Normen
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 02.05.79. Zl 9076/7-9c/79, betreffend Genehmigung zur Errichtung der ersten Wiener Islamischen Religionsgemeinde "und der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich"
BG über das BGBl §2 Abs1 litf
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 02.05.79. Zl 9076/7-9c/79, betreffend Genehmigung zur Errichtung der ersten Wiener Islamischen Religionsgemeinde "und der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich"
BG über das BGBl §2 Abs1 litf
Spruch:
Die V des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 2. Mai 1979, Zl. 9076/7-9c/79, betreffend Genehmigung zur Errichtung der ersten Wiener Islamischen Religionsgemeinde "und der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich", wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 1988 in Kraft.
Der Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bundesminister für Unterricht und Kunst erließ am 2. Mai 1979, Zl. 9076/7-9c/79, die folgende Erledigung:
"Vertreter des 'Moslemischen Sozialdienstes' in Wien stellten am 26. Jänner 1971 das Ansuchen, die Genehmigung der Errichtung sowie der Statuten der Religions(Kultus-)gemeinde für Österreich mit dem Sitz in Wien unter der Benennung 'Islamische Gemeinde zu Wien' der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft der Anhänger des Islam nach hanefitischem Ritus auszusprechen und die Genehmigungsurkunde zuzustellen. Auf Grund vielfacher Umarbeiten stellte derselbe Moslemische Sozialdienst am 20. April 1979 den Antrag, der Endfassung der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gemäß dem Gesetz vom 15. Juli 1912, RGBl. Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft die Genehmigung zu erteilen. Auf Grund dieses Antrages ergeht nachstehender
Bescheid:
Auf Grund der Bestimmungen von Artikel I §1 des Gesetzes vom 15. Juli 1912, RGBl. Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft, und unter Anwendung der §§4 und 5 und des §6 letzter Absatz des Gesetzes vom 20. Mai 1874, RGBl. Nr. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellchaften, wird
1. zur Errichtung der ersten Wiener Islamischen Religionsgemeinde und
2. der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gemäß dem Gesetz vom 15. Juli 1912, RGBl. Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft
die Genehmigung erteilt.
Die Konstituierung der Wiener Religionsgemeinde kann stattfinden."
2.a) In der Folge entstanden innerhalb der "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" Streitigkeiten über die gültige Zusammensetzung ihrer Organe.
In diesem Zusammenhang erließ der Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - am 27. März 1985, Zl. 9076/4-9c/85, folgenden Bescheid:
"Die Entgegennahme und Kenntnisnahme der Wahlanzeigen der Herren
1. Dr. S, Ing. S, Dipl.Ing. Dr. Ch und E vom 1.7.1983 über die Absetzung von Herrn Dr. A als Präsident des Gemeindeausschusses der Islamischen Religionsgemeinde für Wien, Niederösterreich und Burgenland, über die Bestimmung von Herrn Dr. S zum Präsidenten dieses Gemeindeausschusses und über die Enthebung des Herrn Dr. A als Fachinspektor;
2. Dr. S und Dipl.Ing. Dr. Ch vom 6.3.1984 über die Abwahl von Herrn Dr. A als Vorsitzenden des Oberseniorates und als Mitglied des Gemeindeausschusses der Islamischen Religionsgemeinde für Wien, Niederösterreich und Burgenland, über die Wahl von Herrn Dr. S zum Vorsitzenden des Oberseniorates unter gleichzeitiger Änderung der Zusammensetzung dieses Oberseniorates und über die Wahl von Herrn Dipl.Ing. Dr. Ch zum Präsidenten und Herrn I U zum Stellvertreter des Präsidenten der Landesversammlung;
3. Dr. S, E, Ing. S und Dipl.Ing. Ch, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Böhmdorfer, vom 7.5.1984 über die Bestellung von Herrn Dr. S zum Präsidenten der Islamischen Religionsgemeinde für Wien, Niederösterreich und Burgenland am 11.3.1984;
werden gemäß Artikel I des Gesetzes vom 15.7.1912, RGBl. Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft und gemäß §9 Abs3 des Gesetzes vom 20.5.1874, RGBl. Nr. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, abgelehnt."
b) Gegen diesen Bescheid des Bundesministers vom 27. März 1985 erhoben Dr. T S, Ing. S S, Dipl.Ing. Dr. N Ch, Dipl.Ing. T V, der Gemeindeausschuß der islamischen Religionsgemeinde in Wien, Niederösterreich und Burgenland, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, die Landesversammlung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, die Religionsgemeinde für Wien, Niederösterreich und Burgenland sowie das Oberseniorat der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich zur hg. Zl. B308/85 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird.
3. Der VfGH beschloß am 4. Dezember 1986, aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß Art139 Abs1 B-VG von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der unter I.1. näher bezeichneten - vom Gerichtshof vorläufig als Rechtsverordnung qualifizierten - Erledigung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 2. Mai 1979 einzuleiten (V11/87).
