Normen
B-VG Art18 Abs1
BDG 1979 §112 Abs4 idF BGBl. 137/1983
B-VG Art18 Abs1
BDG 1979 §112 Abs4 idF BGBl. 137/1983
Spruch:
§112 Abs4 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. 333/1979, idF des Artikels I Z10 des BG BGBl. 137/1983, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1987 in Kraft.
Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VwGH ist ein Verfahren über die Beschwerde des W G in Hötzelsdorf, der als Revierinspektor der Gendarmerie in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund steht und beim Gendarmerieposten Stockerau Dienst versieht, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 5. November 1985, anhängig, mit dem der von der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres erlassene Bescheid vom 25. Juli 1985 bestätigt wurde, der gemäß §112 Abs3 und 4 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. 333, zuletzt geändert durch das BG BGBl. 137/1983 (BDG 1979 in der geltenden Fassung) die Suspendierung des Bf. vom Dienst und für deren Dauer die Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - auf zwei Drittel ausgesprochen hatte. Der Bf. erachtet sich durch den beim VwGH angefochtenen Bescheid durch die Suspendierung und die Bezugskürzung in seinen Rechten verletzt. Der VwGH ist der Ansicht, bei Erledigung dieser Beschwerde §112 Abs4 BDG 1979 in der geltenden Fassung anwenden zu müssen.
2. §112 BDG in der geltenden Fassung hat folgenden Wortlaut:
"(1) Wird über den Beamten die Untersuchungshaft verhängt oder würden durch die Belassung des Beamten im Dienst wegen der Art der ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes gefährdet, so hat die Dienstbehörde die vorläufige Suspendierung zu verfügen.
(2) Gegen die vorläufige Suspendierung ist kein Rechtsmittel zulässig.
(3) Jede vorläufige Suspendierung ist unverzüglich der Disziplinarkommission mitzuteilen, die über die Suspendierung zu entscheiden hat. Die vorläufige Suspendierung endet spätestens mit dem Tag dieser Entscheidung. Ist jedoch ein Disziplinarverfahren bei der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) bereits anhängig, so hat diese bei Vorliegen der im Abs1 genannten Voraussetzungen die Suspendierung zu verfügen.
(4) Durch Beschluß der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) kann für die Dauer der Suspendierung die Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - bis auf zwei Drittel verfügt werden.
(5) Die Suspendierung endet spätestens mit dem rechtskräftigen Abschluß des Disziplinarverfahrens. Fallen die Umstände, die für die Suspendierung des Beamten maßgebend gewesen sind, vorher weg, so ist die Suspendierung von der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission), bei der das Disziplinarverfahren anhängig ist, unverzüglich aufzuheben.
(6) Die Berufung gegen eine Suspendierung bzw. eine Bezugskürzung hat keine aufschiebende Wirkung; über die Berufung hat die Disziplinaroberkommission ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
(7) Wird die Bezugskürzung auf Antrag des Beamten aufgehoben oder vermindert, so wird diese Verfügung mit dem Tage der Antragstellung wirksam."
3. Der VwGH beantragte beim VfGH mit Beschl. vom 9. April 1986, A57/86, berichtigt mit Beschl. vom 12. Juni 1986, unter Bezugnahme auf Art140 Abs1 B-VG, §112 Abs4 BDG idF als verfassungswidrig aufzuheben, wobei er den Beschl. wie folgt begründete:
"Gemäß §112 Abs4 BDG 1979 kann durch Beschluß der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) für die Dauer der Suspendierung die Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - bis auf zwei Drittel verfügt werden.
Auf diese Bestimmung stützt sich die vor dem VwGH ua. angefochtene Bezugskürzung.
Nach Art18 Abs1 B-VG darf 'die gesamte staatliche Verwaltung' nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. Diese Verfassungsbestimmung verpflichtet auch den Gesetzgeber zur Vorsorge, daß jeder Verwaltungsakt nach allen Richtungen hin durch das Gesetz bestimmt ist.
Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Verwaltungsbehörden zu einem Handeln zu ermächtigen, das durch das Gesetz inhaltlich nicht hinreichend vorausbestimmt ist. Die Norm, die einen Eingriff in die dem Beamten zustehenden Rechte begründet, muß nach Inhalt, Gegenstand und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, sodaß die Last des Eingriffes meßbar und für den zur Leistung Verpflichteten voraussehbar und berechenbar wird.
