European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00032.24G.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 658,99 EUR (darin 109,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 453,17 EUR (darin 75,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der am * 1966 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit * 2003 als Vertragsbediensteter beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis kommt die Vertragsbedienstetenordnung 2005 der Stadt Linz (VBO Linz; VBO) zur Anwendung.
[2] Nachdem der Kläger zum Verbrauch der offenen Urlaubsstunden aus dem Jahr 2020 aufgefordert und über den allfälligen Verfall bei Nichtverbrauch informiert worden war, traf er mit der Beklagten eine Urlaubsvereinbarung für den Zeitraum 14. 11. 2022 bis 30. 12. 2022. Da sich der Kläger jedoch am 1. 9. 2022 einer unvorhersehbaren und unbedingt notwendigen Operation unterziehen musste und sich anschließend bis 7. 7. 2023 im Krankenstand befand, konnte er den vereinbarten Urlaub weder antreten noch verbrauchen.
[3] Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass ihm im Klagszeitpunkt (Anmerkung: 6. 7. 2023) über das von der Beklagten zugestandene Ausmaß von 102,06 Stunden hinaus ein weiterer nicht verbrauchter und nicht verjährter Urlaubsrest aus dem Urlaubsjahr 2020 von 102,06 Stunden und damit insgesamt ein Urlaubsrest von 204,12 Stunden zustehe. Da er mehr als 10 Jahre bei der Beklagten beschäftigt sei und ihm die Eigenschaft als begünstigter Behinderter im Sinne des § 14 BEinstG zukomme, richte sich sein Urlaubsausmaß nach § 72 Abs 1 Z 2 lit b und § 80 Abs 1 Z 3 Oö StGBG. Sein Urlaubsanspruch aus dem Urlaubsjahr 2020 sei (auch aus unionsrechtlicher Sicht) nicht verfallen, weil er diesen Urlaub krankheitsbedingt nicht konsumieren habe können.
[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der klagsgegenständliche Teil des Urlaubsanspruchs des Klägers verfallen sei.
[5] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren statt. Das hier maßgebliche Oö Statutargemeinden-Bedienstetengesetz 2002 (Oö StGBG), auf das die VBO verweise, sei planwidrig unvollständig, weil bei krankheitsbedingter Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs zwar ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung nach § 76a Oö StGBG bestehe, der Verfall des Urlaubs nach § 77 Oö StGBG aber nicht gehemmt werde. Diese Lücke sei im Sinne des § 4 Abs 5 UrlG durch die Annahme einer aus den Bestimmungen der §§ 1494 ff ABGB ableitbaren Hemmung der Verjährungsfrist zu schließen. Da der Kläger infolge seines länger andauernden Krankenstands seinen bereits geplanten, beantragten und genehmigten Urlaub (Rest aus 2020) in der Zeit von 14. 11. 2022 bis 30. 12. 2022 aufgrund seines Krankenstands nicht antreten und daher nicht verbrauchen habe können, sei der Urlaubsanspruch des Klägers während seines Krankenstands nicht verfallen. Vielmehr sei die Verjährungsfrist gehemmt.Da sich der Kläger bis einschließlich 7. 7. 2023 im Krankenstand befunden habe, würde die Verjährungsfrist mit 8. 7. 2023 weiterlaufen. Allerdings sei die Verjährung gemäß § 1497 ABGB durch die Einbringung der Klage am 6. 7. 2023 unterbrochen worden.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Landesgesetzgeber habe mit § 77 Abs 2 Oö StGBG eine abschließende Regelung getroffen, weshalb die in § 13b Oö Landes‑Gehaltsgesetz (Oö LGG) angeordnete subsidiäre Heranziehung der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung der Verjährung nicht zum Tragen komme. Eine ungewollte Regelungslücke liege nicht vor, weil der Landesgesetzgeber in Kenntnis der Möglichkeit des Zusammentreffens von Urlaub und Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit bewusst keine Regelung über die Hemmung der Verjährung des Erholungsurlaubs im Falle von Krankheit getroffen habe. Die Frage, ob die Anordnung des Verfalls ohne Rücksichtnahme auf die Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs aufgrund einer Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung oder Unfall im Einklang mit den unionsrechtlichen Bestimmungen stehe, müsse nicht abschließend geklärt werden, weil der Kläger trotz seiner Erkrankung den unionsrechtlich gesicherten Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen verbrauchen habe können.
