European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00009.24V.0423.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 4 StGB ein Teil von 24 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Darüber hinaus enthält das angefochtene Urteil – neben einem unbekämpft gebliebenen Freispruch des Angeklagten von gleichartigen Vorwürfen und einem urteilsförmigen Verfolgungsvorbehalt – Aussprüche über privatrechtliche Ansprüche (teils gemäß § 369 Abs 1 StPO, teils gemäß § 366 Abs 2 StPO, teils gemäß § 366 Abs 1 StPO) sowie den Ausspruch, „[g]emäß § 20 Abs 1 StGB“ würden „die aus der Straftat erlangten Vermögenswerte für verfallen erklärt“.
[2] Mit am 12. Mai 2023 eingebrachtem Schriftsatz meldete der durch einen Wahlverteidiger vertretene (ON 125 S 2) Angeklagte gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen der Aussprüche über die Strafe sowie der privatrechtlichen Ansprüche an (ON 165).
Rechtliche Beurteilung
[3] Am 11. Juli 2023 verfügte der Vorsitzende die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils – und eines am selben Tag gefassten Beschlusses (ON 171) auf Berichtigung des (den Parteien schon zu einem früheren Zeitpunkt zugestellten) Protokolls über die Hauptverhandlung – an den Wahlverteidiger (ON 1.165). Nach den Registerdaten wurde diese Zustellung im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV, § 83 Abs 2 erster Satz StPO und § 89a Abs 2 GOG) vollzogen; am 11. Juli 2023 um 13:30 Uhr war die Erledigung bereits in den elektronischen Verfügungsbereich des Wahlverteidigers gelangt. Mit am 11. Juli 2023 um 14:29 Uhr eingebrachtem Schriftsatz gab der Wahlverteidiger die Vollmachtsauflösung bekannt (ON 172). Der daraufhin bestellte (ON 175) Verfahrenshilfeverteidiger des Angeklagten brachte am 30. Oktober 2023 eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der (gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten) Berufung ein (ON 183).
[4] Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ist verspätet:
[5] Nach Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen (hier) nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 StPO).
[6] Der Lauf dieser Frist wird weder durch die Auflösung des Vollmachtverhältnisses zum Wahlverteidiger (die dem Gericht gegenüber erst mit deren aktenkundiger Anzeige wirksam wird – RIS‑Justiz RS0096636 [insbe T2, T3]) noch durch die danach erfolgte Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers beeinflusst (§ 63 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0125686 [insb T1 und T2], RS0116182 [insb T11]; Kirchbacher, StPO15 § 63 Rz 2; Murschetz, WK‑StPO § 84 Rz 4).
[7] In der vorliegenden Konstellation könnte insoweit nur fraglich sein, ob die Anzeige der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses nach dem Zugang einer Ausfertigung des Urteils (und hier auch des Berichtigungsbeschlusses – siehe dazu weiter unten) in den elektronischen Verfügungsbereich des Wahlverteidigers, aber vor dem gesetzlich fingierten „Zustellungszeitpunkt“ (§ 89d Abs 2 GOG) den Beginn des Fristenlaufs verhindert hat. Dies muss verneint werden:
[8] Nach dem Wortlaut des § 63 Abs 2 StPO wird, wenn „durch eine Zustellung an den Verteidiger eine Frist ausgelöst“ wurde, „deren Lauf nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird“.
[9] Das die Frist (im Sinn des § 63 Abs 2 erster Satz StPO) auslösende Ereignis war vorliegend die Zustellung der Erledigung in Gestalt deren Einlangens in den elektronischen Verfügungsbereich des Wahlverteidigers um 13:30 Uhr des 11. Juli 2023. Daran ändert nichts, dass als „Zustellungszeitpunkt“ – nach der Fiktion des § 89d Abs 2 GOG – erst der auf diesen Vorgang folgende Werktag „gilt“ (woraus im gegebenen Zusammenhang lediglich folgt, dass die Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel des Angeklagten von diesem Tag an berechnet wird – vgl dazu jüngst 4 Ob 101/23s [Rz 16 f]). Gerade nur wegen des Eintritts des – daher fristauslösenden – Ereignisses am 11. Juli 2023 hat nämlich der Lauf der Ausführungsfrist – wenngleich infolge der Fiktion des § 89d Abs 2 GOG zeitlich versetzt – mit 12. Juli 2023 begonnen. Umgekehrt konnte die nach dem Eintritt des fristauslösenden Ereignisses eingebrachte Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung die Wirksamkeit der Zustellung mit dem darauf folgenden Werktag (§ 89d Abs 2 GOG) – und somit den Beginn des Fristenlaufs – nicht konterkarieren.