U.a. aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsverfahrens leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von amtswegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "nach hanefitischem Ritus" in ArtI erster Absatz sowie jeweils in den §§5 und 6 desselben Artikels des Gesetzes vom 15. Juli 1912, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 159, (Islamgesetz) ein.
Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1987, G146,147/87 (= VfSlg. 11574/1987), hob er diese Gesetzesbestimmungen als verfassungswidrig auf.
II. Im Verordnungsprüfungsverfahren wurde erwogen:
1.a) Der VfGH ging in dem dieses Verfahren einleitenden Beschluß vom 4. Dezember 1986 vorläufig davon aus, daß die zu prüfende Erledigung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 2. Mai 1979 (s.o. I.1.) - ungeachtet dessen, daß sie sich selbst als "Bescheid" bezeichnet - als V iS des Art. 139 Abs1 B-VG (und zwar als Rechtsverordnung) zu qualifizieren ist. Diese Annahme hat sich als zutreffend herausgestellt:
Die Erledigung wendet sich nicht bloß an den "Moslemischen Sozialdienst", an den sie formell erging, sondern an die Allgemeinheit, indem sie bewirkt, daß eine Religionsgemeinschaft und eine Religionsgemeinde für den staatlichen Bereich die vom Gesetz vom 20. Mai 1874, RGBl. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften - AnerkennungsG - vorgesehene Anerkennung erlangt haben. Sie begründet Rechte und Pflichten für alle Bekenner des islamischen Glaubens, also nicht bloß für die Antragsteller (vgl. VwGH 5.11.1953, Zl. 908/53).
Das AnerkennungsG (auf das sich die zu prüfende Erledigung neben dem Gesetz vom 15. Juli 1912, RGBl. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft ausdrücklich beruft) geht davon aus, daß die Anerkennung iS des AnerkennungsG durch Rechtsverordnung auszusprechen ist (vgl. Klecatsky-Weiler, in ÖR IV b 1, Anm. 2 zu §2 AnerkennungsG).
Im Hinblick auf ihren Inhalt und auf ihren gesetzlichen Hintergrund ist die zu prüfende Erledigung eine generelle (nicht in Gesetzesform ergangene) Rechtsnorm; sie ist sohin eine V (vgl. zum Begriff der V die ständige Judikatur des VfGH, zB VfSlg. 2465/1953, 3896/1961, 7717/1975). Daran ändert nichts, daß die Intention des Bundesministers erkennbar darauf gerichtet war, einen Bescheid zu erlassen; es ist ihm nach dem Gesagten nämlich nicht gelungen, diese - auf einen Rechtsformenmißbrauch hinauslaufende - Absicht zu verwirklichen.
Die Erledigung hat als V Eingang in die Rechtsordnung gefunden. Wenngleich sie formell nur dem "Moslemischen Sozialdienst" zugestellt wurde, ist sie doch zumindest den (angeblichen) Funktionären der Glaubensgemeinschaft auch im Detail bekanntgeworden. Zumindest ein beachtlicher Teil der Bekenner des Islams in Österreich hat Kenntnis von der Glaubensgemeinschaft, die für den staatlichen Bereich ihre Existenz auf diese Norm zurückführt.
b) Der VfGH hätte diese Rechtsverordnung im Beschwerdeverfahren anzuwenden:
Schon die Lösung der Frage, wer von den neun Bf. beschwerdelegitimiert ist (so, wer von ihnen als juristische Person anzusehen ist), ist nur anhand dieser Norm und der "Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft", die durch sie für den staatlichen Bereich Geltung erlangte, möglich.
Soweit die Beschwerde zulässig sein sollte, wäre wohl auf diese Bestimmungen zurückzugreifen, um zu klären, ob und inwieweit welche Behörde berufen war, den angefochtenen Bescheid zu erlassen.
Die V ist ihres untrennbaren Zusammenhanges wegen zur Gänze präjudiziell.
c) Da auch die weiteren Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. Im Einleitungsbeschluß wurde primär das Bedenken geäußert, daß die in Prüfung gezogene V an einem Kundmachungsmangel leide. Dieses Bedenken trifft zu:
Wie soeben dargetan wurde, ist die Erledigung als V eines Bundesministers zu werten, die nicht ausschließlich an unterstellte Verwaltungsbehörden erging.
Als solche wäre sie gemäß §2 Abs1 litf des BG über das Bundesgesetzblatt im Bundesgesetzblatt kundzumachen gewesen. Eine solche Publikation ist unterblieben.
Die V ist sohin tatsächlich mit einem Kundmachungsmangel belastet und daher gesetzwidrig.
Sie war allein schon aus diesem Grunde aufzuheben.
3. Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art139 Abs5 B-VG.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
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