[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil eine Rechtsprechung zur Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen nach § 77 Oö StGBG bei Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs wegen Krankheit fehle.
[8] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
[11] 1.1. Gemäß § 19 Abs 3 VBO gelten unter anderem für den Verfall des Erholungsurlaubs die einschlägigen Vorschriften für die Beamten der Stadt Linz sinngemäß. Die VBO enthält keine spezifischen Verjährungsvorschriften.
[12] 1.2. Die einschlägigen Vorschriften für die Beamten der Stadt Linz finden sich im Oö StGBG. § 77 Abs 1 Oö StGBG idF des Oö Dienstrechtsderegulierungsgesetzes 2021 – Oö DRDG 2021, LGBl 2021/76, enthält Bestimmungen über den Verfall des Erholungsurlaubs. Nach dessen Abs 1 verfällt die Hälfte des noch nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs nach Ablauf von zwei Jahren, der Rest nach Ablauf von drei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Nach Abs 1a leg cit hat im Fall eines drohenden Urlaubsverfalls durch den Dienstgeber rechtzeitig und nachweislich ein entsprechender Hinweis zu erfolgen. Hat die Beamtin eine Karenz nach (Oö) MSchG oder der Beamte eine Karenz nach (Oö) VKG in Anspruch genommen, so wird der Verfallstermin um den Zeitraum der Karenz hinausgeschoben (Abs 2 leg cit). Eine Hemmung der Verfallsfrist im Fall der Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs aufgrund einer Erkrankung ist dem Wortlaut des Oö StGBG nicht zu entnehmen.
[13] 1.3. § 2 Abs 2 Oö StGBG ordnet die sinngemäße Anwendung ua des Oö Landes-Gehaltsgesetzes (Oö LGG) an, soweit nicht gesetzlich anderes bestimmt ist. § 13b Oö LGG enthält allgemeine Bestimmungen über die Verjährung von Ansprüchen auf Leistungen und erklärt in Abs 4 die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung mit der Maßgabe für anwendbar, dass die Geltendmachung eines Anspruchs im Verwaltungsverfahren einer Klage gleichzuhalten ist.
[14] 2. Gemäß § 4 Abs 5 UrlG verjährt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Diese Frist verlängert sich bei Inanspruchnahme einer Karenz gemäß dem VKG oder dem MSchG um den Zeitraum der Karenz. Kann ein Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub nicht verbrauchen, dann ist nach der Rechtsprechung die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB (§§ 1494 ff) seit Beginn des Krankenstands gehemmt (RS0113021; Reissner in ZellKomm³ § 4 UrlG Rz 36 mwN; Mayr/Erler, UrlG3 § 4 Rz 34; Drs in Drs [Hrsg], Urlaubsrecht11, § 4 Rz 206 f), kann doch ein erkrankter Arbeitnehmer seinen Urlaub gar nicht antreten. Nach Reissner ist eine derartige Sichtweise – zumindest in gewissen Grenzen – auch unionsrechtlich gefordert.
[15] 3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen zum Verfall und zur Verjährung im öffentlichen Dienstrecht einzelner Länder Stellung genommen:
[16] 3.1. In 8 ObA 41/05w (= DRdA 2006/31 [Ziehensack]) hatte der Oberste Gerichtshof die Verfallsregelung des § 60 iVm der Verjährungsregelung des § 50 des Tiroler L‑VBG LGBl Nr 2/2001 zu beurteilen. Nach § 60 Tiroler L‑VBG verfalle der Anspruch auf Erholungsurlaub, wenn der Vertragsbedienstete den Erholungsurlaub nicht bis zum 31. Dezember des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verbraucht habe. Sei der Verbrauch bis zu diesem Zeitpunkt aus dienstlichen Gründen nicht möglich, so verfalle der Anspruch auf Erholungsurlaub erst mit dem Ablauf des diesem Zeitpunkt folgenden Kalenderjahres. Habe der Vertragsbedienstete einen Karenzurlaub nach dem Tiroler Mutterschutzgesetz 1998 bzw dem Mutterschutzgesetz 1979 oder dem Tiroler Eltern-Karenzurlaubsgesetz 1998 in Anspruch genommen, so werde der Verfallstermin um jenen Zeitraum hinausgeschoben, um den dieser Karenzurlaub das Ausmaß von 10 Monaten übersteige. § 50 Abs 4 Tiroler L‑VBG bestimme, dass für die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts mit der Maßgabe gelten, dass die schriftliche Geltendmachung eines noch nicht verjährten Anspruchs durch den Vertragsbediensteten gegenüber dem Dienstgeber die Verjährung unterbreche. Da das Tiroler L‑VBG keine eigenständige Regelung darüber enthalte, ob, gegebenenfalls welche Hemmungs- und Unterbrechungsgründe auf die im Tiroler L‑VBG geregelten Verfallsbestimmungen anzuwenden seien, seien die Hemmungsvorschriften des ABGB auf die im Tiroler L‑VBG normierte Verfallsfrist analog anwendbar. Könne ein Vertragsbediensteter infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaub nicht verbrauchen, werde der Verfall des Urlaubsanspruchs daher gehemmt.
