OGH 8Ob60/24t

OGH8Ob60/24t26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann-Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI F*, und 2. Mag. E*, beide vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. M*, und 2. A*, beide vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien H*, vertreten durch Dr. Gerhard Schöppl, Rechtsanwalt in Wals, wegen Einverleibung einer Dienstbarkeit, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. April 2024, GZ 3 R 36/24w‑19, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 19. Jänner 2024, GZ 7 Cg 33/23y-15, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00060.24T.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Liegenschaft der Kläger grenzt an jene der Beklagten. Die von den Beklagten gegen die Kläger eingebrachte Klage auf Entfernung der auf ihr Grundstück reichenden Erdanker wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg zu 12 C 560/21k rechtskräftig abgewiesen.

[2] Die Kläger begehren nunmehr die Einwilligung in die Einverleibung der Dienstbarkeit zur Duldung dieser Erdanker, soweit diese zur Absicherung des Hanges notwendig sind, in eventu im bereits bestehenden Ausmaß.

[3] Die Beklagten bestreiten das Bestehen einer solchen Dienstbarkeit und wenden ein, dass dem Urteil im Vorprozess keine Bindungswirkung zukomme.

[4] Das Erstgericht gab der Klage unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Vorprozesses im Umfang des Eventualbegehrens statt.

[5] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Da das Bestehen einer Dienstbarkeit im Vorprozess nur als Vorfrage zu beurteilen gewesen sei, bestehe keine Bindungswirkung, sodass das Erstgericht das Bestehen der von den Klägern behaupteten Dienstbarkeit selbständig prüfen, das heißt Beweise aufnehmen und entsprechende Feststellungen treffen müsse. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Rekurs zulässig sei, weil aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 Ob 40/14m eine Bindungswirkung des Urteils im Vorprozess abgeleitet werden könnte.

[6] Dagegen richtet sich der Rekurs der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass der Berufung nicht Folge gegeben wird.

[7] Die Beklagten und der Nebenintervenient beantragen, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist im Hinblick auf die uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Die Kläger berufen sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 Ob 40/14m, die den Fall betraf, dass im Vorprozess einer auf die Ersitzung einer Dienstbarkeit des Fahrens und Mähens gestützten und auf die Beseitigung eines Zauns gerichteten Klage stattgegeben wurde. In diesem Urteil sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass die Entscheidung über eine nachfolgende Klage auf Verbücherung dieser Dienstbarkeit auf dem gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gründe und damit auch eine gleiche rechtliche Beurteilung erfordere, sodass eine Bindung an das Urteil des Vorprozesses bestehe (zust Rohrer, Entscheidungsanmerkung, ÖJZ 2015, 240). Dies entspricht einer Reihe älterer Entscheidungen, die eine Bindungswirkung schon dann bejahten, wenn beide Prozesse in einem derart engen inhaltlichen Zusammenhang stehen, dass eine widersprechende rechtliche Beurteilung dem Gebot der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie widersprechen würde (RS0041157). Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann der bloße Sinnzusammenhang der Entscheidungen oder das Bedürfnis nach Harmonisierung der Rechtsprechung aber keine Bindungswirkung rechtfertigen (RS0039843 [T42]; RS0041157 [T26]; RS0041572; RS0102102 [T15, T17]). Die Entscheidung zu 8 Ob 40/14m wird daher von der aktuellen Kommentarliteratur durchwegs abgelehnt (Klicka in Fasching/Konecny 3 § 411 ZPO Rz 60; Geroldinger in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 411 ZPO Rz 87).

[10] 2. Bei der Bindungswirkung handelt es sich ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft des Urteils (RS0102102). Nur der Spruch des Urteils entfaltet Rechtskraftwirkungen (RS0041331; RS0041357). Die damit verbundene Bindungswirkung erstreckt sich auch auf das begriffliche Gegenteil des entschiedenen Anspruchs (RS0041331). Demgegenüber können die Entscheidungsgründe nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lediglich zur Auslegung und Individualisierung des Spruchs herangezogen werden (RS0041357). Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dementsprechend nur anzunehmen, wenn der im zweiten Prozess zu beurteilende Anspruch im Vorprozess als Hauptfrage entschieden wurde (RS0127052). Wenn eine bestimmte Frage im Vorprozess hingegen nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens bildete, sondern lediglich als Vorfrage zu beurteilen war, kommt der Entscheidung dieser Vorfrage im folgenden Prozess nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine bindende Wirkung zu (RS0039843 [T21]; RS0042554; RS0041157 [T13, T15, T18]; RS0127052 [T1]).

[11] 3. Der Oberste Gerichtshof hat dementsprechend schon zu 6 Ob 727/87 ausgesprochen, dass ein Urteil im Vorprozess, mit welchem eine Klage auf Entfernung eines Öltanks abgewiesen wurde, im Prozess über eine Klage auf Einverleibung einer Dienstbarkeit zur Lagerung dieses Öltanks keine Bindungswirkung entfaltet, weil die Verneinung des Anspruchs auf Entfernung des Öltanks nicht das Bestehen der behaupteten Dienstbarkeit erfordert, sondern sich auch aus einer Leihe, Miete oder einem sonstigen obligatorischen Nutzungsrecht ergeben kann. Später sprach der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 47/17v aus, dass ein Urteil, mit welchem eine auf Unterlassung des Gehens und Fahrens auf der Liegenschaft gerichtete Klage abgewiesen wurde, keine Bindungswirkung für die auf Feststellung einer solchen Dienstbarkeit gerichtete Klage habe, weil das Bestehen der Dienstbarkeit im Vorprozess nur als Vorfrage zu beurteilen war. Die ältere Rechtsprechung, wonach auch ein bloß inhaltlicher Zusammenhang im Sinne der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie eine Bindungswirkung rechtfertigen könne, wurde in dieser Entscheidung ausdrücklich abgelehnt.

[12] 4. Auch im vorliegenden Fall war die Frage des Bestehens einer Dienstbarkeit, welche die Beklagten zur Duldung der auf ihr Grundstück reichenden Erdanker verpflichtet, im Vorprozess, der den Anspruch auf Entfernung dieser Erdanker betraf, als bloße Vorfrage zu beurteilen, sodass eine Bindungswirkung zu verneinen ist. Das Erstgericht wird daher das Bestehen der behaupteten Dienstbarkeit selbständig prüfen müssen.

[13] 5. Der Kosten ausspruch beruht auf §§ 52 Abs 1 ZPO (RS0035976; RS0036035).

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