OGH 6Ob77/24b

OGH6Ob77/24b18.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers K*, vertreten durch Mag. Christian Kulovits, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wider die Antragsgegner 1. A*, vertreten durch Mag. Gernot Faber und Mag. Christian Kühteubl, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, 2. B*, 3. M*, beide *, 4. K*, 5. M*, 6. Mag. S*, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, 7. F*, 8. M*, beide *, vertreten durch Dr. Sebastian Schober, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, 9. E*, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, 10. Marktgemeinde L*, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 28. März 2024, GZ 19 R 82/23d‑49, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00077.24B.0618.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Der Antrag des Neuntantragsgegners auf Zuspruch der Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Rechtsvorgänger des Antragstellers wusste, dass er einen an seine Grundstücke angrenzenden und im Rahmen einer Versteigerung erwerbbaren „Böschungsstreifen“ benötigt hätte, um eine Anbindung seiner Grundstücke an das öffentliche Straßennetz zu erreichen, ersteigerte aber den „Böschungsstreifen“ trotz Anwesenheit bei der Versteigerung nicht, weil er den vom Meistbieter gebotenen Preis nicht zahlen wollte. Auch dem Antragsteller war das Fehlen einer Wegeanbindung ebenso bekannt wie der Umstand, dass es zu einer Versteigerung des „Böschungsstreifens“ ohne Erwerb durch seinen Rechtsvorgänger gekommen war. Der Antragsteller brach die schon eineinhalb Jahre vor seinem Erwerb geführten Verhandlungen (über einen deutlich höheren Erwerbspreis) mit diesem Rechtsvorgänger ab, als er erfuhr, dass es zu einer Zwangsversteigerung der Liegenschaft kommen werde. Die notleidende Liegenschaft erwarb er dann im Wege des Zwangsversteigerungsverfahrens Ende Juni 2002 und im Wissen darüber, dass nach der Beurteilung des im Exekutionsverfahren beigezogenen Sachverständigen dem von seinem Rechtsvorgänger angestrengten Notwegeverfahren (über zwei Gründstücke dieses „Böschungsstreifens“) „wenig Aussicht auf Erfolg“ beschieden war. Entgegen seinen Behauptungen hatte er mit den Nachbarn (außer der Gemeinde) vor dem Erwerb keinen Kontakt aufgenommen. Er trat vielmehr nach dem Ablauf von 14 Monaten seit seinem Erwerb anwaltlich vertreten in das (noch im Verfahrensstadium erster Instanz befindliche) Notwegeverfahren ein. Sein Antrag auf Einräumung eines Notwegerechts wurde ein halbes Jahr später wegen der ihm selbst angelasteten auffallenden Sorglosigkeit (und nicht wegen jener seines Rechtsvorgängers) abgewiesen. Dem gegen die Entscheidung des Erstgerichts erhobenen Rekurs wurde nicht Folge gegeben, einen außerordentlichen Revisionsrekurs erhob der Antragsteller nicht. Unstrittig wird die Zufahrt des Antragstellers zu seinem nicht bebauten Grundstück über einen Privatweg von den Eigentümern dieser Grundstücke (lediglich) faktisch geduldet, was aber für eine Bebauung der Liegenschaft nicht ausreicht.

[2] Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Einräumung eines Notwegs vorrangig über zwei Grundstücke der Erstantragsgegnerin (die im Vergleich zu den im „Vorverfahren“ betroffenen Grundstücken auf der gegenüberliegenden Seite seiner Liegenschaft angrenzen), in eventu über zehn weitere (ebenso allesamt andere als im zuvor genannten Notwegeverfahren herangezogene) Grundstücke der Zweit- bis Zehntantragsgegner.

Rechtliche Beurteilung

[3] Zur Beurteilung der Vorinstanzen, es sei dem Antragsteller auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen, kann der außerordentliche Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufwerfen:

[4] 1. Die Bestimmungen des Notwegegesetzes sind nach ständiger Rechtsprechung restriktiv zu handhaben (RS0070966; zuletzt 3 Ob 112/23a). Die Nachlässigkeit der Parteien soll nicht gefördert und lediglich der schuldlose und schutzwürdige Erwerber geschützt werden (vgl RS0071074). Ob beim Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz eine auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers im Sinne des § 2 Abs 2 NWG vorliegt, die das Begehren auf Einräumung eines Notwegs unzulässig macht, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl RS0071136 [T2, T5, T7]).

[5] Auffallende Sorglosigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung unter anderem dann gegeben, wenn ein tatsächlich eingetretener Wegebedarf in seiner Art, seinem Ausmaß und seiner Intensität bei einer früheren vertraglichen Gestaltung der die notleidenden Liegenschaften treffenden Rechtsbeziehungen leicht vorhersehbar war (4 Ob 182/19x [ErwGr 3.1.]). Der Erwerb einer Liegenschaft ohne vorherige Erkundigungen um eine alternative Wegeverbindung indiziert das Vorliegen einer auffallenden Sorglosigkeit (vgl RS0071130 [T7]). Die in § 2 Abs 1 NWG festgelegte Verpflichtung trifft den Grundeigentümer aber nicht nur beim Erwerb eines Grundstücks, sondern auch später (vgl 1 Ob 134/04v; 8 Ob 15/08a; 1 Ob 216/17x [ErwGr 1.]). Das Fehlen von grobem Verschulden hat der Antragsteller zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0071130 [T9]).

