OGH 9Ob32/24g

OGH9Ob32/24g24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde B*, vertreten durch MMag. Simon Herzog, Rechtsanwalt in Maria Alm, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in Zell am See, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2023, GZ 53 R 236/23x‑47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 14. August 2023, GZ 18 C 366/22z‑42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00032.24G.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die klagende Gemeinde begehrte mit ihrer Eigentumsfreiheitsklage den Beklagten zu verpflichten, einen auf ihrem Grundstück errichteten Zaun zu entfernen und jede ähnliche Handlung in Hinkunft zu unterlassen.

[2] Der Beklagte wendete zunächst ein, er sei Eigentümer des strittigen Grundstücksteils. In der Folge berief er sich auch auf einen im Verfahren außergerichtlich abgeschlossenen Vergleich, mit dem die Grundstücksgrenze neu festgelegt worden sei.

[3] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Klägerin sei der ihr obliegende Beweis der richtigen Grenze und damit eines unberechtigten Eingriffs des Beklagten in ihr Eigentum gelungen. Der Beklagte habe das strittige Grundstücksteil nicht ersessen. Der Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf eine vergleichsweise außergerichtliche Neufestsetzung der Grenze berufen, weil aus den Vergleichsgesprächen zwischen den Streitteilen noch kein Bindungswille der Klägerin über die Festlegung eines neuen Grenzverlaufs abgeleitet werden könne. Auch wenn im Rahmen des außergerichtlichen Vermessungstermins am 25. 8. 2022 ein neuer Grenzverlauf (auf Basis der Vorgabe, von der Straßenlaterne bis zum sechsten Zaunpfahl auf einer geraden Linie zu messen) festgelegt und auf dieser Basis ein Aufnahmeplan erarbeitet worden sei, habe die Klägerin die Zustimmungserklärung gemäß § 43 Abs 6 VermG nicht unterzeichnet.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Das Zustandekommen eines rechtswirksamen außergerichtlichen Vergleichs scheitere schon an § 48 Abs 1 und 2 Salzburger Gemeindeordnung 2019, weil die Gemeinde nur durch eine schriftliche, vom Bürgermeister unterzeichnete Erklärung, die hier nicht vorliege, verpflichtet werden könne. Die Frage, ob ein außergerichtlicher Vergleich über den Grenzverlauf überdies einen Beschluss der Gemeindevorstehung gemäß § 43 Salzburger Gemeindeordnung 2019 erfordere, könne daher dahingestellt bleiben.

[5] Das Berufungsgericht hat die Revision nachträglich zur Frage zugelassen, ob das Formerfordernis des § 48 Salzburger Gemeindeordnung 2019 auch für den Fall eines außergerichtlichen Vergleichsabschlusses über einen neuen Grenzverlauf durch einen Rechtsanwalt gelte, dem die Gemeinde Prozessvollmacht (allerdings in einem den Grenzverlauf nur als Vorfrage betreffenden Verfahren) erteilt habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil der Streitfall mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (vgl RS0042656 [T48]). Andere Rechtsfragen, als jene vom Berufungsgericht genannte, werden in der Revision nicht geltend gemacht.

[7] 1. Die Salzburger Gemeindeordnung 2019 enthält im dritten Unterabschnitt des dritten Abschnitts „Organe der Gemeinde“ Regelungen betreffend die Bürgermeisterin bzw den Bürgermeister. Deren bzw dessen Zuständigkeit wird in § 44 geregelt. Der mit „Verpflichtungserklärungen“ betitelte § 48 leg cit lautet wie folgt:

„(1) Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, bedürfen der Schriftform. Sie sind von der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister zu unterfertigen.

(2) Wird die Formvorschrift des Abs 1 nicht eingehalten, wird die Gemeinde aus dieser Erklärung nicht verpflichtet.

(3) Ebenso wird die Gemeinde nicht verpflichtet, wenn einer Erklärung gemäß Abs 1, soweit erforderlich, nicht ein entsprechender Beschluss der Gemeindevertretung, der Gemeindevorstehung oder des dazu ermächtigten Ausschusses zugrunde liegt.“

[8] 2. Insofern zutreffend führt die Revision aus, dass nach § 31 Abs 1 Z 2 ZPO die einem Rechtsanwalt erteilte Prozessvollmacht auch „zum Abschluss von Vergleichen über den Gegenstand des Rechtsstreits“ ermächtigt, wenn dies nicht nach § 32 ZPO ausgeschlossen wurde. Nach Rechtsprechung und Lehre umfasst die Prozessvollmacht (jedenfalls ab Gerichtsanhängigkeit) auch einen außergerichtlichen Vergleich, wenn der Anspruch vor Gericht bereits anhängig gemacht ist (3 Ob 562/92; vgl Zib in Fasching/Konecny 3 II/1 §§ 31, 32 ZPO Rz 27; Domej in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 31 ZPO Rz 14; Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1008 Rz 24 mwN).

