OGH 2Ob135/24b

OGH2Ob135/24b15.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2023 verstorbenen W*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. R*, 2. S*, Wien 21, 3. H*, alle vertreten durch Noll, Keider Rechtsanwalts GmbH in Wien, 4. So*, vertreten durch Mag. Roland Schlegel, Rechtsanwalt in Wien, und 5. M*, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Erst- bis Viertantragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Juni 2024, GZ 43 R 108/24m‑39, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00135.24B.1015.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortungen wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit im Jahr 2002 eigenhändig verfassten Testament setzte der 2023 verstorbene Erblasser zunächst seine Ehefrau zur Alleinerbin ein und bestimmte seine Schwiegermutter zur Ersatzerbin. Nach dem Ableben sowohl der Haupt- als auch der Ersatzerbin schrieb der Erblasser 2014 den Namen des Fünftantragstellers in Blockbuchstaben auf der Rückseite des Testaments und unterfertigte den Zusatz unter Beifügung des Datums. Auf der Vorderseite, auf der für Blockbuchstaben wenig Platz war, brachte er unten das Zeichen „%“ an, um zu zeigen, dass sich auf der Rückseite ebenso Urkundeninhalt befinde. Der Erblasser wollte durch den Nachtrag den Fünftantragsteller zum Erben einsetzen.

[2] Die Vorinstanzen stellten dessen Erbrecht aufgrund des Testaments fest und wiesen die auf das Gesetz gestützten Erbantrittserklärungen der Erst- bis Viertantragsteller ab. Unter Berücksichtigung des gesamten Urkundeninhalts der Vorder- und Rückseite des Testaments sei die vom Erblasser gewollte Erbseinsetzung des Fünftantragstellers eindeutig abzuleiten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentlichen Revisionsrekurse der Erst- bis Viertantragsteller sind mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

[4] 1. Aufgrund des Errichtungszeitpunkts der letztwilligen Verfügung ist die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB), wobei durch die Einfügung der allgemeinen Auslegungsregel für letztwillige Verfügungen in § 553 ABGB keine materielle Änderung der – zuvor analog aus § 655 ABGB aF (Legatsauslegung) abgeleiteten – Auslegungsgrundsätze eingetreten ist (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  7).

[5] 2. Maßgeblich für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist der wahre Wille des Erblassers (RS0012238 [T2]) im Zeitpunkt der Verfügung (RS0012238 [T9]), wobei die Erklärung als Einheit in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten ist (2 Ob 41/11k Pkt 2.1 mwN). Die Auslegung soll dabei so erfolgen, dass der vom Erblasser angestrebte Erfolg eintritt (RS0012370). Sie muss aber im Testament irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen gerade zuwiderlaufen („Andeutungstheorie“: RS0012372). Die zeitliche Einheit des Testierakts ist für die Gültigkeit eines holographen Testaments keine Voraussetzung (RS0012466 [T1]).

[6] 3. Bekämpft der Rechtsmittelwerber – wie im vorliegenden Fall – die Entscheidungen der Vorinstanzen lediglich mit Argumenten aus dem Testamentsinhalt, wendet sich aber nicht gegen die getroffenen Feststellungen, ist die Auslegung eine bloße Rechtsfrage (RS0043463 [T16]), deren Lösung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Ihr kommt daher regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu (RS0043463 [T12]).

[7] 4. Dass die letztwillige Verfügung des Erblassers samt dem unterfertigten Nachtrag formgültig ist und trotz des zeitlichen Abstands zwischen den Anordnungen eine Einheit aus Vorder- und Rückseite darstellt (vgl zum räumlichen Zusammenhang: 1 Ob 38/68), ziehen die Rechtsmittel nicht in Zweifel.

[8] Wenn die Vorinstanzen entsprechend dem festgestellten wahren Willen des Erblassers unter Berücksichtigung auch der Vorderseite des Schriftstücks in der bloßen Nennung des Namens des Fünftantragstellers eine ausreichend angedeutete und daher wirksame Erbseinsetzung erblickt haben, ist dies nicht korrekturbedürftig. Die Verfügung nennt Namen ausschließlich in Verbindung mit Erbseinsetzungen und enthält – abgesehen vom Widerruf früherer Anordnungen – keine sonstigen inhaltlichen Verfügungen. Die zunächst auf der Vorderseite des Testaments Genannten (Erbin und Ersatzerbin) waren zum Zeitpunkt des Nachtrags bereits vorverstorben. Die bloße Nennung des Namens des Fünftantragstellers unabhängig von der – ohnehin auch in dritter Instanz der unstrittigen Urkunde zu entnehmende (RS0040083 [T1]) – genauen Positionierung des Zeichens „%“ auf der Vorderseite als Erbseinsetzung zu verstehen, ist daher zumindest vertretbar. Auch letztwillige Verfügungen, die keine ausdrückliche Erklärung enthalten, dass eine genannte Person als Erbe zum Nachlass des Erblassers berufen werde, sind in diesem Sinne undeutlich aber deswegen nicht schlechthin ungültig. Auch Unvollständigkeit macht eine solche Verfügung nicht ungültig, wenn – wie hier – die Absicht des Erblassers ermittelt werden kann (RS0012374 [T4] = 1 Ob 506/92) und diese in der Verfügung ausreichend angedeutet ist.

[9] 5. Die Entscheidung 7 Ob 185/05i, in der der Oberste Gerichtshof in der allein (als lesbar) festgestellten Wortfolge „Mein letzter Wille“ ... „Dr. Georg“ ... „Vermögen“ ... „Georg“ keine ausreichend deutliche Erbseinsetzung erblickt hat, ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil hier einerseits der wahre Wille des Erblassers, den Fünftantragsteller zu seinem Erben zu berufen, feststeht und andererseits unter Berücksichtigung des gesamten Urkundeninhalts ein Konnex zwischen dessen Namen und einer – in der Urkunde explizit auch enthaltenen – Erbseinsetzung hergestellt wird. Die Ausführungen der Revisionsrekurse, die im Wesentlichen damit argumentieren, die bloße Namensnennung lasse keine Auslegung in Richtung einer Erbseinsetzung zu, blenden die Urkunde in ihrer Gesamtheit sowie den festgestellten und in der Verfügung auch ausreichend angedeuteten Erblasserwillen aus.

[10] 5. Wenn der Oberste Gerichtshof dem Revisionsrekursgegner die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung nicht freigestellt hat, ist eine dennoch erstattete Revisionsrekursbeantwortung nicht im Sinn des § 78 Abs 1 AußStrG zur Rechtsverfolgung notwendig. Der Antrag auf Kostenzuspruch für solche Revisionsrekursbeantwortungen ist daher abzuweisen (RS0121741).

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