European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00041.24Z.0423.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt, das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 5. Februar 2015, GZ 13 Hv 156/14g‑7, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.
Gründe:
[1] Die Staatsanwaltschaft Steyr legte * K* mit Strafantrag vom 29. Dezember 2014 mehreren Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB subsumierte Verhaltensweisen zur Last (ON 3).
[2] Der Einzelrichter des Landesgerichts Steyr beraumte die Hauptverhandlung für den 5. Februar 2015 an und verfügte dabei die Zustellung der Ladung des Angeklagten an dessen – zum damaligen Zeitpunkt – aktenkundiger inländischen Adresse (ON 1 S 3).
[3] Diese Ladung wurde laut Hinterlegungsmitteilung (ON 5 S 7) am zuständigen Postamt zur Abholung am 9. Jänner 2015 hinterlegt, jedoch binnen der Abholfrist nicht behoben und daher an das Landesgericht Steyr retourniert. Daraufhin verfügte der Einzelrichter die Zustellung im Wege der Polizeiinspektion B* (ON 5 S 1).
[4] Der Hauptverhandlung am 5. Februar 2015 blieb der Angeklagte fern. Nach telefonischer Rücksprache mit einem Beamten der Polizeiinspektion B* hielt der Einzelrichter im Hauptverhandlungsprotokoll fest, dass die Ladung dem Angeklagten (nach Auskunft des Beamten) bereits vor mehr als acht Tagen (vgl § 221 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 488 Abs 1 StPO) zugestellt worden sei. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt; mit am selben Tag verkündetem Abwesenheitsurteil wurde er anklagekonform schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erklärte dazu Rechtsmittelverzicht (ON 6).
[5] Erst nach der Urteilsverkündung wurde seitens der Polizeiinspektion B* bekanntgegeben, dass die zuvor erteilte telefonische Auskunft unrichtig gewesen sei und die Ladung bislang nicht habe zugestellt werden können (Amtsvermerk vom 5. Februar 2015, ON 1 S 3a). Mit am 9. Februar 2015 beim Landesgericht Steyr eingelangtem Kurzbrief vom 28. Jänner 2015 teilte die Polizeiinspektion B* unter Retournierung der Ladung des Angeklagten mit, dass dieser schon seit 20. Dezember 2014 nicht mehr in Österreich aufhältig sei (ON 9).
[6] Das Urteil konnte K* erst nach dessen neuerlicher Wohnsitznahme in Österreich im Jahr 2023 zu eigenen Handen (§ 427 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 83 Abs 4 zweiter Satz StPO) zugestellt werden (vgl ON 26); am 4. September 2023 hat er das Dokument auch persönlich übernommen (Zustellnachweis ON 28 S 1).
[7] Binnen der dafür jeweils zur Verfügung stehenden Frist erhob er weder Einspruch (§ 427 Abs 3 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO) noch Berufung (§ 489 Abs 1 StPO iVm §§ 466 Abs 2, 467 Abs 1 StPO), sodass das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist.
Rechtliche Beurteilung
[8] Bei der Prüfung der Akten ergeben sich – wie die Generalprokuratur in ihrem nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO (per analogiam) gestellten Antrag zutreffend aufzeigt – erhebliche Bedenken (§ 362 Abs 1 Z 2 StPO) gegen die Richtigkeit einer der Durchführung der Hauptverhandlung und der Fällung des Urteils am 5. Februar 2015 in Abwesenheit des Angeklagten zugrunde liegenden Tatsachenannahme:
[9] Gemäß § 427 Abs 1 erster Satz StPO darf die Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit nur dann in Abwesenheit des nicht erschienen Angeklagten durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn ihm die Ladung zur Hauptverhandlung „persönlich“, also zu eigenen Handen (vgl § 21 ZustG), zugestellt worden ist (eingehend zu diesem Kriterium Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 9 mwN).
[10] Gegen die Richtigkeit der den rechtlichen Schluss tragenden Tatsachenannahme, dies sei hier in Bezug auf K* der Fall gewesen (US 3), bestehen aufgrund des – erst nach der Urteilsfällung aktenkundig gewordenen – Inhalts der beiden zuletzt erwähnten Bekanntgaben der Polizeiinspektion B* (ON 1 S 3a und ON 9) erhebliche Bedenken im Sinn des § 362 Abs 1 Z 2 StPO.
[11] Denn danach ist zum einen indiziert, dass dem Genannten die Ladung (auch mangels persönlicher Ausfolgung durch die um Zustellung ersuchte [§ 82 Abs 3 zweiter Satz StPO] Kriminalpolizei eben) nicht tatsächlich zugekommen (vgl § 7 ZustG) war; zum anderen, dass dieser bereits am 20. Dezember 2014 Österreich (zunächst) dauerhaft verlassen hatte, sodass die an seine damals aktenkundige (inländische) Adresse verfügte – sonst nach Maßgabe des § 17 ZustG wirksame (RIS‑Justiz RS0120038 [insbesondere T1]) – Zustellung durch Hinterlegung (vgl ON 5 S 7) schon deshalb nicht in Betracht gekommen wäre, weil jener Ort nicht mehr Abgabestelle (§ 2 Z 4 ZustG) war (13 Os 40/20m, Stumvoll in Fasching/Konecny II/23 § 17 ZustG Rz 17).
[12] Hiervon ausgehend ist eine (nicht vom Obersten Gerichtshof selbst getroffene) letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts – worunter auch rechtskräftige erstinstanzliche Abwesenheitsurteile zu verstehen sind (dazu eingehend mwN 13 Os 40/20m EvBl 2020/135, 938 [mit Hinweis von Ratz], SSt 2020/23, RIS‑Justiz RS0131086 [T1]) – auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler (vgl § 23 Abs 1 StPO, RIS‑Justiz RS0125225) unterlaufen wäre. Die so entstandene Benachteiligung des K* kann – deshalb und mit Blick auf die Rechtskraft des Urteils – auf anderem Weg nicht beseitigt werden.
[13] Dies war durch Verfügung der außerordentlichen Wiederaufnahme in analoger Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO (RIS‑Justiz RS0117312 [T9] und RS0117416 [T11]) auf die im Spruch ersichtliche Weise zu sanieren.
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