European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0220DS00012.23V.0425.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
In Stattgebung der Berufung wird die verhängte Geldbuße auf 4.000 Euro herabgesetzt.
Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie für im Verfahren AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Verfahrenshilfevertreterin der * S* erbrachte Leistungen der Genannten am 10. September 2020 einen Honorarbetrag von 27.000 Euro in Rechnung gestellt, diesen am 19. November 2020 vom für * S* auf ihrem Kanzleianderkonto erliegenden Fremdgeld einbehalten und ihn trotz am 26. Jänner 2021 ergangener diesbezüglicher Aufforderung nicht unverzüglich an * S* rückerstattet und im deswegen von dieser angestrengten Zivilverfahren die Forderung von 20.827,74 Euro im 5.000 Euro übersteigenden Betrag (sachlich unbegründet) bestritten.
[3] Der Disziplinarrat verhängte über * hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 5.000 Euro und wertete bei der Strafbemessung das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) als erschwerend, das reumütige Geständnis und die „doch längere“ Verfahrensdauer als mildernd.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen den Strafausspruch wendet sich die Berufung der Beschuldigten mit dem Ziel der Herabsetzung der Geldbuße.
[5] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).
[6] Hievon ausgehend wendet die Berufung zutreffend ein, dass auch der bisher ordentliche Lebenswandel der Beschuldigten mildernd wirkt (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).
[7] Nicht zugute zu halten ist ihr hingegen der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB, weil von einem Wohlverhalten durch längere Zeit hindurch erst ab einem Zeitraum von etwa fünf Jahren gesprochen werden kann (RIS‑Justiz RS0108563 sowie Riffel in WK² StGB § 34 Rz 39), der aber hier seit der letzten Tathandlung nicht verstrichen ist.
[8] Entgegen der Berufung ist die vom Disziplinarrat ohnedies im untersten Bereich des bis zu 45.000 Euro reichenden Geldbußrahmens (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) ausgemessene Sanktion trotz der geringfügig zugunsten der Beschuldigten korrigierten besonderen Strafbemessungsgründe bei Veranschlagung durchschnittlicher Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 16 DSt Rz 17) schuldangemessen (§ 32 Abs 1 StGB).
[9] Allerdings reicht der besondere Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB hier in die Grundrechtssphäre. Nach der Judikatur des EGMR ist das Grundrecht auf Entscheidung in angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) nämlich unter anderem bei längeren Perioden der behördlichen Untätigkeit verletzt (HK‑EMRK/Harrendorf/König/Voigt Art 6 Rz 185), was hier mit Blick auf die Ausfertigungsdauer des Erkenntnisses des Disziplinarrats von rund einem Jahr und drei Monaten jedenfalls zu bejahen ist (vgl auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 40 DSt Rz 2).
[10] Der Oberste Gerichtshof erkennt die in der solcherart überlangen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung ausdrücklich an und gleicht sie durch eine Reduktion der Geldbuße um 1.000 Euro aus.
[11] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt. Da die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht durch ein ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Gegners der Beschuldigten verursacht worden sind, hat sie diese gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt zu ersetzen (vgl RIS‑Justiz RS0057181).
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