European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00086.24F.0813.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der 1977 geborene Kläger bezieht eine Waisenpension. Im Alter von zwölf Jahren gelangte er aufgrund einer Empfehlung eines Psychologen auf Wunsch seiner Mutter in eine Einrichtung, in der er die Schule besuchte und die gesamte Woche samt Übernachtung verbrachte. Diese Einrichtung war und ist eine private gemeinnützige Stiftung, die mit Landesmitteln unterstützt wird und der staatlichen Aufsicht des Landeshauptmanns unterliegt. Während des Aufenthalts wurde der Kläger Opfer vorsätzlicher Gewaltdelikte durch Lehrer und Erzieher dieser Einrichtung.
[2] Mit Bescheid vom 31. Mai 2023 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 4. November 2022 auf Zuerkennung einer Heimopferrente ab.
[3] Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung einer Heimopferrente ab 1. Dezember 2022.
[4] Die Beklagte wandte dagegen unter anderem ein, dass der Kläger nicht als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe aufgenommen gewesen sei.
[5] Das Erstgericht gab der Klage (dem Grunde nach) statt. Der eine Eigenpension beziehende Kläger sei in einem Heim Gewalt im Sinn des § 1 Abs 2 Heimopferrentengesetz ausgesetzt gewesen. Zwar lasse sich aus den Feststellungen eine Zuweisung durch einen Jugendwohlfahrtsträger nicht ableiten, unter Zugrundelegung der Rechtsnatur der Stiftung sei jedoch von einer Unterbringung des Klägers in einem Kinder- oder Jugendheim oder in einer vergleichbaren Einrichtung eines Bundeslandes auszugehen, sodass insgesamt die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Heimopferrente vorlägen.
[6] Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Der Kläger sei nicht im Sinn des Heimopferrentengesetzes im Heim untergebracht gewesen, weil es sich nicht um eine Fremdpflege gehandelt habe, der sich der Kläger nicht entziehen habe können.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8] 1.1. § 1 Abs 1 Heimopferrentengesetz (HOG) lautet auszugsweise (Hervorhebung durch den Senat):
„§ 1. (1) Personen, die eine Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder- oder Jugendheimen, als Kinder oder Jugendliche in Kranken-, Psychiatrie- und Heilanstalten beziehungsweise in vergleichbaren Einrichtungen der Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbände, in entsprechenden privaten Einrichtungen, sofern diese funktional für einen Jugendwohlfahrtsträger tätig wurden, in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim-, Jugendwohlfahrts-, Krankenhausträger oder Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters (§§ 253 und 617 Abs 11 ASVG) folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.“
[9] 1.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat der Gesetzgeber den Kreis der nach § 1 Abs 1 HOG anspruchsberechtigten Personen eng umschrieben. Er hat die Gewährung einer Heimopferrente als besondere Fürsorgeleistung und spezifische Reaktion auf ein Unrecht geschaffen, das typischerweise und in besonderer Intensität sogenannten „Heimkindern“ bzw „Pflegekindern“ widerfahren ist. Er stellt daher auf kindliche und jugendliche Opfer von Gewalt ab, die solcher Gewalt im Rahmen einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, der sie sich nicht entziehen konnten, ausgesetzt waren (VfGH G 226/2018).
[10] 2. Beruhend darauf hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Tatbestand der „Unterbringung“ im Sinn des § 1 Abs 1 HOG im Fall einer Klägerin nicht erfüllt ist, die als „Lehrling“ in einem Kloster beschäftigt und dort in einem Zimmer mit zwei weiteren weiblichen Beschäftigten untergebracht war. Denn es bestand – anders als für „Heimkinder“ oder „Pflegekinder“ – zumindest rein rechtlich die Möglichkeit, dass das Autoritätsverhältnis durch die Klägerin selbst oder durch ihren gesetzlichen Vertreter beendet wird (10 ObS 148/20t Rz 27–29).
[11] 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall entspricht dieser Rechtsprechung. Dem Kläger ist uneingeschränkt darin zuzustimmen, dass er außerordentliche Gewalt erleben und erleiden musste. Die festgestellten Handlungen erfolgten jedoch nicht während einer Unterbringung in Fremdpflege, der sich der Kläger nicht entziehen konnte, weil zumindest rein rechtlich die Möglichkeit bestand, dass das Autoritätsverhältnis durch seinen (ihm zurechenbaren und von den in § 1 Abs 1 HOG genannten Rechtsträgern bzw Personen verschiedenen) gesetzlichen Vertreter beendet wird. Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass er der Schulpflicht unterlag, diese forderte aber nicht den (weiteren) Besuch einer bestimmten (oder der konkreten) Einrichtung. Dementsprechend wurde die Betreuung in dieser Einrichtung nach dem Vorbringen des Klägers auch auf seinen Wunsch und jenen der Mutter beendet.
[12] 4. Da der geltend gemachte Anspruch schon an dieser Voraussetzung scheitert, kommt es auf die in der Revision weiters thematisierte Frage, ob die Einrichtung eine „vergleichbare Einrichtung der Gebietskörperschaften“ im Sinn des § 1 Abs 1 HOG darstellt, nicht entscheidend an.
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