VfGH B386/81

VfGHB386/8116.6.1982

Art144 Abs1 B-VG; Einleitungsbeschluß nach §29 Abs3 Disziplinarstatut, RGBl. 40/1972; kein anfechtbarer Bescheid

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
DSt 1872 §29 Abs3
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
DSt 1872 §29 Abs3

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. faßte am 24. Juni 1981 zur Z D 103/78 folgenden Beschluß:

"Es ist Grund zur Disziplinarbehandlung Dris. J. W., Rechtsanwalt in Wien, vorhanden, weil ihm zur Last gelegt wird, er habe sich im Zusammenhang mit einem Artikel in der 'Neuen Kronen Zeitung' vom 23. 3. 1978 unerlaubter Werbung und einer Verletzung der ihm obliegenden anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht schuldig gemacht.

Es ist hierüber die mündliche Verhandlung anzuordnen.

Von diesem Beschluß werden der Beschuldigte und der Kammeranwalt mit dem Beifügen verständigt, daß die mündliche Verhandlung mit besonderer Verfügung anberaumt werden wird, und daß es ihnen freisteht, in die Akten - und zwar schon jetzt gegen 24stündige telefonische Voranmeldung - Einsicht zu nehmen."

Dieser Beschluß ist als "Einleitungsbeschluß" nach §29 Abs3 und 4 des Gesetzes vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter - Disziplinarstatut (DSt) idgF zu werten.

1.2.1. Gegen diesen Einleitungsbeschluß wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Dr. J. W. an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes beantragt wird.

1.2.2. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. als belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1.1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der VfGH über Beschwerden ua. gegen "Bescheide von Verwaltungsbehörden". Wie der VfGH - im Einklang mit der Judikatur des VwGH (s. VwSlg. 4360 A/1957, VwGH 27. 2. 1958 Z 305/58, 30. 4. 1958 Z 966/58, 16. 3. 1961 Z 352/61) - schon wiederholt aussprach (vgl. VfSlg. 4587/1963; VfGH 2. 10. 1981 B308/81 (ergangen zum IngenieurkammerG)), ist ein Beschluß nach §29 Abs3 DSt nicht als Bescheid iS der eingangs zitierten Verfassungsbestimmung anzusehen. Denn der Einleitungsbeschluß des Inhaltes, daß Grund zur Disziplinarbehandlung vorhanden ist, übt - anders als etwa ein (die dienstrechtliche Stellung des Beschuldigten verändernder) Beschluß auf Einleitung (Durchführung) des Disziplinarverfahrens gegen einen öffentlich Bediensteten (s. VfSlg. 4327/1962, 5761/1968 und 7907/1976 zu §113 DP; VfSlg. 8686/1979 zu §83 BDG 1977) - auf die Berufsrechte des Betroffenen (Rechtsanwaltes) keine wie immer geartete einschränkende Wirkung aus. Er enthält insbesondere auch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Qualifikation der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungsweise als Disziplinarvergehen (VfSlg. 5076/1965); vielmehr kann darüber mit Rechtskraftwirkung nur im Disziplinarerkenntnis abgesprochen werden.

