die Entwicklung des Nominalzinssatzes für Bundesanleihen von einem Kalenderjahr auf das nächste. Das Gebot der Bedachtnahme auf den jeweiligen Satz setze vielmehr eine Richtschnur für einen längeren Zeitraum. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß der Verzugszinsensatz jährlich anzupassen sei, so hätte er das - wie in den §§108a ff ASVG - auch zum Ausdruck gebracht. Ursprünglich sei die Höhe der Verzugszinsen im Gesetz selbst mit 7,5 v.H. fixiert gewesen. Bei Schaffung der Verordnungsermächtigung sei im Gesetz für die Zeit bis zur Erlassung der Verordnung ab Jänner 1981 ein Satz von 11,5 v.H. festgelegt worden.
Daran anknüpfend führt der Bundesminister für Arbeit und Soziales zur Lage auf Verordnungsstufe folgendes aus:
"Schon im November 1981 regte der Hauptverband der Sozialversicherungsträger an, die Verzugszinsen neuerlich zu erhöhen, da
1. im Oktober 1981 eine Bundesanleihe ausgegeben wurde, die einen Nominalzinssatz von 11 % (und somit 1,5 % über den Bundesanleihen Oktober 1980 und Jänner 1981) aufweist und
2. ein Kreditzinssatz von bis zu 16,5 % gegeben sei, sodaß säumige Dienstgeber aufgrund des günstigen Zinssatzes für Verzugszinsen von 11,5 % nicht wirksam dazu verhalten werden, Beiträge rechtzeitig abzuführen.
Durch Verordnung ... vom 22. März 1982, ... BGBl. Nr. 159, wurde mit Wirksamkeit ab Beginn des Beitragszeitraumes April 1982 der Zinssatz mit 12,5 % festgelegt. Die im Jänner 1982 aufgelegte Bundesanleihe wies einen Nominalzinssatz von 10,5 v.H. auf. Im Interesse eines wirksamen Beitragseinzuges wurde die Spanne um 2 Prozentpunkte, mit welchem der Hundertsatz für Verzugszinsen bis dahin über dem Nominalzinssatz für Bundesanleihen lag, weiter beibehalten.
Infolge des bereits erfolgten und des absehbaren Sinkens des Zinsenniveaus wurde mit Verordnung vom 13. Dezember 1982 ..., BGBl. Nr. 612, der Hundertsatz der Verzugszinsen ab Beginn des Beitragszeitraumes Jänner 1983 mit 10,5 v.H. festgesetzt. Die im September 1982 aufgelegte Bundesanleihe wies einen Nominalzinssatz von 9,125 v.H. bei kurzfristiger und 9,375 v.H. bei langfristiger Laufzeit auf. Neben anderen Stellen hatte sich der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vehement gegen die Senkung der Verzugszinsen ausgesprochen, da ein Zinssatz von 10,5 v.H. wesentlich unter dem allgemeinen Zinsenniveau für Bankkredite lag. Weiters wies der Hauptverband darauf hin, daß bei der Wiener Gebietskrankenkasse der Rückstand per 31.10.1982 1,34 Milliarden Schilling betrug, während per 31.12.1977 nur 463 Millionen Schilling aushafteten. Aus diesen Zahlen sei ersichtlich, daß der Rückstand an Beiträgen in bedrohlicher Weise zunehme. Die sehr beträchtlichen Rückstände der Dienstgeber führen dazu, daß die Treuhandschulden der Krankenversicherungsträger bei weitem höher seien, als dies vertretbar sei. Zum Stichtag 30. Oktober 1981 haben die Gebietskrankenkassen insgesamt Rückstände von 3,2 Milliarden Schilling ausgewiesen, wovon rund 2 Milliarden Schilling auf die Beitragsanteile der Pensionsversicherungsträger entfielen.
Im Hinblick auf das sinkende Zinsenniveau wurde, trotz der schwerwiegenden Einwände des Hauptverbandes die oben zitierte Verordnung mit dem Zinssatz von 10,5 v.H. erlassen. Es war jedoch klar, daß die erwartete weitere Senkung des Zinsgefüges der prohibitiven Zielsetzung des §59 Abs1 ASVG zugute kommen muß, um die steigende Inanspruchnahme des billigen 'Sozialversicherungskredites' hintanzuhalten.
