OGH 12Os85/24b

OGH12Os85/24b19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. November 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Haslwanter LL.M., Dr. Sadoghi und Dr. Farkas in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Karnaus LL.M. (WU) in der Strafsache gegen * J* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Haftungsbeteiligten R* eGen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 18. Jänner 2024, GZ 607 Hv 5/19v-886, sowie über den Antrag der Genannten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung von Rechtsmitteln gegen das bezeichnete Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00085.24B.1119.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, wurde mit dem angefochtenen Urteil * J* im zweiten Rechtsgang (zum ersten siehe 12 Os 31/23k) des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG schuldig erkannt und dessen Liegenschaft EZ * KG * mit der Adresse * „gemäß § 20b Abs 1 und 2 StGB“ für verfallen erklärt (US 5).

[2] Unmittelbar nach Urteilsverkündung am 18. Jänner 2024 verzichteten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte auf Rechtsmittel (ON 885 S 11).

[3] Über Antrag der Haftungsbeteiligten R* eGen vom 29. Mai 2024 teilte der Vorsitzende mit Verfügung vom 13. Juni 2024 mit, dass dieser die „Parteistellung eines Haftungsbeteiligten nach § 64 StPO“ zukomme (ON 914 S 1). Zudem veranlasste er die am 17. Juni 2024 erfolgte Zustellung an die genannte Bank.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Haftungsbeteiligte führte sodann am 27. Juni 2024 die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung aus und begehrte hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „in den Zeitpunkt der Urteilsverkündung“ (ON 918).

[5] 1./ Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist (hier:) zur Anmeldung von Rechtsmitteln ist nicht berechtigt.

[6] Dieser wird auf den Umstand gestützt, dass die Wiedereinsetzungswerberin als Verfallsbeteiligte (§§ 220, 64 StPO) nicht zur Hauptverhandlung geladen war und daher erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist vom Verfallsausspruch Kenntnis erlangte. Die Nichtbeteiligung der Verfallsbeteiligten am Hauptverfahren ist jedoch – für sich allein – kein zur Wiedereinsetzung berechtigendes Ereignis (RIS-Justiz RS0072206; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 15).

[7] 2./ Die gegen das Urteil ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der Haftungsbeteiligten ist verspätet.

[8] Denn für Haftungsbeteiligte beginnt die Frist zur Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung mit der Urteilsverkündung, und zwar unabhängig davon, ob sie zur Hauptverhandlung (ordnungsgemäß) geladen wurden oder nicht (RIS-Justiz RS0115900, RS0101904; 14 Os 111/20k, EvBl 2021/100; Ratz, WK-StPO § 284 Rz 3).

[9] Es war daher – insoweit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – mit Zurückweisungen wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.

[10] 3./ Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur kam amtswegiges Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf Haftungsbeteiligte vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 12)aus folgenden Erwägungen nicht in Betracht:

[11] Wird die Hauptverhandlung und die Urteilsverkündung in Abwesenheit des nicht ordnungsgemäß geladenen Haftungsbeteiligten vorgenommen, sieht die Rechtsprechung infolge der dadurch bewirkten Verletzung des § 444 Abs 1 iVm § 221 Abs 2 StPO den Nichtigkeitsgrund aus § 281 Abs 1 Z 3 (iVm Z 11) StPO verwirklicht (11 Os 149/16w, 14 Os 111/20k; vgl auch Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 444 Rz 79; weitergehend hingegen Ratz, WK‑StPO § 284 Rz 3).

[12] Davon ausgehend liegt aber kein materieller Nichtigkeitsgrund vor, der amtswegiges Vorgehen aus § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO erlauben würde (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 9).

[13] Für die Haftungsbeteiligte, die hier aufgrund der Rechtskraft des Verfallserkenntnisses ihre dinglichen (Pfand-)Rechte verloren hat (RIS-Justiz RS0099598; insb 3 Ob 121/12h), bleibt allerdings die Möglichkeit gewahrt, ihre Ansprüche nunmehr gemäß § 444 Abs 2 StPO (RIS-Justiz RS0049890) oder allenfalls zusätzlich nach dem AHG (vgl Fuchs/Tipold, WK-StPO § 444 Rz 88) gegen den Bund geltend zu machen.

[14] Bleibt zu der sich auf die direkte Anwendbarkeit des § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO stützenden Stellungnahme der Generalprokuratur anzumerken, dass die Vorschrift des § 444 Abs 1 StPO von der Rechtsprechung dahin ausgelegt wird, dass sie für Haftungsbeteiligte (bloß) eine von § 427 StPO abweichende Regelung trifft (RIS-Justiz RS0131304). Ein sich unmittelbar auf die Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Verfalls beziehender Norminhalt kann § 444 Abs 1 StPO somit nicht entnommen werden.

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