Spruch:
Der Bf. ist durch seine am 27. Oktober 1986 um 8 Uhr 15 als Lenker eines Pkw im Stadtgebiet von Salzburg von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg verfügte Festnahme und anschließende Anhaltung in Haft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) und das Land Salzburg sind schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 11.000,-- bestimmten Verfahrenskosten je zur Hälfte binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Dr. K F S, Rechtsanwalt in Salzburg, begehrte in seiner unter Berufung auf Art144 (Abs1) B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch (der Bundespolizeidirektion Salzburg als belangter Behörde zuzurechnende) exekutive Amtshandlungen, nämlich seine Festnahme am 27. Oktober 1986 im Stadtgebiet von Salzburg und seine darauffolgende Verwahrung, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, so im Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art5 MRK), verletzt worden sei.
1.1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Salzburg als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß der Bf. als Lenker eines Pkw am 27. Oktober 1986 um 8 Uhr 15 im Salzburger Stadtgebiet vom Streifendienst versehenden Inspektor der Sicherheitswache P A wegen des Verdachtes der Verwaltungsübertretungen nach §97 Abs4 iVm §99 StVO 1960 sowie §102 Abs5 lita und b KFG 1967 gemäß §35 lita und b VStG 1950 festgenommen wurde. Seine Anhaltung in Polizeigewahrsam dauerte bis etwa 8 Uhr 50 dieses Tages.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977, 9860/1983 ua.).
2.1.2. Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, in vollem Umfang zulässig.
2.2.1. Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 EMRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):
Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den gesetzlich bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.
2.2.2.1. §35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat verüben und bei Begehung dieses Delikts betreten werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann zutrifft, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 9860/1983).
§35 lita und b VStG 1950 läßt eine Festnahme unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann zu, wenn der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist (lita) bzw. begründeter Verdacht besteht, daß er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde (litb).
2.2.2.2. Keine dieser beiden (Festnahme-)Bedingungen war hier erfüllt:
Nach der Aktenlage - und von der bel. Beh. unbestritten - hatte der Bf. am 27. Oktober 1986 einen gültigen inländischen Führerschein, also ein behördliches Lichtbilddokument, zunächst mehreren amtshandelnden Gendarmen übergeben, die diese Urkunde den später hinzukommenden und die Amtshandlung fortsetzenden Sicherheitswachebeamten A und B aushändigten: Als der Bf. im weiteren Verlauf (wegen des Verdachts einiger Verwaltungsübertretungen) festgenommen wurde, konnten die Beamten - allein schon auf Grund des ihnen zur Verfügung stehenden Führerscheines (vgl. dazu: VfSlg. 8041/1977, 9266/1981 und 10229/1984) - über die Identität des Festgenommenen keineswegs in Zweifel gewesen sein. Ob der Bf., zusätzlich zur Vorweisung des Dokuments, (auch) die daraus nicht ersichtliche Wohnanschrift nannte, spielt - ungeachtet des Umstandes, daß seine Haltung objektive Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung mit sich bringen mochte (s. VfSlg. 3154/1957, 7060/1973, 8041/1977) - keine entscheidende Rolle. Genug daran, daß er jedenfalls seine "Identität" nachwies; dient doch die - eine Festnahme nach §35 lita VStG 1950 ausschließende Ausweisleistung eben dieser Identitätsfeststellung, wie der Gesetzeswortlaut unmißverständlich zeigt (: "... und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist ...").
Es bestanden aber auch keine hinlänglich konkreten Anhaltspunkte dafür, daß der Bf. sich der Strafverfolgung zu entziehen trachten, insbesondere sich - sei es im Inland, sei es im Ausland - verborgen halten werde: Der VfGH nimmt in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, daß (im allgemeinen) nicht einmal das Fehlen eines inländischen Wohnsitzes einen derartigen (Flucht-)Verdacht rechtfertige (VfSlg. 3154/1957, 7060/1973, 8041/1977, 8127/1977, 9916/1984). Ebensowenig können hier die Voraussetzungen des §35 litb VStG 1950 nur deswegen bejaht werden, weil der Bf - laut Inhalt der Administrativakten - keine Wohnadresse nannte (vgl. VfSlg. 4555/1963), wenn (mit-)bedacht wird, daß er seine Identität nachwies und die Polizisten um seinen - im Inland ausgeübten - Beruf als Rechtsanwalt wußten. Daß er sich damals "äußerst fragwürdig" verhalten habe, wie es in einem Polizeibericht (vom 17. Dezember 1986) heißt, konnte darauf keinen Einfluß üben (vgl. dazu zB VfSlg. 3154/1957, 7060/1973).
Die von der Behörde ausdrücklich herangezogenen (s. Anzeige) und allein in Betracht kommenden (s. VfSlg. 5232/1966, 10229/1984; VfGH 8.6.1984 B288/80 (= VfSlg. 10019/1984 mit hier nicht relevantem Rechtssatz), 27.9.1985 B643/82; vgl. auch VfSlg. 9393/1982 und VfGH 26.9.1986 B468/85) Festnehmungsgründe des §35 lita und b VStG 1950 sind also nicht gegeben. Der Bf. wurde folglich gesetzwidrig festgenommen und in Haft gehalten.
2.3. Der Bf. wurde somit durch seine Festnehmung und darauffolgende (Haft-)Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der Beschwerde war darum schon aus den dargelegten Erwägungen stattzugeben, ohne daß es eines Eingehens auf das sonstige Beschwerdevorbringen bedurfte.
2.4. Die Kostenentscheidung fußt auf §88 VerfGG 1953. Dabei war zu beachten, daß die Organe der bel. Beh. im Kompetenzbereich sowohl des Bundes als auch des Landes Salzburg einschritten (vgl. VfGH 24.9.1983 B632/82, 20.9.1984 B649/83).
Im zugesprochenen Kostenbetrag ist USt in der Höhe von S 1.000,-- enthalten.
2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
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