[10] Hinzugefügt sei, dass § 89d Abs 2 GOG jedenfalls nicht bezweckt, Parteien (oder deren Vertretern) die Möglichkeit zu bieten, den Beginn des Fristenlaufs durch nach dem (eigentlichen) Zustellvorgang herbeigeführte Umstände zu verhindern (vgl ErläutRV 1676 BlgNR 24. GP 3 f, wonach diese Bestimmung idgF „eine mögliche Benachteiligung für die ERV‑Teilnehmer/innen“ vermeiden – und nicht etwa, dem Telos des § 63 Abs 2 StPO zuwiderlaufend, „prozesstaktischen Manövern von Wahlverteidigern zur Fristverlängerung“ [Soyer/Schumann, WK‑StPO § 63 Rz 29] Vorschub leisten – will).
[11] Demzufolge (vgl § 84 Abs 1 StPO) endete die Frist zur Ausführung der Rechtsmittel vorliegend mit Ablauf des 9. August 2023.
[12] Die angesprochene Frist konnte im Übrigen weder
- dadurch, dass der zugleich mit der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger (ebenso wirksam) zugestellte Berichtigungsbeschluss vom 11. Juli 2023 (ON 171) unbekämpft in Rechtskraft erwuchs (dazu sowie zur Regelung des § 271 Abs 7 letzter Satz StPO, wonach [nur] dann, wenn nach der Zustellung einer Urteilsabschrift an den Beschwerdeführer eine Berichtigung des Verhandlungsprotokolls „vorgenommen“ [also beschlossen] wird, die Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels gegen das Urteil erst durch neuerliche Urteilszustellung ausgelöst wird, wofür es auf die Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses nicht ankommt [vgl vielmehr RIS‑Justiz RS0126057], siehe Danek/Mann, WK‑StPO § 271 Rz 55; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 1 f; 12 Os 32/13t) noch
- durch die Urteilszustellung an den infolge Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung bestellten Verfahrenshilfeverteidiger mit 4. August 2023 noch
- durch die Zustellung einer Ausfertigung des Berichtigungsbeschlusses (ON 171) an den Verfahrenshilfeverteidiger mit 16. August 2023 noch
- durch den am 28. August 2023 gestellten Antrag des Verfahrenshilfeverteidigers auf Fristverlängerung nach § 285 Abs 2 StPO (ON 180) noch
- durch die Bekanntmachung (vgl § 285 Abs 3 letzter Satz StPO) des Beschlusses vom 30. August 2023 (ON 181), mit dem das Erstgericht diesem Antrag im Sinn einer „Verlängerung“ der (vermeintlich noch laufenden) Ausführungsfrist um fünf Wochen stattgegeben hat noch
- durch die Zustellung einer im Sinn des Beschlusses ON 171 berichtigten Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung (ON 182) mit 19. September 2023 noch
- durch eine – schon mit Blick auf die Zustellung des (im Übrigen auch vor der erstmaligen Urteilszustellung an den Verfahrenshelfer gefassten) Berichtigungsbeschlusses (ON 171) bereits an den Wahlverteidiger (zugleich mit der Urteilsausfertigung) überflüssige – neuerliche Urteilszustellung an den Verfahrenshilfeverteidiger mit 3. Oktober 2023 (siehe dazu das bereits zu § 271 Abs 7 letzter Satz StPO Gesagte)
erneut in Gang gesetzt oder sonst nachträglich beeinflusst werden.
[13] Da der Angeklagte demnach weder bei der Anmeldung noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war seine Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO).
[14] Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten – der schon bei deren Anmeldung erklärt hat, den Strafausspruch und den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche zu bekämpfen (vgl § 294 Abs 2 vierter Satz StPO) – und über jene der Staatsanwaltschaft kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[15] Hinzugefügt sei, dass zur fristgerechten Rechtsmittelausführung gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO – trotz Auflösung des Vollmachtsverhältnisses – der Wahlverteidiger verpflichtet gewesen wäre (es sei denn, der Angeklagte hätte ihm dies – wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen – ausdrücklich untersagt).
[16] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei darüber hinaus bemerkt:
[17] Der Ausspruch einer vermögensrechtlichen Anordnung (§ 260 Abs 1 Z 3 iVm § 443 Abs 3 StPO) ist so klar und bestimmt zu fassen, dass über deren Zuordnung zu einer von ihr betroffenen Person und über ihren Vollzug kein Zweifel entstehen kann (RIS‑Justiz RS0134391).
