OGH 11Os40/24b

OGH11Os40/24b14.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Mai 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen * C* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 7 Hv 58/22d des Landesgerichts Eisenstadt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 20. Oktober 2022, GZ 7 Hv 58/22d‑211, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Ramusch, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00040.24B.0514.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 20. Oktober 2022, GZ 7 Hv 58/22d‑211, verletzt in seinem * C* betreffenden Schuldspruch zu A/I/ § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 17 Abs 1 StPO.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im C* betreffenden Schuldspruch zu A/I/, demzufolge auch im diesen Verurteilten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im diesen Verurteilten betreffenden Verfallsausspruch (insoweit ersatzlos) aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

* C* wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom wider ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen,

er habe in P*, in W* und an anderen Orten

A/ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend aus ihm selbst und abgesondert verfolgten Mittätern, nämlich * G*, * V*, * An* und weiteren teils bekannten und teils unbekannten Tätern, vorschriftswidrig

I/ im Zeitraum von Juli 2020 bis 8. März 2021 Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich (insgesamt) 296,5 kg Cannabisblüten, enthaltend eine Reinsubstanz von ca 29,65 kg THCA (10 %) und 2,965 kg Delta‑9-THC (1 %), anderen überlassen, und zwar

1/ vor dem 29. August 2020 70 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

2/ vor dem 3. September 2020 15 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

3/ im Zeitraum vom 20. bis 30. September 2020 zumindest 50 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

4/ am 13. Jänner 2021 zumindest 8,8 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

5/ am 5. September 2020 15 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

6/ am 13. und 14. Jänner 2021 insgesamt 12,5 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

7/ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 14. Jänner 2021 13 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

8/ am 5. Februar 2021 25 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

9/ am 10. Juli 2020 10 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

10/ am 18. Juli 2020 bzw in den Tagen danach 13,5 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

11/ am 2. August 2020 zumindest 1 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer bezeichnet als „Sc*“,

12/ rund um den 10. Jänner 2021 27 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer bezeichnet als „Am*“,

13/ am 12. Jänner 2021 20 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

14/ am 3. Februar 2021 3 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer bezeichnet als „Sc*“,

15/ am 25. Februar 2021 1,7 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer,

16/ am 4. März 2021 1,5 kg Cannabisblüten an einen unbekannten Abnehmer bezeichnet als „Sc*“,

17/ am 12. September 2020 5 kg Cannabisblüten an A* S*,

18/ am 25. November 2020 zumindest 1,5 kg Cannabisblüten an A* S*, und

19/ von Anfang Juli 2020 bis März 2021 3 kg Cannabisblüten an * K*.

 

Zur Strafneubemessung in Bezug auf den bestandskräftigen Schuldspruch wird die Sache an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 20. Oktober 2022, GZ 7 Hv 58/22d‑211, wurde ua * C*wegen des nunmehr vom Freispruch umfassten Anklagevorwurfs des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/I/) sowie weiters des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/II/) sowie des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 12 dritter Fall StGB, § 28 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 und Abs 3 SMG (A/III/) schuldig erkannt.

[2] Er wurde unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 Abs 1, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Mai 2021, GZ 64 Hv 22/21d‑31, nach § 28a Abs 4 SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

[3] Gemäß § 20 Abs 3 StGB wurde ein Betrag von 10.000 Euro für verfallen erklärt (US 7), der – hinreichend deutlich erkennbar (US 7, 17, 37 iVm ON 210 S 6; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) – jenem von C* zugestandenen Mindestgeldbetrag entspricht, den er für den Verkauf des zu A/I/ überlassenen Suchtgifts, sohin für die Tatbegehung zu A/I/, erlangt hatte (RIS‑Justiz RS0132346).

[4] Nach den Konstatierungen des Erstgerichts zu A/I/ verkaufte und übergab C* zumindest ab Juli 2020 bis Anfang März 2021 sukzessive teils für die kriminelle Vereinigung, teils auf eigene Faust bzw in Kooperation mit anderen Tätern („über die Vorwürfe im alten Strafverfahren [gemeint: AZ 64 Hv 22/21d des Landesgerichts für Strafsachen Wien] hinausgehend“) insgesamt mehr als 296 kg Cannabisblüten (mit einem Reinheitsgehalt von 10 % THCA und 1 % Delta‑9‑THC) an die zuvor genannten Abnehmer jeweils zumeist im Kilobereich, „wobei es ihm von Beginn an darauf ankam, dass sich die von ihm an andere überlassenen Suchtgiftmengen mit der Zeit auf eine das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge bei weitem übersteigende Menge summieren würden (Additionsvorsatz)“ (US 18, 21).

[5] Mit dem – in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 210 S 7 iVm ON 184; vgl RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0100227&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [insbesondere T9]) und in den Feststellungen erwähnten (US 15 f, 24 und 29) – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Mai 2021, GZ 64 Hv 22/21d‑31 (= ON 184), war C* schon einmal des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/I/) sowie weiters des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/II/), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (B/1/), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 5 WaffG (B/2/) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (C/) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, wovon ein Teil von zwei Jahren unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden war.