3.2. Anders entschied der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObA 24/09a (AnwBl 2010/8250 [Hütthaler-Brandauer]) betreffend den Fall einer bei der Stadt Wien beschäftigten Klägerin, der die Eigenschaft einer begünstigten Behinderten im Sinne des BEinstG zukam. Da der Wiener Landesgesetzgeber – anders als in der zu 8 ObA 41/05w entschiedenen Fallkonstellation – für den Fall des (vereinbarten) Karenzurlaubs nach § 34 Wiener VBO 1995 gerade kein Hinausschieben des Verfallstermins vorsehen habe wollen, komme ein Heranziehen der allgemeinen Regelungen des ABGB über die Hemmung von Verjährungs- und Verfallsfristen nicht in Betracht. Der Anspruch der Klägerin auf Erholungsurlaub sei daher gemäß § 25 Abs 3 Wiener VBO (idF vor LGBl 20/2009) verfallen. Dass die Klägerin im Karenzzeitraum keinen Urlaub konsumiert habe, liege an der Karenzierung und nicht daran, dass sie während dieser Zeit auch krank gewesen sei. Auf die nach § 17 Abs 1 Wiener VBO 1995 subsidiäre Geltung der Besoldungsordnung 1994, deren § 10 Abs 3 vorsieht, dass die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass die Geltendmachung im Verwaltungsverfahren einer Klage gleichzuhalten ist, wurde im Verfahren nicht abgestellt.
[17] 3.3. Einen vergleichbaren Fall hatte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 67/13p betreffend eine beim Land Steiermark beschäftigten Klägerin beurteilt. Mit § 65 Abs 1 Stmk L-DBR habe der Gesetzgeber zwar für den Fall der Krankheit, des Unfalls oder Gebrechens sowie des Beschäftigungsverbots und der Karenz nach dem Mutterschutzgesetz aber auch für die Unmöglichkeit des Verbrauchs des Urlaubs aus dienstlichen Gründen Vorsorge getroffen, um einen Verfallsablauf des auf das Urlaubsjahr folgende Kalenderjahres zu verhindern, nicht aber für den Fall der grundsätzlich ohne besondere Voraussetzungen zu gewährenden allgemeinen Karenz nach § 70 Stmk L‑DBR. Im Hinblick auf die umfangreiche Erfassung von Gründen für die Hemmung des Ablaufs der Verfallsfrist könne nun nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber ganz allgemein die Hemmung der Verjährung ungeregelt gelassen habe und insoweit eine Anwendung der Bestimmungen des ABGB über die Hemmung der Verjährung zur Anwendung kommen könnte. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 163 Stmk L‑DBR befinde sich im Übrigen auch in einem anderen Abschnitt des Gesetzes („Besoldungsrechtliche Bestimmungen“; vgl anders zu Gesetzesbestimmungen, die keine Regelungen zur Frage der Hemmung wegen Krankheit hätten, aber wohl allgemein auf die Hemmungs- und Unterbrechungsbestimmungen des ABGB verwiesen hätten 8 ObA 24/09a und 8 ObA 41/05w). Der Umstand, weshalb die Klägerin ihren Urlaub nicht habe verbrauchen können, namentlich deren Karenz, habe auf deren freier Entscheidung und Vereinbarung beruht, weshalb sie den Verfall desselben zu vertreten habe.
