European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00122.24V.0129.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 3. April 2024 (ON 15) wurde * P* des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Danach hat er am 6. November 2023 in H* * L* gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm über Instagram (sinngemäß) schrieb, „er werde ihm das nächste Mal, wenn er ihn sehe, die Fresse polieren“.
[3] Der dagegen vom (damals) Angeklagten ergriffenen Berufung wegen (soweit hier relevant) Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 19. September 2024, AZ 7 Bs 191/24g, nicht Folge (ON 21.3).
[4] Gegen die dargestellten Urteile des Landesgerichts Innsbruck und des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht richtet sich der eine Verletzung des „Art 6 EMRK“ behauptende, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens.
Rechtliche Beurteilung
[5] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).
[6] Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Rechtsbehelf mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359, RS0128393) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).
[7] Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.
[8] Soweit sich dieser auch gegen das erstinstanzliche Urteil richtet, ist er schon deshalb zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber im Instanzenzug anfechten kann, unzulässig sind (RIS‑Justiz RS0124739 [T4]).
[9] Dem Einwand der Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK durch eine aus Sicht des Antrags mangelhafte Urteilsbegründung ist zu entgegnen, dass der EGMR unter diesem Aspekt lediglich prüft, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das Strafverfahren als Ganzes unfair erscheinen lässt, wobei die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten ist (RIS‑Justiz RS0120958; vgl auch Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet (RIS‑Justiz RS0120958 [T11]).
[10] Eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK in der dargestellten Bedeutung behauptet der Antrag mit der Kritik, das Opfer könne „nicht besonders beunruhigt gewesen sein“, weil es „die Polizei nicht gleich verständigt“ habe, seinen Ausführungen zur fehlenden „Motivlage des Antragstellers“ und zum Beweiswert von Aussagen ebenso wenig wie mit den Spekulationen, denen zufolge der [Instagram‑]Account „gehackt“ worden sein „kann“ oder „jemand anderer vom Handy des Antragstellers kommunziert“ habe, nicht.
[11] Vielmehr bekämpft der Erneuerungswerber bloß mit eigenen Erwägungen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (ON 21.3 S 4 ff), das keine Bedenken gegen vom Erstgericht festgestellte entscheidende Tatsachen (samt Würdigung der Verfahrensergebnisse) hegte und es auch nicht notwendig fand, den Bezugspunkt der Beweiswürdigung durch weitere Zeugenvernehmungen zu erweitern (ON 21.3 S 6 f; vgl § 489 Abs 1 StPO iVm § 473 Abs 2 StPO; Ratz, WK‑StPO § 473 Rz 6 und 8/1). Dabei lässt er im Übrigen außer Acht, dass die Behandlung eines Erneuerungsantrags nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz bedeutet, sondern sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (RIS‑Justiz RS0132365).
[12] Eine Verkürzung seiner Verteidigungsrechte durch das Oberlandesgericht erblickt der Erneuerungswerber weiters darin, dass (auch) dieses (jeweils zu nicht näher genannten Beweisthemen – siehe aber § 55 Abs 1 zweiter Satz StPO) von Amts wegen weder die Beiziehung eines „IT‑Experten“ verfügt noch die Vernehmung einer Zeugin veranlasst habe.
[13] Dem ist zu erwidern, dass im Rahmen einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Urteil eines Einzelrichters (§ 489 Abs 1 StPO iVm § 473 StPO) neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden dürfen (RIS‑Justiz RS0101867), wobei solches Vorbringen bis zum Schluss der Berufungsverhandlung gestattet ist (RIS‑Justiz RS0101780 [T1]; zum Beweisantragsrecht im Rechtsmittelverfahren vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 6.43 ff; Kirchbacher, StPO15 § 464 Rz 4). Einen Antrag auf Aufnahme der nunmehr vermissten Beweise stellte der (durchwegs) durch eine/n Verteidiger/in vertretene Angeklagte nach der Aktenlage weder in seiner vor dem Berufungsgericht mündlich vorgetragenen Berufungsschrift (ON 18.2) noch sonst im Rahmen der Berufungsverhandlung (ON 21.4). In Bezug auf das von ihm kritisierte Unterbleiben der genannten Beweisaufnahmen hat er somit den Instanzenzug nicht ausgeschöpft (RIS‑Justiz RS0122737 [T13]). Eine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (potentiellen) weiteren Beweismitteln durch das Berufungsgericht besteht – soweit es (wie hier) nicht von sich aus Bedenken gegen die Feststellungen des Erstgerichts zu entscheidenden Tatsachen hegt – ohne einen die Erfordernisse des § 55 Abs 1 StPO erfüllenden Antrag im Übrigen nicht (11 Os 152/23x).
[14] Dass „die Strafanzeige vom 7.11.2023 (ON 2.6)“ im Ersturteil übergangen worden sei (siehe jedoch ON 21.3 S 5), wurde im Berufungsverfahren nicht eingewendet. Insofern fehlt es der darauf basierenden Behauptung, die Begründung des Berufungsgerichts, wonach das Erstgericht sämtliche Verfahrensergebnisse berücksichtigt habe, erweise sich als unzutreffend, ebenso am Zulässigkeitskriterium der Ausschöpfung des Rechtswegs.
[15] Mit seinen eigenständigen, Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten anmeldenden Beweiswerterwägungen bekämpft der Erneuerungsantrag (neuerlich) bloß die Beweiswürdigung, ohne damit einen (von ihm behaupteten) Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK begründet darzulegen (RIS-Justiz RS0122737 [T36]).
[16] Soweit das Vorbringen des Verurteilten als Kritik an der Ablehnung des in der Berufungsverhandlung neuerlich gestellten Antrags auf Vernehmung seiner Arbeitskollegen (ON 21.3 S 6) sowie am mangelnden Erfolg der Verfahrensrüge (ON 21.3 S 3) zu verstehen ist, ist zu entgegnen, dass es – im Rahmen eines ohne vorherige Befassung des EGMR gestellten Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens – nicht Aufgabe des Höchstgerichts ist, seine Ansicht bezüglich der Relevanz jedes einzelnen Beweisantrags zum Ausdruck zu bringen. Es beurteilt bei der gegenständlichen Behauptung, dem Erneuerungswerber sei die Präsentation von seiner Entlastung dienenden Beweisen verweigert worden, vielmehr nur, ob die Beweisaufnahme insgesamt in einer Weise vorgenommen wurde, die das Strafverfahren unfair erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0105692 [T12]). Mängel in diesem Sinn behauptet der Verurteilte nicht einmal. Überdies unterlässt er die gebotene Auseinandersetzung mit der Begründung des Berufungsgerichts.
[17] Zu einem – vom Erneuerungswerber (offenkundig) angeregten (vgl RIS‑Justiz RS0130514) – Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B‑VG in Ansehung der Bestimmungen des § 14 StPO und § 258 Abs 2 StPO sah sich der Oberste Gerichtshof schon mit Blick auf in diesem Zusammenhang ergangene Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH 21. September 2020, G 314/2020; 10. März 2021, G 392/2020; 13. Juni 2022, G 3/2022) nicht veranlasst.
[18] Der Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.
[19] Gleiches gilt für den unter einem gestellten, (anders als nach Art 39 der VerfO des EGMR) innerstaatlich nicht vorgesehenen Antrag auf Erlassung einer vorläufigen Maßnahme (hier: Hemmung des Strafvollzugs; RIS‑Justiz RS0125705).
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