OGH 4Ob57/24x

OGH4Ob57/24x10.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. * und 2. R*, beide *, vertreten durch Mag. Dr. Robert Hirschmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Susanne Tichy-Scherlacher, Rechtsanwältin in Wien, wegen 21.700 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2024, GZ 15 R 235/23y‑33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 27. September 2023, GZ 6 Cg 61/22h‑29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00057.24X.0910.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.930,56 EUR (darin 488,43 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die beklagte Bauunternehmerin errichtete auf einer Nachbarliegenschaft der klagenden Liegenschaftseigentümer eine Wohnhausanlage. Sie schwenkte den Arm eines auf der Baustelle aufgestellten Krans in einem Zeitraum von rund sieben Monaten entsprechend der bautechnischen Notwendigkeiten, teilweise bis zu 100 mal täglich, durch den Luftraum über der Liegenschaft der Kläger. Auch außerhalb der Arbeitszeiten auf der Baustelle kam es zum Überschwenken der Liegenschaft der Kläger, weil der Kranarm zur Windsicherung frei beweglich war und sich mit dem Wind drehte. Die Liegenschaft der Kläger hat eine Grundfläche von rund 554 m². Vom Überschwenken betroffen waren rund 175 m². Außerdem beleuchtete die Beklagte während 3,5 Monaten den Kran und damit auch den Innenhof sowie die der Baustelle zugewandten Fenster des Wohnhauses der Kläger.

[2] Einen rechtskräftigen Bescheid der Baubehörde über die Berechtigung und den Umfang der Duldungsverpflichtung der Kläger (§ 126 Abs 3 erster Satz der Bauordnung für Wien) gab es nicht.

[3] Die Kläger fühlten sich durch das Überschwenken und Beleuchten von Teilen ihrer Liegenschaft in ihrer Privatsphäre gestört und in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Sie erlitten dadurch aber keinen (materiellen) Schaden (keinen Entgang von Mieteinnahmen, keinen Entgang eines Verkaufserlöses, keine Wertminderung der Liegenschaft, keine Aufwendungen, keinen Verdienstentgang und keine Auswirkungen auf ihre Gesundheit).

[4] Die Beklagte hatte versucht, mit den vom Überschwenken ihrer Liegenschaften betroffenen Nachbarn eine Einigung zu erzielen. Vier von sieben Anrainern hatten einem Überschwenken ohne Entgelt zugestimmt. Mit zwei weiteren Anrainerfamilien hatte sich die Beklagte auf ein Entgelt geeinigt: Der ersten hatte sie pauschal 1.800 EUR gezahlt und der zweiten – die vom Überschwenken von rund 596 m² ihrer Liegenschaft mit zwei Kranarmen betroffen war – 1.000 EUR pro Monat der Dauer des Eingriffs.

[5] Die Kläger begehrten von der Beklagten, gestützt auf §§ 1041 und 1295 ABGB, die Zahlung von 21.700 EUR Benützungsentgelt bzw Schadenersatz. Ihre Liegenschaft habe wegen des Überschwenkens mit dem Kranarm für sieben Monate einen um 2.800 EUR monatlich reduzierten Wohnwert gehabt (insgesamt 19.600 EUR) und wegen der Ausleuchtung für 3,5 Monate einen weitere 600 EUR monatlich reduzierten Wohnwert (insgesamt 2.100 EUR). Die Benützung des Eigentums der Kläger bzw der Eigentumseingriff sei rechtswidrig und schuldhaft erfolgt.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, es sei höchstens ein Benützungsentgelt von 2.100 EUR angemessen. Die Kläger hätten keine Schadenersatzansprüche.

[7] Das Erstgericht sprach den Klägern unter Abweisung des Mehrbegehrens 2.100 EUR sA zu. Ein Verwendungsanspruch in dieser Höhe sei zum Ausgleich der Bereicherung der Beklagten angemessen. Schadenersatzansprüche stünden den Klägern nicht zu, weil sie nach den Feststellungen keine ersatzfähigen Schäden erlitten hätten.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Beklagte habe den Luftraum über der Liegenschaft der Kläger entgegen § 126 Abs 3 zweiter Satz der Bauordnung für Wien bereits vor Rechtskraft des Bescheids der Baubehörde über die Berechtigung und den Umfang der Duldungsverpflichtung (§ 126 Abs 3 erster Satz der Bauordnung für Wien) in Anspruch genommen. Die Benützung des Luftraums über der Liegenschaft der Kläger sei daher während ihrer gesamten Dauer rechtswidrig gewesen, sodass die Kläger einen Verwendungsanspruch hätten. Die vom Erstgericht ausgemessene Höhe des Verwendungsanspruchs sei angemessen. Schadenersatzansprüche stünden den Klägern nicht zu, weil sie keine ersatzfähigen Schäden erlitten hätten.

