OGH 4Ob99/24y

OGH4Ob99/24y25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * S.p.A., *, Italien, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 16.200 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. März 2024, GZ 2 R 26/24a‑30, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Dezember 2023, GZ 69 Cg 77/22f‑23, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00099.24Y.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.050,12 EUR (darin 189,37 EUR an 22 % USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte am 20. 11. 2015 ein gebrauchtes Wohnmobil der Marke Hymer um den Gesamtkaufpreis von 54.000 EUR, dessen Basisfahrzeug Fiat Ducato von der Beklagten hergestellt wurde. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor eingebaut, der eine (nach Art 5 VO [EG] 715/2007 nur unter bestimmten, hier aber nicht festgestellten Ausnahmen zulässige) Abschalteinrichtung aufweist, ua eine Modulation der AGR‑Rate nach etwa 22 Minuten nach dem Anlassen des Fahrzeugs. Ein Software‑Update wurde am Klagsfahrzeug weder angeboten noch durchgeführt.

[2] Die Klägerin begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch Erwerb eines abgasmanipulierten Fahrzeugs in Höhe von 16.200 EUR als 30%‑ige Preisminderung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für Folgeschäden. Beim Fahrzeug liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor.

[3] Dem hielt die Beklagte unter anderem entgegen, dass nach wie vor eine aufrechte Typengenehmigung vorliege. Das Fahrzeug weise keine unzulässige Abschalteinrichtung auf.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es liege zwar eine nach der VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vor, für die die klagende Käuferin die beklagte Herstellerin direkt belangen könne. Die Klägerin habe jedoch eine argliste Täuschung durch die Beklagte nicht nachweisen können, zumal nicht feststehe, ob die Klägerin das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn sie von der Abschalteinrichtung gewusst hätte. Zur Schadenshöhe (Wertminderung des Klagsfahrzeugs durch die Abschalteinrichtung) traf das Erstgericht keine Feststellungen; es wurde darüber auch kein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Erstgericht legte seine Entscheidung ua ein in einem Parallelprozess eingeholtes Gutachten zugrunde.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise statt und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Leistungsbegehren im Umfang von 5.400 EUR stattgab und das Leistungsmehrbegehren von 10.800 EUR ebenso abwies wie das Feststellungsbegehren. Die Negativfeststellung gehe zu Lasten der Beklagten. Hinsichtlich der Schadenshöhe liege die Bandbreite des Schadensbetrags von 5 % bis 15 %. Im Anlassfall sei ein Schadensbetrag nach § 273 ZPO von 10 % des Kaufpreises angemessen.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Klärung der Frage zu, ob eine auf § 273 ZPO gestützte Ermessensentscheidung auch dann zulässig sei, wenn für die Ausmessung des zustehenden Kaufpreisminderungsbetrags keine Sachverhaltsgrundlage vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

[8] 1. In dritter Instanz ist unstrittig, dass die klagende Käuferin wegen der nach Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung Anspruch auf Zuspruch des Minderwerts hat. Dieser primär nach unionsrechtlichen Anforderungen zu bestimmender Ersatz ist nach gesicherter Rechtsprechung nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des von der Klägerin gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen (§ 273 Abs 1 ZPO). Dabei kann ein angebotener Beweis (Sachverständigengutachten) übergangen werden (RS0134498). Von dieser Judikatur ist das Berufungsgericht mit der auf § 273 ZPO gestützten Bemessung des Schadenersatzanspruchs von 10 % des Kaufpreises nicht abgewichen.

[9] 2.1 Die Klägerin stützt die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels (nur) auf den Umstand, dass nach einem in einem Parallelverfahren eingeholten (und von ihr gegenständlich als Urkunde vorgelegten) Sachverständigengutachten die (durch die unzulässige Abschalteinrichtung) objektiv eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit eines entsprechenden Wohnmobils zum Ankaufszeitpunkt mit 10 % bis 30 % zu bewerten sei. Das Gutachten sei einvernehmlich der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Das Berufungsgericht habe seine Ermessensentscheidung unter Ausblendung des Gutachtens im Parallelprozess getroffen.

[10] 2.2 Damit wirft die Klägerin keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf.

[11] 2.3.1 Es trifft zwar zu, dass auch ein Sachverständigengutachten die Grundlage für eine Ermessensentscheidung nach § 273 ZPO liefern kann (RS0040440 [T1]).

[12] 2.3.2 Im Anlassfall liegen aber zur von der Klägerin behaupteten Spanne von 10 % bis 30 % des Kaufpreises gar keine Beweisergebnisse vor. Aus dem in einem Parallelverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich vielmehr lediglich „hypothetisch“, dass sich nur eine kleinere Gruppe von Käufern das (mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene) Risiko mit einem grob geschätzten Nachlass von 10 %  bis 30 % ablösen lassen würde. Diese Gruppe entspreche aber nicht dem durchschnittlichen Käufer. Die Klägerin bezieht sich damit nur auf eine vage Schätzung des Sachverständigen zu einer etwaigen subjektiven Risikobereitschaft nicht durchschnittlicher Käufer beim Kauf eines entsprechenden Wohnmobils. Aus diesen Schlussfolgerungen des Sachverständigen kann nicht abgeleitet werden, es lägen Beweisergebnisse vor, die der Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts widersprechen.

[13] 2.3.3 Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob sich das Berufungsgericht bei der Anwendung des § 273 ZPO am Gutachten des Parallelprozesses hätte orientieren müssen, stellt sich somit nicht und kann schon aus diesem Grund die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.

[14] 3.  Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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