Diese verfassungsmäßigen Anforderungen vermag die angefochtene Bestimmung des §112 Abs4 BDG 1979 nicht zu erfüllen.
Der Gesetzgeber regelt weder die sachlichen Voraussetzungen, wann und ob überhaupt eine Kürzung des Monatsbezuges zu verfügen ist (zB im Falle der voraussichtlichen Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung), noch stellt er allgemeine Bestimmungskriterien (zB Alimentationsgrundsatz, Bedürftigkeit, wirtschaftliche Verhältnisse des Beamten) auf, in welcher Höhe gegebenenfalls die Kürzung des Monatsbezuges erfolgen soll. Lediglich das Mindestausmaß, das dem Beamten zu belassen ist (zwei Drittel des Monatsbezuges), ist bestimmt. Dieser vom Gesetzgeber völlig ungeregelte Freiheitsraum für die im Einzelfall zur Entscheidung berufene Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar. Dies ergibt sich auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Sind die Vollmachten der Vollziehung nicht hinreichend bestimmt, so führt sie nicht mehr das Gesetz aus und handelt nicht nach den Richtlinien des Gesetzgebers, sondern entscheidet an dessen Stelle. Dieser gesetzgeberische Mangel läßt sich auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beheben, denn der Inhalt des Gesetzes gibt keinen Anhaltspunkt dafür, ob überhaupt und in welchem Ausmaß eine Kürzung des Monatsbezuges des suspendierten Beamten zu verfügen ist.
Der VwGH ist daher aus den oben dargelegten Gründen der Meinung, daß §112 Abs4 BDG 1979 dem Determinierungsgebot des Art18 Abs1 B-VG widerspricht."
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragte, §112 Abs4 BDG 1979 idF nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung beantragte sie die Setzung einer Frist von einem Jahr.
Sie begründete ihren Antrag folgendermaßen:
"Der VfGH hat mit Verfügung vom 28. Jänner 1986, G13/86-2, der Bundesregierung einen auf Art140 B-VG gestützten Antrag des VwGH übermittelt, auszusprechen, daß §112 Abs2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. 333/1979, verfassungswidrig war. Die Bundesregierung hat dazu die Äußerung vom 1. April 1986, GZ 603.237/3-V/5/86, erstattet.
Im Hinblick darauf, daß der im vorliegenden Verfahren in Prüfung gezogene, idF des ArtI Z10 des BG BGBl. 137/1983 in Geltung stehende §112 Abs4 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 denselben Inhalt wie der im Verfahren G13/86 in Prüfung gezogene §112 Abs2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 aufweist, wird seitens der Bundesregierung im vorliegenden Prüfungsverfahren auf den Inhalt der genannten Äußerung vom 1. April 1986 verwiesen, auch wenn es unter Umständen wegen der formalen Verschiedenheit der geprüften Gesetzesstellen zu keiner Verbindung der Verfahren im Sinne des Punktes V dieser Äußerung kommt. 5 Ausfertigungen dieser Äußerung sind in der Anlage beigefügt."
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren ist nichts hervorgekommen, was Anlaß geben könnte, daran zu zweifeln, daß der VwGH die bekämpfte Bestimmung in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat.
Da auch die übrigen Voraussetzungen des verfassungsgerichtlichen Verfahrens vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. §112 Abs4 BDG 1979 in der geltenden Fassung enthält die gleiche Ermächtigung an die zuständige Behörde, daß anläßlich der Suspendierung die Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - bis auf zwei Drittel verfügt werden kann, wie sie schon in §112 Abs2 BDG 1979 in der ursprünglichen Fassung enthalten war. Daß §112 Abs2 BDG 1979 aber wegen Widerspruchs zum Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B-VG verfassungswidrig war, wurde bereits mit Erk. VfSlg. 11035/1986 vom VfGH festgestellt.
Da somit auch §112 Abs4 BDG 1979 in der geltenden Fassung aus den selben im zitierten Erkenntnis angeführten Gründen ebenfalls nur die unbestimmte Ermächtigung der zuständigen Disziplinarbehörden enthält, eine Kürzung der Bezüge des suspendierten Beamten bis auf zwei Drittel der Bezüge zu verfügen, widerspricht er ebenso dem Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B-VG.
§112 Abs4 BDG 1979 in der geltenden Fassung war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
Die anderen Aussprüche des VfGH stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
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