[18] 3.4. In der Entscheidung 8 ObA 55/18y führte der Oberste Gerichtshof zur Bestimmung des § 62 Abs 7 letzter Satz NÖ LBG, wonach die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung „mit der Maßgabe anzuwenden [sind], dass die Geltendmachung eines Anspruches im Verwaltungsverfahren einer Klage gleichzuhalten ist“, aus, dass diese jedenfalls die Anwendung der mit „Unterbrechung der Verjährung“ überschriebenen Vorschrift des § 1497 ABGB anordne und (nur) zusätzlich statuiere, dass „die Geltendmachung eines Anspruches im Verwaltungsverfahren einer Klage gleichzuhalten ist“ (Pkt 1.1. der Entscheidung). Aus der zu § 25 Abs 3 Wiener VBO ergangenen Entscheidung 8 ObA 24/09a ergebe sich nichts Gegenteiliges, zumal anders als in der zu 8 ObA 41/05w entschiedenen Fallkonstellation (auch) keine Anordnung des Landesgesetzgebers zur Heranziehung der allgemeinen Regelungen des ABGB ersichtlich gewesen sei (Pkt 1.2.).
[19] 3.5. In der Entscheidung 8 ObA 37/19b betreffend die Verfallsregelung des § 25 Abs 8 Grazer Gemeindevertragsbedienstetengesetzes orientierte sich der Oberste Gerichtshof an der Entscheidung 8 ObA 24/09a, mit der über die fast wortidente Regelung des § 25 Abs 3 Wiener VBO (idF vor LGBl 20/2009) ein Urlaubsverfall bejaht wurde. Da der Steiermärkische Landesgesetzgeber für verschiedene Karenzfälle eine ausdrückliche Regelung dafür getroffen habe, wie die Karenzierung den Verfall des offenen Erholungsurlaubs hindere, aber nicht für eine Karenzierung nach § 28 Abs 1 G‑VBG, sei davon auszugehen, dass er für den streitgegenständlichen Fall dieser Karenz eben kein Hinausschieben des Verfallstermins vorsehen wollte. § 19c Abs 4 Grazer Gemeindevertragsbedienstetengesetz (ebenfalls enthalten in Abschnitt 1 – Allgemeine Bestimmungen), wonach die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung sinngemäß anzuwenden sind, wurde in dieser Entscheidung (Zurückweisung der außerordentlichen Revision) nicht thematisiert.
[20] 4. Eine analoge Anwendung der Hemmungsvorschriften des ABGB setzt eine regelwidrige Gesetzeslücke voraus (RS0106092). Es muss also eine „planwidrige Unvollständigkeit“, das heißt eine nicht gewollte Lücke, vorliegen (RS0098756). Wurde vom Gesetzgeber für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet, so fehlt es an einer Gesetzeslücke und daher auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (RS0008866 [T8, T13]).
[21] 5. Wie der Tiroler Landesgesetzgeber in § 50 Abs 4 Tiroler L‑VBG bestimmt auch der oberösterreichische Landesgesetzgeber durch Verweis auf § 13b Oö LGG (§ 2 Abs 2 Oö StGBG) ausdrücklich die Geltung jener Bestimmungen des ABGB, die sich auf die Hemmung und Verjährung der Unterbrechung beziehen. Da die VBO (auch nicht durch Verweis auf andere Bestimmungen) keine eigenständige (abschließende) Regelung darüber enthält, ob und gegebenenfalls welche Hemmungs- und Unterbrechungsgründe auf die für die von ihr erfassten Vertragsbediensteten geregelten Verfallsbestimmungen anzuwenden sind, sondern ausschließlich für bestimmte Karenzfälle eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, liegt insofern eine planwidrige Unvollständigkeit vor, weil die– auch hier zu beurteilende – Frage der Hemmung der Verjährung eines vereinbarten Erholungsurlaubs, den der Vertragsbedienstete wegen einer Erkrankung nicht antreten konnte, ungeregelt ist. Es können aber die vom oberösterreichischen Landesgesetzgeber (durch Verweis auf § 13b Oö LGG) ausdrücklich als beachtlich angesehenen Bestimmungen der §§ 1494 ff ABGB zur Lückenfüllung für die Frage herangezogen werden, ob und welche Hemmungs- bzw Unterbrechungsgründe für Präklusivfristen gelten (vgl 8 ObA 41/05w zum Tiroler Landesvertragsbedienstetenrecht). Dass von Lehre und Rechtsprechung eine analoge Anwendung nicht nur der Unterbrechungsvorschrift des § 1497 ABGB auf Präklusivfristen, sondern auch eine analoge Anwendung der Hemmungsvorschriften des ABGB bejaht wird (8 ObA 41/05w; RS0029716), wird im Revisionsverfahren von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
[22] 5.1. Die analoge Anwendbarkeit der Hemmungsvorschriften des ABGB auf die Dienstverhältnisse der Vertragsbediensteten nach der Vertragsbedienstetenordnung 2005 der Stadt Linz hat zur Folge, dass der Verfall des Urlaubsanspruchs seit Beginn des Krankenstands gehemmt ist, wenn der Vertragsbedienstete seinen Urlaub infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht antreten und verbrauchen konnte.