[9] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Ansprüchen des Eigentümers nach § 1041 ABGB bei rechtsgrundloser Verwendung des Luftraums über einer privaten Liegenschaft vor.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision der Kläger ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[11] 1. Auch eine vom Berufungsgericht zugelassene Revision ist zurückzuweisen, wenn sie nur Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059).

[12] 2. Die Kläger legen ihre Rechtsansicht dar, dass die Beklagte den Luftraum über der Liegenschaft der Kläger entgegen § 126 Abs 3 zweiter Satz der Bauordnung für Wien bereits vor Rechtskraft des Bescheids der Baubehörde über die Berechtigung und den Umfang der Duldungsverpflichtung (§ 126 Abs 3 erster Satz der Bauordnung für Wien) in Anspruch genommen habe und dass die Beklagte dadurch eine Verwaltungsübertretung begangen habe. Sie schließen daraus, dass die Benützung des Luftraums über ihrer Liegenschaft während ihrer gesamten Dauer rechtswidrig gewesen sei. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigen sie damit nicht auf, weil das Berufungsgericht diese Rechtsansicht ohnehin geteilt und seinem Urteil zugrunde gelegt hat. Der von den Klägern behauptete Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 182 ZPO von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen.

[13] 3. Soweit die Kläger die allgemeinen Fragen aufwerfen, wie sich die Höhe eines Verwendungsanspruchs für die Benützung des Luftraums über einer fremden Liegenschaft durch den Arm eines Baukrans zum Zwecke der kostengünstigeren Errichtung von Baulichkeiten bemesse und von welchen Faktoren die Anspruchhöhe abhänge, ohne einen konkreten Bezug zur rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen herzustellen, sind sie darauf zu verweisen, dass die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist (RS0111271 [T2]).

[14] 4. Richtig ist, dass der unredliche Bereicherungsschuldner dem Verkürzten nach der Rechtsprechung entsprechend § 417 ABGB das höchste erzielbare Benützungsentgelt schuldet (RS0020150 [T6]). Die Frage der Unredlichkeit der Beklagten – die Kläger verweisen auch in diesem Zusammenhang darauf, dass die Beklagte den Luftraum über der Liegenschaft der Kläger entgegen § 126 Abs 3 zweiter Satz der Bauordnung für Wien und damit rechtswidrig in Anspruch genommen habe – und der Auswirkungen einer (allfälligen) Unredlichkeit auf den Verwendungsanspruch der Kläger bedürfen aber keiner weiteren Erörterung: Die Kläger bringen weder vor, dass der Klagebetrag das höchste erzielbare Benützungsentgelt für die Inanspruchnahme des Luftraums über ihrer Liegenschaft gewesen wäre, noch aus welchen konkreten Umständen sich das ergeben hätte.

[15] 5. Nach der Rechtsprechung hat der Bereicherte dem Verkürzten gemäß § 1041 ABGB ein dem verschafften Nutzen angemessenes Entgelt zu entrichten (RS0019850). Die Höhe des angemessenen Benützungsentgelts hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RS0018534 [T13]). Mit ihrer pauschalen Behauptung, die Vorinstanzen hätten das Benützungsentgelt „viel zu gering bemessen“, stellen die Kläger ebensowenig eine erhebliche Rechtsfrage wie mit ihrer Kritik an den von den Vorinstanzen herangezogenen Orientierungshilfen für die Bemessung des Benützungs-entgelts (von den Nachbarn mit der Beklagten vereinbarte Beträge; TP B. Z 5 und TP D. Z 1 des Wiener Gebrauchsabgabegesetzes 1966 in der damals geltenden Fassung).

[16] 6. Immaterielle Schäden sind nach der Rechtsprechung nur in den vom Gesetz angeführten Fällen zu ersetzen (RS0022544 [T1]). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits wiederholt klargestellt, dass eine Minderung der Wohn- und Lebensqualität („geminderter Wohnwert“) ein mangels gesetzlicher Grundlage nicht ersatzfähiger immaterieller Schaden ist (1 Ob 604/92; 1 Ob 16/95; 1 Ob 148/06f; 6 Ob 231/12g; vgl 10 Ob 39/21i). Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, den Klägern stehe kein Ersatz für „entgangene Wohnfreude“ zu, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[17] 7. Soweit die Revision eine erhebliche Rechtsfrage darin erblicken will, dass die Vorinstanzen auch weitere Schadenersatzansprüche der Kläger gegen die Beklagte verneint haben, entfernt sich sie vom festgestellten Sachverhalt: Es steht fest, dass die Kläger durch die Inanspruchnahme ihres Luftraums keinen (materiellen) Schaden erlitten haben. Mangels eines Schadens der Kläger wirft auch die von ihnen kritisierte Auffassung des Berufungsgerichts, der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens sei nicht entscheidungswesentlich, keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[18] 8. Die Revision ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[19] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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