[18] Dementgegen ist der Inhalt des im angefochtenen Urteil getroffenen – weder zum Vorteil noch zum Nachteil des Angeklagten (oder eines allfälligen Haftungsbeteiligten) bekämpften – Ausspruchs über den Verfall (US 4) weder bestimmt noch bestimmbar. Kann doch nicht einmal aus den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) erschlossen werden,
- wen dieser Ausspruch betrifft (vgl zum Verfall bei Dritten RIS‑Justiz RS0131636 sowie Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 3 ff) und
- auf welche „Vermögenswerte“ er sich bezieht.
[19] Denn die Urteilsbegründung beschränkt sich insoweit auf die Aussage, es sei „[g]emäß § 20 Abs 1 StGB“ „auszusprechen“ gewesen, „dass die aus der Strafe [sic!] erlangten Vermögenswerte für verfallen erklärt werden“ (US 44), ohne dass den Urteilsfeststellungen zu entnehmen wäre,
- welche konkrete Person welche konkreten Vermögenswerte (RIS‑Justiz RS0129964) durch oder für (RIS-Justiz RS0132346) die vom Schuldspruch umfassten – teils in Mittäterschaft (§ 12 erster Fall StGB), teils in Gestalt sonstiger Beiträge (§ 12 dritter Fall StGB) zum (Betrugs-)„System“ des gesondert Verfolgten * B* (erst) ab 17. Februar 2021 begangenen (US 24, 26) – Straftaten des Angeklagten erlangt (RIS‑Justiz RS0134603) hat (worüber auch die Urteilsaussage, der Angeklagte habe „spätestens ab Herbst 2020“ „von B* für seine Tätigkeiten im Rahmen der Investitionen“ „monatlich EUR 8.000,00 bis EUR 10.000,00 pro Monat“ „bek[ommen]“ [US 25, 34, 41], keinen Aufschluss gibt), und
- ob diese Vermögenswerte (§ 20 Abs 1 StGB) – oder deren Nutzungen oder Ersatzwerte (§ 20 Abs 2 StGB) – sichergestellt oder beschlagnahmt sind, andernfalls nur Wertersatzverfall (§ 20 Abs 3 StGB) in Betracht gekommen wäre (11 Os 76/17m, 13 Os 96/18v sowie – zum Ganzen – 11 Os 43/23t [Rz 10 ff]).
[20] Die darin gelegene, auch materielle (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) Nichtigkeit bleibt jedoch – schon infolge Unbestimmtheit (und daher mangelnder Vollziehbarkeit) des angesprochenen Ausspruchs in jeder Hinsicht (vgl § 1 Z8 EO sowie RIS‑Justiz RS0000477 und RS0037452) – ohne konkreten Nachteil (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) für den Angeklagten. Vielmehr ist dieser dadurch nicht einmal (im Sinn des § 282 StPO) beschwert (zur Unterscheidung Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 13; vgl auch – zu einem auf keine bestimmte Person bezogenen Verfallsausspruch – unter dem Aspekt des § 292 letzter Satz StPO 14 Os 27/22k [Rz 10]).
[21] Kehrseite dessen ist im Übrigen, dass der Ausspruch im Fall seiner Aufhebung nicht ohne Verstoß gegen das – auch in Bezug auf vermögensrechtliche Anordnungen geltende (RIS‑Justiz RS0100700 [T12]) – Verschlechterungsverbot (hier § 290 Abs 2, § 293 Abs 3 StPO) durch einen gesetzeskonformen Ausspruch des Verfalls ersetzt werden könnte: Nichtigkeit des Verfallsausspruchs hätte vorliegend (zwar zum Nachteil [§ 282 Abs 2 StPO], aber) nicht zugunsten des Angeklagten (§ 282 Abs 1 StPO) geltend gemacht werden können (vgl Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 1 ff und § 288 Rz 25).
[22] Eine amtswegige Maßnahme hatte schon deshalb zu unterbleiben (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 21; zur Sperrwirkung des Urteils in Bezug vermögensrechtliche Anordnungen betreffend Vermögenswerte, die zu den vom Urteil umfassten Straftaten [hier des Angeklagten] im vom Gesetz [zB § 19a Abs 1 oder 1a StGB oder § 20 Abs 1, 2 oder 3 StGB] umschriebenen Verhältnis stehen, vgl Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 5, 20 und 28).
[23] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)