[23] 6.1. Die Entscheidungen 8 ObA 24/09a, 9 ObA 67/13p und 8 ObA 37/19b stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Ihnen lagen (bei vergleichbarer Rechtslage) Sachverhalte zugrunde, die keine Erkrankung der Vertragsbediensteten betrafen, die diese am Urlaubsverbrauch hinderten, sondern „vereinbarte“ Karenzierungen. Da die jeweiligen Landesgesetzgeber (nur) für bestimmte Karenzfälle eine ausdrückliche Regelung dafür getroffen haben, wie die Karenzierung den Verfall des offenen Erholungsurlaubs hindert, für den Fall der „vereinbarten“ Karenz aber nicht, musste davon ausgegangen werden, dass die Landesgesetzgeber für die letztgenannten Fälle eben gerade kein Hinausschieben des Verfallstermins vorsehen wollten.
[24] 6.2. Eine abschließende Regelung kann in § 77 Abs 2 Oö StGBG nicht erblickt werden. Richtig ist, dass der Bundesgesetzgeber in § 69 Abs 1 Satz 2 BDG durch den Verweis auf § 51 Abs 2 Satz 1 BDG die Regelungslücke (kein Verfall des Urlaubsanspruchs bei Krankheit) wegen der Entscheidung des EuGH C-350/06 und C-520/06 , Schultz-Hoff und Stringer, und des Obersten Gerichtshofs zu 8 ObA 41/05w, geschlossen hat (vgl ErlRV 488 BlgNR 24. GP 9 f). Auch wenn der oberösterreichische Landesgesetzgeber seine Bestimmungen nicht novelliert hat, kann ihm nicht unterstellt werden, er hätte bewusst eine unionsrechtswidrige Regelung aufrechterhalten wollen. Der von der Beklagten behauptete Widerspruch zur Entscheidung EuGH C‑214/10 , KHS, liegt mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nicht vor. Der Kläger war nicht „während mehrerer Jahre in Folge arbeitsunfähig“, sodass von einem „grenzenlosen Ansammeln“ von Urlaubsansprüchen hier nicht die Rede sein kann.
[25] 6.3. Nach Ziehensack in DRdA 2006/31 würde es auch rechtspolitisch unbefriedigend erscheinen, wenn der Vertragsbedienstete, der durch längeren Krankenstand an der Urlaubskonsumation gehindert sei, vom Verfall betroffen sei, obwohl er nichts gegen denselben unternehmen könne. Beim Vertragsbediensteten, welcher seinen Urlaubsanspruch über einen längeren Zeitraum nicht ausübe, erscheine es nur legitim, dass dieser nach einer gewissen Zeitdauer verfalle. In diesem (Regel-)Fall habe es der Vertragsbedienstete auch selbst in der Hand, den ihm zustehenden Urlaubsanspruch auch tatsächlich zu verbrauchen. Wenn ihm diese Möglichkeit aber durch lang andauernden Krankenstand verwehrt bleibe, erschiene es nicht legitim, ihn den Verfallswirkungen auszusetzen.
[26] 7. Da das Klagebegehren bereits aus diesen Gründen berechtigt ist, musste auf die in der Revision aufgeworfene unionsrechtliche Frage nicht mehr eingegangen werden.
[27] Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben.
[28] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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