OGH 6Ob217/23i

OGH6Ob217/23i27.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, MMag. Sloboda und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* S*, vertreten durch Mag. Robert Haupt, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C* GmbH, FN *, vertreten durch Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Unterlassung, im Verfahren über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. August 2023, GZ 12 R 25/23v‑32, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Dezember 2022, GZ 2 Cg 112/21m‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00217.23I.0827.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Datenschutzrecht

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Bundesgerichtshof (Deutschland) am 26. September 2023 zu VI ZR 97/22 beschlossenen und zu C‑655/23 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte betreibt das Gewerbe einer Auskunftei über Kreditverhältnisse gemäß § 152 GewO 1994 und verarbeitet zum Zweck der Ausübung dieses Gewerbes personenbezogene Daten.

[2] Der Kläger begehrt, es der Beklagten zu untersagen, Dritten weiteren Zugriff auf die von der Beklagten betriebene „Identitäts- und Bonitätsdatenbank“ hinsichtlich der personenbezogenen Daten der klagenden Partei zu gewähren, solange diese Daten – aus im Einzelnen angeführten Gründen – unrechtmäßig verarbeitet würden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der deutsche Bundesgerichtshof legte mit Beschluss vom 26. 9. 2023 (Aktenzahl VI ZR 97/22) in einem Verfahren, in dem eine Mitarbeiterin der dort Beklagten unter Verletzung des Art 6 Abs 1 DSGVO über einen Messenger-Dienst eine nur für den dort Kläger bestimmte Nachricht auch an eine dritte Person versandt hatte, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unter anderem folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1.

a) Ist Art 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls die Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3. Falls die Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art 84 iVm Art 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art 82 DSGVO und den sich aus Art 17 und Art 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?“

[4] Der Bundesgerichtshof begründete diese Vorlagefragen damit, dass der dort Kläger nicht die Löschung seiner unter Verstoß gegen die DSGVO verarbeiteten personenbezogenen Daten begehre und daneben die Unterlassung deren neuerlicher Speicherung, sondern nur eine Wiederholung der unrechtmäßigen Verarbeitung im Wege einer Unterlassungsklage verhindern wolle. Ob der Kläger dieses Begehren auf einen aus Art 17 Abs 1 und/oder Art 18, Art 4 Abs 3 DSGVO, eventuell auch aus Art 79 DSGVO ableitbaren unionsrechtlichen Unterlassungsanspruch stützen könne, sei weder durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt noch im Übrigen klar zu beantworten. Wenn nach den Bestimmungen der DSGVO kein unionsrechtlicher Unterlassungsanspruch in Betracht komme, stelle sich die Frage, ob insoweit über Art 84 iVm Art 79 DSGVO auf das nationale Recht zurückgegriffen werden könne oder ob dem das Ziel eines gleichmäßigen Datenschutzniveaus innerhalb der Union (vgl ErwGr 9 und 10 zur DSGVO) entgegenstehe. Auch diese Frage sei durch den EuGH bisher nicht geklärt.

[5] Das Vorabentscheidungsverfahren ist zur Zahl C‑655/23 (Rs IP gegen Quirin Privatbank AG) vor dem EuGH anhängig. Eine Entscheidung des EuGH liegt noch nicht vor.

[6] Die Beantwortung dieser Frage ist auch für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens präjudiziell, weil auch hier die Unterlassung der erneuten unrechtmäßigen Offenlegung personenbezogener Daten des Klägers begehrt wird, ohne die Löschung der Daten zu verlangen.

[7] Sollte der EuGH die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen 1 bis 3 dahin beantworten, dass der dort angesprochene Unterlassungsanspruch nicht besteht und auch nicht auf das nationale Recht zurückgegriffen werden kann, wäre damit auch dem Klagebegehren im vorliegenden Fall die Rechtsgrundlage entzogen.

[8] Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über die gegen die Beklagte geltend gemachten Unterlassungsansprüche bis zur Entscheidung des EuGH über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Revisionsverfahren zu unterbrechen (RS0110583 [T3]; vgl 6 Ob 89/23s; 6 Ob 201/22k).

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