[6] 2. Im vorliegenden Einzelfall trat der Antragsteller der gegnerischen Behauptung, er habe die Grundstücke um einen „bereits im Jahr 2002 unrealistisch niedrig[en]“ Preis von 45,80 EUR/m2 erworben, nicht substantiiert entgegen. Feststellungen dazu mussten daher nicht getroffen werden. Auch darauf, ob Feststellungen zu seinem Vorbringen fehlen, auch wenn er sich bei den Nachbarn um eine Vereinbarung über eine Wegemöglichkeit bemüht hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, den Wegemangel zu beseitigen, kommt es schon wegen des „ersten“ Notwegeverfahrens nicht an.

[7] Der Antragsteller legte weder dar, dass er sich vor dem Erwerb um den Stand des „ersten“ Notwegeverfahrens erkundigt hätte, noch, dass (oder warum) er – trotz der von der Gegenseite relevierten Einschätzung des Sachverständigen im Exekutionsverfahren – Anlass zur Annahme gehabt hätte, er werde bei Fortsetzung dieses Verfahrens erfolgreich sein und einen Notweg zu Lasten des damaligen Antragsgegners jedenfalls erstreiten können (vgl dazu 1 Ob 134/04v). Im Hinblick auf dieses „erste“ Notwegeverfahren, bei dessen Erfolg der Wegemangel vor Antragstellung im nunmehrigen Verfahren beseitigt worden wäre, rechtfertigte sich der Antragsteller – ohne Vorbringen dazu, warum er kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung zweiter Instanz ergriffen hatte – bloß damit, dass die Abweisung aufgrund „inzwischen veralteter Rechtslage und Rechtsprechung“ erfolgt sei. Er habe vor der Ersteigerung Kontakt zu den Nachbarn aufgenommen und versucht, eine Wegeverbindung herzustellen (was aber nach den Feststellungen nicht zutrifft), sei aber an der grundsätzlichen Ablehnung der Nachbarn gescheitert, weswegen ihm (doch) keine auffallende Sorglosigkeit zur Last zu legen sei. „Diese Grundsätze“ habe der Oberste Gerichtshof aber damals noch nicht judiziert. Nunmehr sei ihm ein Notweg einzuräumen, sei es ihm doch weder vor noch nach dem Erwerb der Grundstücke möglich gewesen, den Wegemangel zu verhindern.

[8] Eine Änderung der Rechtslage ist aber hinsichtlich § 2 NWG nicht eingetreten. Vielmehr betraf die Änderung mit dem Außerstreit-Begleitgesetz, BGBl I 2003/112, allein die Verfahrensbestimmungen der §§ 9 bis 20 NWG, nicht aber § 2 NWG. Die von ihm zitierte Rechtsprechung, wonach die Unterlassung des Versuchs der Herstellung einer Wegeverbindung vor dem Erwerb der Liegenschaft beziehungsweise die Einholung von Erkundigungen über allfällige Wegeverbindungen keinen Selbstzweck bilden (RS0118156), bestand bereits seit 26. 9. 2003 (veröffentlicht am 26. 10. 2003). Wäre die Entscheidung im Hinblick auf die Annahme des Vorliegens seines eigenen auffallenden Verschuldens unrichtig gewesen, hätte er sie bekämpfen müssen. Er hat aber weder die Entscheidung des Rekursgerichts bekämpft noch – obwohl ihm dies im „ersten“ Notwegeverfahren in erster Instanz möglich gewesen wäre – das nun im „zweiten“ Notwegeverfahren erstattete Vorbringen zu hypothetisch erfolglosen Bemühungen vorgetragen. Erst im vorliegenden Verfahren stellte er (am 20. 9. 2023 und in Widerspruch zu angeblichen Bemühungen vor der Ersteigerung) die Behauptung auf, er habe ab dem Jahr 2004 erfolglos gebliebene Bemühungen um die Herstellung einer zumutbaren Alternative zum Notweg gesetzt, es sei davon auszugehen, dass dies auch davor nicht möglich gewesen wäre (zur Behauptungs- und Beweislast des Antragstellers insoweit siehe RS0071130 [T9]; 8 Ob 15/08a; 1 Ob 145/12y [ErwGr 2.]).

[9] Die Entscheidung der Vorinstanzen bedarf daher schon auf Basis der bisherigen Feststellungen keiner Korrektur im Einzelfall, zumal es nicht Aufgabe des Notwegerechts ist, Nachlässigkeiten zu fördern.

[10] 4. Die nach § 25 Abs 1 NWG nur den Eigentümer des notleidenden Grundstücks treffende Kostenersatzpflicht erstreckt sich nur auf die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Kosten. Dazu zählen aber jene für eine ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung nicht (vgl RS0121741).

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