[9] 3. Von der Frage, ob der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs durch die Prozessvollmacht des Klagevertreters grundsätzlich gedeckt ist, ist aber die Frage zu trennen, ob und wenn ja, welche Formvorschriften beim Vergleichsabschluss durch ihn einzuhalten sind. Die Rechtsansicht des Revisionswerbers, ein Rechtsanwalt könne jedenfalls (immer) formfrei außergerichtliche Vergleiche abschließen, weshalb die Formvorschriften der Salzburger Gemeindeordnung 2019 nicht einzuhalten seien, trifft nicht zu.

[10] 3.1. Grundsätzlich bestehen zwar für den Vergleich an sich keine besonderen Formvorschriften (RS0032527 [T1]; RS0014333). Enthält der Vergleich jedoch formbedürftige Verpflichtungen, so erstreckt sich die Formpflicht auch auf ihn (5 Ob 158/16w Pkt 3.3.; Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar4 § 1380 ABGB Rz 30; Neumayr in KBB7 § 1380 ABGB Rz 5 mwN; Fucik in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1380 ABGB Rz 24 mwN). Warum dies nicht gelten sollte, wenn der Vergleich nicht von der Partei persönlich, sondern von deren Rechtsvertreter abgeschlossen wird, wird in der Revision nicht begründet und wäre auch mit dem Zweck der hier normierten Formvorschrift, die Gemeinde vor unüberlegten rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu schützen und insbesondere für die Gemeinde klare Verhältnisse bezüglich bestehender Verträge zu schaffen (vgl 3 Ob 32/11v Pkt 4.2. zur konstitutiven Wirkung eines in einer Gemeindeordnung vorgesehenen Schriftformgebots), nicht vereinbar. Die Frage, ob der gerichtliche Vergleich jedenfalls (zivilrechtliche) Formvorschriften erfüllt (vgl 8 ObA 97/11i Pkt 2.; Neumayr in KBB7 § 1380 ABGB Rz 5), ist hier nicht zu beantworten.

[11] 3.2. Im vorliegenden Fall sieht § 48 Abs 1 Salzburger Gemeindeordnung 2019 für alle Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, die Schriftform vor; auch ein Vergleich, durch den die Gemeinde verpflichtet werden soll, unterliegt daher der Schriftform. Selbst wenn es daher anlässlich des Vermessungstermins am 25. 8. 2022 zwischen den Parteien zu einem außergerichtlichen Vergleich der Parteien gekommen sein sollte (die Klägerin behauptet bloß unpräjudizielle Vergleichsgespräche geführt zu haben, das Erstgericht spricht der Klägerin einen endgültigen Bindungswillen hinsichtlich der Festlegung eines neuen Grenzverlaufs ab), könnte dieser außergerichtliche Vergleich mangels Einhaltung der Formvorschrift des § 48 Abs 1 Salzburger Gemeindeordnung 2019 die klagende Gemeinde nicht verpflichten (§ 48 Abs 2 leg cit).

[12] 3.3. Auch das Argument des Revisionswerbers, bereits mit der Vollmachtserteilung der Bürgermeisterin an den Rechtsvertreter der Gemeinde sei dem Schriftlichkeitsgebot entsprochen worden, ist nicht tragfähig. Die mit der Vollmachtserteilung als solche für die Gemeinde einhergehende Verpflichtung (vgl RS0031560) ist nicht dieselbe wie jene aus dem außergerichtlichen Vergleich über einen neuen Grenzverlauf. Wenn § 48 Abs 1 Salzburger Gemeindeordnung 2019 für – alle – Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, die Schriftform vorsieht, dann muss sie sowohl hinsichtlich der Prozessvollmacht als auch des außergerichtlichen Vergleichs erfüllt sein. Die Erfüllung der Schriftform bei der Vollmachtserteilung kann daher nicht das Schriftformerfordernis hinsichtlich eines (in Ausübung der Vollmacht geschlossenen) außergerichtlichen Vergleichs substituieren.

[13] Die Revision des Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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