2.1.1.2. An dieser Beurteilung vermag auch die - in der Beschwerdeschrift herausgestellte - Bestimmung des §11 Abs1 DSt nichts zu ändern: Nach dieser Vorschrift dürfen Mitglieder und Ersatzmänner des Disziplinarrates sowie Kammeranwälte und Anwaltssubstituten, gegen die ein Disziplinarverfahren im Zuge ist, in der Regel bis zur Beendigung des Verfahrens ihr Amt (beim Disziplinarrat) nicht ausüben, doch kann der Disziplinarrat - wenn im Disziplinarverfahren über die Anzeige noch kein Einleitungsbeschluß erging - beschließen, daß der Beschuldigte sein Amt weiter auszuüben habe, solange ein Einleitungsbeschluß nicht gefaßt ist. Denn dieses Funktionsausübungsverbot ist hier nicht an die - überhaupt erst nach Abschluß der Disziplinaruntersuchung mögliche (§29 Abs3 DSt) - Erlassung des Einleitungsbeschlusses geknüpft, sondern beginnt - von ihm unabhängig - bereits dann, wenn ein Disziplinarverfahren "im Zuge" ist, dh. mit dem Zeitpunkt des Einschreitens des Disziplinarrates von Amts wegen, "sobald er durch eigene Wahrnehmung, durch eine Anzeige oder Beschwerde von dem Disziplinarvergehen eines Rechtsanwaltes ... Kenntnis erlangt" (§23 Abs1 DSt). Der Umstand aber, daß die Erlassung eines Beschlusses nach §29 Abs3 DSt den Disziplinarrat an der Fassung eines - das grundsätzliche Funktionsausübungsverbot sistierenden - Beschlusses nach §11 DSt hindert, kann nicht auf die Rechtsnatur des Einleitungsbeschlusses selbst zurückwirken.

2.1.1.3. Davon ausgehend, daß §33 Abs1 DSt die Vorladung des Beschuldigten zur mündlichen Disziplinarverhandlung "unter Bekanntgabe der Anschuldigungspunkte" gebietet, legte der VfGH bereits in seinem Erk. VfSlg. 5523/1967 dar, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sei im Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwälte ua. dann verletzt, wenn die Disziplinarbehörde den Betroffenen wegen einer Tat bestraft, die ihm nicht zur Last gelegt wurde (s. auch VfSlg. 7016/1973, VfGH 24. 6. 1981 B282/79). Diese Anschuldigungspunkte wurden den Beschuldigten zwar regelmäßig nicht erst in der Vorladung, vielmehr schon in einem früheren Verfahrensstadium, und zwar durch Bezeichnung und Umschreibung im Einleitungsbeschluß nach §29 Abs3 DSt, mitgeteilt, so auch in den Disziplinarverfahren, die den Erk. VfSlg. 5523/1967, 7016/1973 und vom 24. 6. 1981 B282/79 zugrunde lagen. Doch darf aus diesen Erk. des VfGH nicht der Schluß gezogen werden, daß die Aufnahme der Anschuldigungspunkte in den Einleitungsbeschluß zwingend geboten sei. Denn im gegebenen Zusammenhang ist unter dem Aspekt des Grundrechts nach Art83 Abs2 B-VG nicht der Inhalt des Einleitungsbeschlusses nach §29 Abs3 DSt, sondern die - in der bisherigen Judikatur des VfGH allerdings nicht als maßgebendes Kriterium in den Vordergrund gerückte - rechtzeitige Information des Beschuldigten über die ihm konkret zur Last gelegten Disziplinarverfehlungen entscheidend. In diesem Sinn wurde auch schon im Erk. VfSlg. 5523/1967 auf die Möglichkeit einer "Erweiterung" der Anschuldigungspunkte in der mündlichen Disziplinarverhandlung ausdrücklich hingewiesen. Die vom Beschwerdeführer ersichtlich vertretene Auffassung, daß die Anschuldigungspunkte unter allen Umständen in den "Einleitungsbeschluß" eingang finden müßten und diesem Verwaltungsakt gleichsam die Funktion einer Anklageschrift zukomme, wie sie im Strafprozeß vorgesehen sei, ließe sich vor allem mit der Vorschrift des §33 DSt nicht vereinbaren, weil in einem solchen Fall der abermaligen Mitteilung des Schuldvorwurfs in der Ladung zur mündlichen Verhandlung keine sinnvolle Bedeutung beizumessen wäre.

Da also entgegen der vom Beschwerdeführer verfochtenen Rechtsmeinung nur von einer Bindung der Disziplinarbehörde an die dem Beschuldigten eröffneten Anschuldigungspunkte, nicht aber von einer Bindungswirkung des - diese Punkte, wie dargetan, nicht notwendigerweise bezeichnenden - Einleitungsbeschlusses selbst gesprochen werden kann, ist der weiteren Beschwerdeargumentation, die darauf hinausläuft, daß sich die Rechtsnatur des Einleitungsbeschlusses aus dieser gedachten Bindungswirkung ergebe, der Boden entzogen.

