European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00052.24A.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen hielten die gemeinsame Obsorge der seit 2020 getrennt lebenden Eltern für das Kind aufrecht, legten die Betreuung durch beide Eltern im zeitlich gleichen Ausmaß (Doppelresidenz: Vater jeden Montag und Mittwoch jeweils nach dem Kindergarten bis zum nächsten Tag Kindergartenbeginn sowie jedes zweite Wochenende von Freitag nach dem Kindergarten bis Montag Früh zu Kindergartenbeginn) fest, wiesen die hauptsächliche Betreuung im Sinn der primären Wahrnehmung jener Aufgaben, deren Grundlage ein bestimmter Aufenthaltsort des Kindes ist, nicht jedoch die alleinige Bestimmung des Wohnorts des Kindes im In‑ und Ausland iSd § 162 Abs 2 ABGB, der Mutter zu und verpflichteten diese, binnen sechs Monaten eine Erziehungsberatung nachzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die Mutter zeigt mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, mit dem sie erkennbar den Verbleib des hauptsächlichen Betreuungsorts bei ihr ohne Anordnung der Doppelresidenz, den Wegfall des Kontaktrechts des Vaters (nur) an jedem Montag bis Dienstag Kindergartenbeginn und die Verpflichtung auch des Vaters zur Absolvierung einer Erziehungsberatung anstrebt, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:
[3] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[4] 2.1. Maßgeblich für die Anordnung der faktischen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im zeitlich gleichen Ausmaß im Sinne eines „Doppelresidenzmodells“ ist das Kindeswohl (2 Ob 4/23m [ErwGr 2.]; 3 Ob 71/17p [ErwGr 2.2.]; 10 Ob 53/16s [ErwGr 4.]). Der Oberste Gerichtshof hat eine derartige Doppelresidenz selbst gegen den Willen eines Elternteils bereits angeordnet (3 Ob 71/17p) und auch wiederholt eine solche Anordnung gegen den Willen eines Elternteils durch die Vorinstanzen gebilligt (2 Ob 4/23m; 10 Ob 53/16s; vgl auch 4 Ob 146/21f).
[5] 2.2. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine – in hohem Maß einzelfallbezogene (RS0128812 [T5]) – Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (6 Ob 147/23w [ErwGr 1.]; RS0128812 [T1, T2, T4]). Diese Grundsätze gelten auch in den Fällen der Doppelresidenz (2 Ob 4/23m [ErwGr 2.]; 10 Ob 53/16s [ErwGr 4.]).
[6] 2.3. Die Vorinstanzen haben ausführlich die Gründe dargelegt, aus welchen sie die Anordnung der Doppelresidenz trotz der zwischen den Eltern bestehenden Kommunikationsprobleme im konkreten Fall als bestmögliche Lösung für das Wohl des Kindes ansahen. Dafür war vor allem maßgeblich, dass diese aus kinderpsychologischen Erwägungen am ehesten dem Kindeswohl entspricht, weil die regelmäßigen Kontakte in kurzen Abständen mit Übernachtung für das Wohl des Minderjährigen unabdingbar sind und diese durch die Doppelresidenz gewährleistet werden. Die Eltern leben nicht weit voneinander entfernt, das Kind hat zu beiden eine gute Beziehung. Zwar lehnt die Mutter direkte Gespräche mit dem Vater ab, Kommunikation und Informationsaustausch finden zwischen den Eltern aber vorwiegend über E‑Mail und „Whatsapp“ statt (vgl dazu 10 Ob 8/19b [ErwGr 4.2.]; 8 Ob 152/17m [ErwGr 2.4.]). Die Vorinstanzen haben auch die Kommunikationsprobleme der Eltern erkannt und infolge ihrer Überzeugung, dass die Kommunikation der Eltern verbessert werden muss, die Mutter – insoweit unangefochten – zum Besuch einer Erziehungsberatung verpflichtet. Wenn die Vorinstanzen überdies davon ausgegangen sind, dass mit einer entsprechenden Kommunikationsbasis im Zusammenhalt mit der angeordneten Erziehungsberatung zu rechnen ist, kann der Oberste Gerichtshof dieser Sachverhaltsannahme nicht entgegentreten (vgl 2 Ob 4/23m [ErwGr 2.]; 10 Ob 53/16s [ErwGr 4.]; RS0006737).
[7] 2.4. Gegen die Anordnung von zehn Einheiten Erziehungsberatung für die Mutter wendet sich diese im Rechtsmittelverfahren nicht. Warum es „zur Verbesserung der Kommunikation der Eltern unbedingt erforderlich“ sei, auch dem Vater eine solche Erziehungsberatung aufzuerlegen, führt der Revisionsrekurs nicht aus. Dies liegt auch nicht auf der Hand, zumal nach den Feststellungen der Vater – anders als die Mutter – um einen friedlichen Umgang mit der Mutter bemüht ist.
[8] 2.5. Das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechungsgrundsätze oder eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs somit nicht auf. Es steht auch weder fest noch ist unstrittig oder aktenkundig (vgl RS0048056 [insb T11]), dass das Kind durch die angeordnete Doppelresidenz überfordert würde. Die Letzteres zugrunde legenden Ausführungen des Revisionsrekurses gehen daher nicht vom Sachverhalt aus.
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