OGH 13Os107/24w

OGH13Os107/24w22.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Jänner 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Rechtspraktikantin Mag. Müller BSc in der Strafsache gegen * N* und einen anderen Angeklagten wegen Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 erster Fall und 15 StGB, AZ 14 Hv 123/23y des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile dieses Gerichts vom 15. Jänner 2024 (ON 43) sowie des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. April 2024, AZ 8 Bs 63/24m, (ON 54.3) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0130OS00107.24W.0122.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 14 Hv 123/23y des Landesgerichts Leoben verletzen

das Urteil dieses Gerichts vom 15. Jänner 2024 (ON 43) im Ausspruch über den Verfall § 20 Abs 3 StGB und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche § 366 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 409 ZPO sowie

das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. April 2024 (ON 54.3) in der amtswegigen Aufhebung des Verfallsausspruchs § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO und § 471 StPO.

Das Urteil des Berufungsgerichts (ON 54.3), das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der Kassation des Verfallsausspruchs und im daran anschließenden Verfallsausspruch ersatzlos aufgehoben.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Leoben vom 15. Jänner 2024 (ON 43) wurden * N* und * T* jeweils des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 erster Fall und 15 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Gestützt auf § 20 Abs 3 StGB wurde „ein Betrag in der Höhe von 18.301,10 Euro für verfallen erklärt“ (US 5). Gegen wen sich dieser Ausspruch richtet, geht aus dem Urteil nicht hervor.

[3] Nach § 369 Abs 1 StPO wurden die Angeklagten – ohne Setzung einer Leistungsfrist – zur Bezahlung privatrechtlicher Ansprüche verpflichtet (US 5).

[4] Mit ihrer zum Nachteil erhobenen Berufung beantragte die Staatsanwaltschaft jeweils eine Erhöhung der über die Angeklagten verhängten Freiheitsstrafen (ON 46).

[5] Mit Urteil vom 17. April 2024 (ON 54.3) erhöhte das Oberlandesgericht Graz in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die verhängten Freiheitsstrafen. Aus Anlass der Berufung hob es in amtswegiger Wahrnehmung (§§ 489 Abs 1, 471, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (ON 54.3 S 5) den Verfallsausspruch auf und erklärte bei * N* und * T* gestützt auf § 20 Abs 3 StGB jeweils einen Betrag von 9.150,55 Euro für verfallen.

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Urteile mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zum Urteil des Landesgerichts Leoben vom 15. Jänner 2024 (ON 43):

[7] 1. Der Ausspruch über den Verfall eines Geldbetrags nach § 20 Abs 3 StGB ist personenbezogen, weshalb der zur Zahlung Verpflichtete zu bezeichnen und ihm ein bestimmter (für verfallen erklärter Geldbetrag) zuzuordnen ist (RIS‑Justiz RS0134391; Fuchs/Tipold, WK‑StPO Vor §§ 443–446 Rz 8; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 8 und 18). Da die Einzelrichterin weder einen der Angeklagten noch sonst eine Person zur Zahlung des für verfallen erklärten Geldbetrags verpflichtete (US 11), entspricht das Verfallserkenntnis erstgenanntem Erfordernis nicht. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen dazu, welche Person welche Vermögenswerte deliktisch erlangt hat, dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil dem Verfall unterliegende Vermögenswerte (§ 20 Abs 1 StGB) – ebenso wie der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) – nur dem tatsächlichen Empfänger mittels Verfalls abgenommen werden dürfen (RIS‑Justiz RS0129964).

[8] Ein zu beseitigender Nachteil für die Verurteilten (§ 292 letzter Satz StPO) liegt insoweit nicht vor, weil das Verfallserkenntnis eben nicht gegen sie ergangen ist.

[9] 2. Wird der Angeklagte verurteilt, so ist gemäß § 366 Abs 2 StPO im Urteil (§ 260 Abs 1 Z 5 StPO und § 270 Abs 2 Z 4 StPO) unter Bedachtnahme auf §§ 395, 407 und 409 ZPO über die privatrechtlichen Ansprüche des Privatbeteiligten zu entscheiden. Wird dem Angeklagten im Urteil die Verbindlichkeit zu einer Leistung auferlegt, so ist demnach gemäß § 409 ZPO zugleich auch eine Leistungsfrist zu bestimmen (RIS‑Justiz RS0126774; Spenling, WK‑StPO § 366 Rz 13).

[10] Das Unterlassen der Setzung einer Leistungsfrist bei den Privatbeteiligtenzusprüchen verletzt somit § 366 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 409 ZPO.

[11] Ein zu beseitigender Nachteil für die Verurteilten (§ 292 letzter Satz StPO) liegt auch insoweit nicht vor (11 Os 127/13f).

Zum Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht (ON 54.3):

[12] Amtswegige Wahrnehmung eines Rechtsfehlers gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall (hier iVm § 489 Abs 1 zweiter Satz und § 471) StPO setzt voraus, dass dieser sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkt.

[13] Die vom Berufungsgericht in Betreff des Verfallserkenntnisses zutreffend erkannte materielle Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (iVm § 489 Abs 1 StPO) wirkte jedoch gerade nicht zum Nachteil der Angeklagten, weil sich der Ausspruch nicht gegen sie richtete und damit keine Rechtswirkungen entfalten konnte (jüngst eingehend 11 Os 9/24v [insbesondere Rz 20 ff], RIS‑Justiz RS0134391 [T2] und RS0134799).

[14] Davon ausgehend verletzt der Ausspruch der (amtswegigen) Aufhebung des Verfallsausspruchs (und das – nach „Beweisergänzung“ – neu gefällte Verfallserkenntnis) § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 489 Abs 1 zweiter Satz und § 471 StPO.

[15] Diese Gesetzesverletzung wirkt zum Nachteil der Verurteilten. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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