2.1.1.4. Ferner läßt sich dem Beschwerdevorbringen zuwider weder aus den in §29 Abs3 DSt enthaltenen Worten "Auf Grund seiner Anträge hat der Disziplinarrat nach Anhörung des Kammeranwalts durch Beschluß zu erkennen ...", die hier nur die Prozedur regeln, noch - wie bereits im Erk. VfSlg. 4587/1963 expressiv verbis ausgesprochen - aus dem zweiten Satz des §29 Abs4 DSt (lautend: "Gegen diesen Beschluß findet kein Rechtsmittel statt") eine normative Wirkung des Einleitungsbeschlusses herleiten: Die Bezugnahme des Beschwerdeführers auf das Erk. VfSlg. 8686/1979 (= B304/78) ist im gegebenen Zusammenhang schon deshalb nicht zielführend, weil diese Entscheidung das Disziplinarverfahren der Bundesbeamten, und zwar im besonderen die Bestimmung des §83 (Abs3) BDG 1977 betraf, die einen Beschluß der Disziplinarkommission auf Durchführung eines Disziplinarverfahrens - für den beschuldigten Beamten - mit Rechtsfolgen verknüpfte.

2.1.1.5. Ebensowenig ist für den Standpunkt des Beschwerdeführers aus dem Hinweis auf das traditionelle Strafprozeßrecht zu gewinnen, denn auch damit wird nicht aufgezeigt, daß der Einleitungsbeschluß nach §29 Abs3 DSt Rechtsfolgen nach sich ziehe, ganz abgesehen davon, daß sich die den Strafprozeß beherrschenden Grundsätze auf das in weiten Bereichen anders geartete, so insbesondere auch keine Versetzung des Beschuldigten in den Anklagestand kennende Disziplinarverfahrensrecht nach dem DSt nicht bedingungslos und undifferenziert übertragen lassen.

2.1.2. Zusammenfassend stellt sich ein Einleitungsbeschluß nach §29 Abs3 DSt - dessen rechtliche Bedeutung (im Gegensatz zu dem die Sache selbst entscheidenden Ablassungsbeschluß nach §29 Abs6 DSt) bloß darin liegt, daß das Disziplinarverfahren seinen Fortgang nimmt - folglich als schlichte Verfahrensanordnung dar, die weder mit einem ordentlichen Rechtsmittel noch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf selbständig bekämpft werden kann.

2.2. Mit Rücksicht auf die in der Beschwerdeschrift dargelegten Normbedenken, die sich der Sache nach allein gegen die als gleichheits- und damit verfassungswidrig bezeichneten Worte "nach Anhörung des Kammeranwaltes" im §29 Abs3 Satz 2 DSt richten, bleibt abschließend beizufügen, daß der VfGH diese - vom übrigen Norminhalt trennbare (zB VfSlg. 8942/1980) - Wortfolge bei Prüfung der Prozeßvoraussetzungen, und zwar insbesondere der hier primär zu lösenden Frage, ob dem angefochtenen Verwaltungsakt Bescheidcharakter zukommt, nicht anzuwenden hatte (Art140 Abs1 Satz 1 B-VG). Diese Gesetzesstelle ist daher in der vorliegenden Beschwerdesache nicht präjudiziell, sodaß auf die entsprechenden Beschwerdeausführungen nicht näher einzugehen war.

2.3. Da nach Art144 B-VG Voraussetzung für die Zuständigkeit des VfGH das Vorliegen einer behördlichen Erledigung bildet, die Bescheidqualität genießt, und dies hier - wie dargetan - nicht zutrifft, war die Beschwerde wegen Unzuständigkeit des VfGH als unzulässig zurückzuweisen.

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