[6] Gemäß § 20 Abs 1 und Abs 3 StGB war seinerzeit ein Betrag von 800 Euro für verfallen erklärt worden (ON 184 US 4).

[7] Nach dem Spruch dieses Urteils hat er – soweit hier von Interesse – in W*

A/ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend aus ihm selbst und abgesondert verfolgten Mittätern, nämlich dem unbekannten Täter „Go*“, * G* und weiteren unbekannten Tätern, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge

I/ anderen überlassen, und zwar insgesamt 24,5 kg Cannabisblüten, enthaltend eine Reinsubstanz von zumindest 2.450 g THCA (10 %) und 245 g Delta‑9‑THC (1 %), und zwar

1/ am 5. März 2021 ca 5,5 kg Cannabisblüten an den abgesondert verfolgten * J*,

2/ im Dezember 2020 insgesamt 5 kg Cannabisblüten an den abgesondert verfolgten A* S* und

3/ Mitte Februar 2021 an A* S* und S* S* in drei Angriffen insgesamt 14 kg Cannabisblüten.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die sukzessiven Verkäufe von (jeweils die Grenzmenge übersteigenden) Suchtgiftquanten erfolgten nach den Feststellungen aufgrund eines einheitlichen Tatplans und mit daran geknüpftem Additionsvorsatz (ON 184 US 4 ff).

[9] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 20. Oktober 2022, GZ 7 Hv 58/22d‑211, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

[10] Dieim Urteil des Landesgerichts Eisenstadtkonstatierte Überlassung von Suchtgift im Zeitraum von Juli 2020 bis 8. März 2021 betrifft fallkonkret dieselbe (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene) Tat  wie die bereits im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien abgeurteilte Überlassung von Suchtgift im Zeitraum von Dezember 2020 bis 5. März 2021 (RIS‑Justiz RS0122006, RS0127374, RS0120233; vgl 14 Os 59/20p; 13 Os 12/20v; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89 ff; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 521).

[11] Gemäß § 17 Abs 1 StPO ist die neuerliche Verfolgung desselben Verdächtigen wegen derselben Tat nach rechtswirksamer Beendigung eines Strafverfahrens, wie etwa nach rechtskräftiger Verurteilung (vgl Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 1 ff und 42), unzulässig. Bei diesem Verbot der wiederholten Strafverfolgung (innerstaatliches ne bis in idem, vgl auch Art 4 des 7. ZPMRK) handelt es sich um ein aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO beachtliches prozessuales Verfolgungshindernis (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0124619&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 566, 620 f, 634; Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 62).

[12] Da durch das in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht Indizien für das Vorliegen des (prozessualen) Verfolgungshindernisses des Verbots wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO) offenlagen, hätte das Landesgericht Eisenstadt als Schöffengericht die tatsächlichen Voraussetzungen des erwähnten Verfolgungshindernisses durch (detailliertere) Feststellungen in seinem Urteil (so fehlen in Bezug auf die in Rede stehende Vortat ua Konstatierungen zum Tatzeitraum, zu den tatverfangenen Suchtgiftmengen und zum Vorliegen einer tatbestandlichen Handlungseinheit) klären müssen (vgl etwa 14 Os 66/22w, Rz 11). Indem dies unterblieb, verletzt das Urteil § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 17 Abs 1 StPO (vgl 14 Os 59/20p und 14 Os 97/21b, 98/21z, 99/21x, 100/21v, Rz 16).

[13] Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht dem Verurteilten C* zum Nachteil, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO) und – auf die im Spruch ersichtliche Weise (vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 40) – in der Sache selbst zu erkennen. Dabei konnte der Oberste Gerichtshof aus den Akten eigenständige Feststellungen zur (prozessualen Tatsache der) bereits erfolgten (rechtskräftigen) Aburteilung der (einen) Tat nach https://rdb.manz.at/document/ris.n.NOR40093185 mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Mai 2021, GZ 64 Hv 22/21d‑31, treffen (RIS‑Justiz RS0118545 [T2 und T3], RS0100178; Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 40 ff).

[14] Die Aufhebung des Schuldspruchs zu A/I/ zog zudem die Kassation des darauf beruhenden Verfallsausspruchs nach sich (Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7), der im Übrigen gleichfalls die Sperrwirkung des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien unterlief (vgl Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 45 ff).

[15] Zur Strafneubemessung für die vom verbleibenden Schuldspruch umfassten Verbrechen war die Sache an das Erstgericht zu verweisen, weil der Verurteilte und sein Verteidiger dem Gerichtstag ferngeblieben sind (RIS‑Justiz RS0100090).

[16] Im Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes besteht keine Kostenersatzpflicht (RIS‑Justiz RS0110754).

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