Die Neuordnung des Insolvenzrechtes durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982 ließ eine Erschwernis des Beitragseinzugs für die Sozialversicherungsträger erwarten. Mit Wirkung vom 1. Jänner 1984 wurden für Verfahren, die ab diesem Zeitpunkt eröffnet wurden, die Konkursklassen annuliert und eine gemeinschaftliche Konkursklasse geschaffen. Die Bevorrechtung der Sozialversicherungsträger im gerichtlichen Ausgleich wurde dadurch weitgehendst beseitigt. Für die Sozialversicherungsträger bedeutete dies gegenüber der bisherigen Rechtslage eine Verschlechterung ihrer Stellung im Verfahren, sodaß erhebliche finanzielle Einbußen erwartet wurden.
Die demographische und wirtschaftliche Entwicklung machten Mitte der achtziger Jahre schließlich Maßnahmen zur finanziellen Absicherung der Pensionen sowie zur Budgetkonsolidierung erforderlich (bekanntlich trägt der Bund durch den Einsatz von Bundesmitteln zur Finanzierung der Pensionen bei: die Bundesmittel betrugen etwa 1984 33,7 Milliarden Schilling und 1987 44,4 Milliarden Schilling). Diese Maßnahmen fanden in den im Zuge der 40. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 484/1984 und im Zuge der 44. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 609/1987, erfolgten Pensionsreformen ihren Niederschlag.
Auch die 44. Novelle zum ASVG stand im Zeichen der Lösung der Finanzierungsprobleme der Pensionsversicherung.
Die Höhe der Verzugszinsen steht auch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Sozialversicherungsträger. Nicht rechtzeitig entrichtete Beiträge können, abgesehen von den dadurch entstehenden Verwaltungskosten, zu einem Mehraufwand des Bundesbeitrages führen.
Im Lichte dieser einschneidenden Maßnahmen durch die Pensionsreformen erschien eine lineare Herabsetzung der Höhe der Verzugszinsen zu den sinkenden Bundesanleihenzinsen sozialpolitisch nicht vertretbar. Die Liquiditätslage der Sozialversicherungsträger, insbesondere der Pensionsversicherungsträger hätte sich dadurch weiter verschlechtert und säumige Dienstgeber hätten auf Kosten der Allgemeinheit vermehrt die Möglichkeit von Beitragsschulden als Kreditersatz angesehen.
Bereits in der zweiten Jahreshälfte 1988 war jedoch wieder ein Ansteigen des Zinsgefüges zu verzeichnen.
...
Es obliegt grundsätzlich dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, für den Fall der Erlassung einer Verordnung, den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen im Lichte der sonstigen Verhältnisse im Tatsachenbereich zu werten. Die in eine solche Wertung eingeflossenen Überlegungen waren im gegebenen Fall die Änderung der Rechtslage im Insolvenzrecht, die allgemeine wirtschaftliche und budgetäre Lage sowie die finanzielle Lage insbesondere der Pensionsversicherungsträger und das unverminderte Erfordernis, für den Beitragseinzug einen Steuerungsmechanismus zur Verfügung zu haben, um die Versichertengemeinschaft vor weiteren finanziellen Nachteilen zu schützen.
Diese Überlegungen haben dazu geführt, daß trotz der Änderung des Nominalzinssatzes für Bundesanleihen seit der Erlassung der Verordnung, BGBl. Nr. 612/1982, keine Änderung der Höhe der Verzugszinsen vorgenommen worden ist."
Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, daß §59 Abs1 ASVG verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil ein Vergleich zwischen dem hier geregelten Hundertsatz und den privatrechtlichen Verzugszinsen nicht zulässig ist und der Gesetzeszweck im Zusammenhang mit den Höchst- und Mindestsätzen und dem Nominalzinssatz als Richtgröße genügend Anhaltspunkte für die Festsetzung des Hundertsatzes durch die Behörde bietet (vgl. dazu die im Erkenntnis VfSlg. 11.938/1988 genannte Rechtsprechung). Er nahm vorläufig an, daß der Zusammenhang zwischen dem "jeweiligen Nominalzinssatz" für Bundesanleihen und dem Hundertsatz für die Verzugszinsen, den das Gesetz hergestellt wissen will, kein unmittelbarer sein muß, - etwa so, daß der Hundertsatz dem jeweiligen Nominalzinssatz entsprechen müßte -, weil der Gesetzgeber selbst bei Ermächtigung der Behörde zur Festlegung durch Verordnung in der Übergangsvorschrift (ArtVI Abs6 der 35. Novelle) den Hundertsatz noch mit 11,5 und damit deutlich über dem Nominalzinssatz der damaligen Bundesanleihen festgesetzt hat. Es ist gerade kein bestimmter Abstand festgesetzt, in welchem sich der Hundertsatz über dem Nominalzinssatz bewegen soll.
Gleichwohl hatte der Verfassungsgerichtshof gegen die Verordnung folgende Bedenken:
"Da das Gesetz zugleich (arg. 'jeweiligen') eine Anpassung an den Nominalzinssatz vorschreibt, legt die Wahl des Begriffes 'Bedachtnahme' die Auslegung nahe, daß zwar in bezug auf die Höhe des Hundertsatzes auf die verschiedenen Zwecke der Festsetzung von Verzugszinsen zu sehen ist, die Anpassung aber im wesentlichen doch den Bewegungen des genannten Nominalzinssatzes zu folgen hat.
Auch wenn der Gerichtshof der Äußerung des Bundesministers für Arbeit und Soziales einräumt, daß sich der verordnete Zinssatz alsbald als unzureichend erwiesen hat und die Unterlassung einer Anpassung und die Bewegung des Nominalzinssatzes eine Zeit lang berechtigt gewesen sein dürfte, scheint doch der dem Gesetzeszweck Rechnung tragende Abstand zwischen Hundertsatz und Nominalzinssatz seit dem Jahre 1986 erkennbar überschritten zu sein, sodaß die Verordnung gesetzwidrig geworden sein dürfte."
Im Verordnungsprüfungsverfahren hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales auf seine Stellungnahme im Beschwerdeverfahren verwiesen und auf eine weitere Äußerung verzichtet.
III. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig. Das Verfahren hat nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung sprechen würde. Auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.
IV. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind auch begründet. Die Verordnung über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen war zwischen 1986 und 1989 gesetzwidrig.
Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken zerstreut hätte. Der im Gesetz als Richtwert genannte jeweilige Nominalzinssatz für Bundesanleihen fiel im Durchschnitt des Jahres 1986 auf 7,26, blieb 1987 und 1988 unter 7,00 und war 1989 erst wieder auf 7,12 gestiegen. Damit erweist sich der Abstand des festgesetzten Hundertsatzes von 10,5 auch unter Berücksichtigung des zur Erreichung des Gesetzeszweckes notwendigen Abstandes zum Nominalzinssatz als zu groß.
Durch allgemeine Erwägungen über die finanzielle Lage der Sozialversicherungsträger läßt sich die Außerachtlassung des gesetzlichen Gebotes nicht rechtfertigen. Daß besondere Gründe es verlangt hätten, einen derart großen Abstand hinzunehmen, hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales nicht darzutun vermocht.
Zu beachten ist jedoch, daß der Nominalzinssatz für Bundesanleihen im Jahre 1990 wieder über 8,5 gestiegen ist und sich damit der Abstand sogar unter jene Größenordnung (von zwei Prozentpunkten) verringert hat, den der Gesetzgeber selbst bei Feststellung des Hundertsatzes bis zur Erlassung der Verordnung für angemessen erachtet hat. Der Verfassungsgerichtshof hat daher keinen Anlaß, die Verordnung aufzuheben. Vielmehr hat er sich auf die Feststellung zu beschränken, daß sie von 1986 bis 1989 verfassungswidrig war (Art139 Abs4 B-VG).
Die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5
B-VG.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtsache nicht zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
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