OGH 7Ob75/24s

OGH7Ob75/24s28.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* A*, vertreten durch Dr. Alexander Amann, LL.M., Rechtsanwalt in Liechtenstein, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 31. Jänner 2024, GZ 5 R 183/23b‑23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. August 2023, GZ 14 Cg 17/23v‑17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00075.24S.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Dieklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.639,40 EUR (darin enthalten  439,90 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2000) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[…]

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[…]“

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtsschutzdeckung für die klageweise Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB, § 874 ABGB sowie auf Verletzung von Schutzgesetzen gestützten Anspruchs auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, in eventu den Ersatz des Minderwerts (40 % des Kaufpreises) samt Haftung für Spät- und Dauerfolgen gegen die Herstellerin, wegen des Erwerbs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgeliefert worden sei. In eventu stützt sie ihren Deckungsanspruch nur auf die Geltendmachung des Minderwerts samt Haftung für Spät- und Dauerfolgen gegen die Herstellerin.

[3] Die Beklagte wendet ein, die Klägerin habe den Versicherungsfall nicht schlüssig dargelegt, es sei nicht nachvollziehbar, welche Ansprüche sie gegen den Fahrzeughersteller geltend mache. Der Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises sowie das Begehren auf Wertminderung in Höhe von 40 % samt dem erhobenen Feststellungsbegehren sei aussichtslos. Der Schaden habe sich auch nicht im Vermögen der Klägerin ereignet.

[4] Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt. Die Klägerin habe den Versicherungsfall schlüssig dargelegt, ihre Anspruchsverfolgung gegen die Fahrzeugherstellerin sei auch nicht aussichtslos.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Begehren der Klägerin ab. Die Klägerin habe den Versicherungsfall schlüssig dargelegt. Die Anspruchsverfolgung der Klägerin sei auch dem Grunde nach nicht aussichtslos. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten beziehe sich aber nicht bloß auf den Grund, sondern auch auf die Höhe des Anspruchs. Auf Basis des Vorbringens der Klägerin erweise sich sowohl die Klageführung auf Zug‑um‑Zug‑Abwicklung ohne Berücksichtigung des erhaltenen Nutzens als auch die Geltendmachung eines Minderwerts von 40 % des Kaufpreises verbunden mit einem Feststellungsbegehren als nicht hinreichend aussichtsreich. Die Deckungsablehnung der Beklagten sei daher zu Recht erfolgt. Auf die weiteren Argumente der Beklagten müsse nicht mehr eingegangen werden.

[6] Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob nach Schluss der Verhandlung erster Instanz ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten zu berücksichtigen seien, fehle.

[7] Dagegen richtet sich die RevisionderKlägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[10] 1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Auch eine klare Gesetzeslage oder bereits gelöste Rechtsfragen können die Annahme rechtfertigen, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (7 Ob 112/23f). Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen werden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RS0081927). Die Frage, in wessen Vermögen der behauptete Schaden eingetreten und wer daher für die Forderung von Ersatz legitimiert ist, stellt ein wesentliches Kriterium für die (rechtliche) Beurteilung der Erfolgschancen dar (7 Ob 130/10h; 7 Ob 64/22w). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]).

[11] 2. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtsschutzdeckung für die klageweise Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB, § 874 ABGB sowie auf Verletzung von Schutzgesetzen gestützten deliktischen Schadenersatzanspruchs. Zur Begründung ihres Haftpflichtanspruchs brachte sie vor, sie habe ein Fahrzeug erworben zu dessen Finanzierung zunächst ein Leasingvertrag abgeschlossen worden sei, wobei der Kaufpreis 40.900 EUR betragen habe. Nach Ablauf des Leasingvertrags habe sie das Fahrzeug in ihr Eigentum übernommen. Sie beabsichtige primär die Rückforderung des Kaufpreises von 40.900 EUR von der Fahrzeugherstellerin Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs und eventualiter eine Wertminderung auf Basis des Kaufpreises samt einem Feststellungsbegehren für zukünftige Schäden.

[12] Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vorbringen der Klägerin und den von ihr vorgelegten Urkunden ist davon auszugehen, dass die Klägerin von Anfang an eine Leasingfinanzierung beabsichtigt hatte und der (ursprüngliche) Kaufvertrag lediglich zur Spezifizierung des Leasinggegenstands abgeschlossen worden war. Wird aber die Finanzierung des Erwerbs des Fahrzeugs über einen gleichzeitig mit dem Kaufvertrag abgeschlossenen (und mit diesem daher eine vertragliche Einheit bildenden) Leasingvertrag behauptet und bleibt somit nach dem klägerischen Vorbringen die Möglichkeit, dass die Leasinggeberin in den ursprünglichen, ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs dienenden Kaufvertrag eintrat, wird die schlüssige Geltendmachung eines Schadens aus diesem Kaufvertrag verneint (vgl dazu 7 Ob 128/23h; 5 Ob 118/23y; 10 Ob 53/23a; 4 Ob 69/24m). Es liegen somit mangelnde Erfolgsaussichten im Sinn von Art 9.2.3 ARB 2000 vor, weil die Klägerin aufgrund der Leasingfinanzierung den in ihrem Vermögen entstandenen Schaden nicht schlüssig dargelegt hat (7 Ob 192/23w).

[13] 3. Auch der Oberste Gerichtshof darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden (RS0037300 [T60]). Nach der herrschenden Rechtsprechung bedarf es aber keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen, gegen das der Prozessgegner – wie hier – bereits Einwendungen erhoben hat (RS0122365), hat die Beklagte doch ausdrücklich auf die Leasingvertragsproblematik hingewiesen.

[14] 4. Damit ist die klageabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis zutreffend, ein Eingehen auf die weiters in der Revision aufgeworfenen Fragen erübrigt sich.

[15] 5. Die Revision ist daher zusammengefasst erfolglos.

[16] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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