European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00236.23M.0122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurswird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.599,90 EUR (hierin enthalten 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht bestätigte die Zurückweisung der von der Klägerin, soweit in dritter Instanz noch von Interesse, auf § 530 Abs 1 Z 3 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage nach Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 35c StAG. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass einzelne Argumente der Klägerin doch Anlass zu einer weiteren Nachschärfung oder Änderung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu § 539 ZPO bieten könnten, die im Fall des Absehens der Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35c StAG auf eine Bindung des Zivilgerichts an eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft hinauslaufe, an die diese selbst mangels Sperrwirkung nicht gebunden sei. Darüber hinaus komme auch der Frage über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung zu, ob sich das Gericht mit der bloßen Mitteilung, dass gemäß § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen worden sei, begnügen dürfe oder auf eine stichhaltige Begründung, weshalb kein Anfangsverdacht bestehe, zu drängen habe.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der Revisionsrekurs der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[3] 1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine auf § 530 Abs 1 Z 2 oder 3 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage nach Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO aF (nunmehr: Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 Z 2 StPO) und Abweisung eines allenfalls gestellten Subsidiarantrags nach § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF (nunmehr: Antrag auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 StPO) gemäß § 539 Abs 2 ZPO ohne vorgängige mündliche Verhandlung als unzulässig zurückzuweisen ist (RS0044634 [T1]). Das Zivilgericht ist an die (freisprechende oder die Einstellung verfügende) Entscheidung der Strafbehörden gebunden, sofern diese Entscheidung auf Veranlassung des Zivilgerichts iSd § 539 Abs 1 ZPO ergangen ist (6 Ob 121/16m = RS0044634 [T2]). Es wurde bereits judiziert, dass sich diese Rechtsprechung auch auf die mit 1. Jänner 2015 eingeführte Zurücklegung der Anzeige mangels ausreichenden Anfangsverdachts nach § 35c StAG übertragen lässt, weil in diesem Fall die Staatsanwaltschaft sogar noch deutlicher als bei einer Einstellung zum Ausdruck bringt, dass eine Verfolgung nicht (weiter) stattfindet (6 Ob 41/17y). Die in § 539 ZPO normierte Bindung des Zivilgerichts an die Entscheidung der Strafbehörden ist nach herrschender Auffassung weder verfassungsrechtlich bedenklich noch verstößt sie gegen Art 6 EMRK (6 Ob 121/16m).
[4] 2. Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen.
[5] 2.1. Es trifft zwar zu, dass im Fall der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 35c StAG kein Fortführungsantrag des Geschädigten zulässig ist. Dieser Umstand kann aber nichts daran ändern, dass es sich auch bei einem solchen Vorgang um eine Beendigung des „strafgerichtlichen Verfahrens“ iSd § 539 ZPO handelt. Andernfalls wäre nämlich eine Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage ad infinitum ausgeschlossen, weil das Verfahren darüber gemäß § 539 Abs 1 ZPO zwingend zu unterbrechen ist, es aber im Fall einer Zurücklegung der Anzeige (sofern der Staatsanwalt von dieser Entscheidung nicht in der Folge wieder abgeht) definitionsgemäß niemals zur Befassung eines Strafgerichts mit dem angezeigten Sachverhalt kommt und eine Fortsetzung des Wiederaufnahmsverfahrens gemäß § 539 Abs 2 ZPO erst nach rechtskräftigem Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens zulässig ist.
[6] 2.2. Die Bindung des Zivilgerichts an die Entscheidung der Strafbehörden bringt es mit sich, dass im Wiederaufnahmsverfahren die materielle Richtigkeit jener Entscheidung nicht zu überprüfen ist. Es kommt daher für die Frage der Bindung nicht darauf an, ob die Begründung des Staatsanwalts für die Zurücklegung der Strafanzeige (zivil‑)rechtlich richtig war.
[7] 2.3. An der in § 539 Abs 2 ZPO normierten Bindungswirkung kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Staatsanwalt selbst nicht an seine Entscheidung gemäß § 35c StAG gebunden ist.
[8] 2.4. Ebenso wenig ist es von entscheidender Bedeutung, ob der Staatsanwalt im konkreten Fall zulässigerweise von der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 35c StAG Gebrauch gemacht hat oder ob er dies, wie die Klägerin meint, im Sinn der Entscheidung des verstärkten Senats zu 12 Os 92/21b nicht tun hätte dürfen, weil die Übermittlung des Akts durch das Zivilgericht der Beischaffung eines Gerichtsakts durch die Staatsanwaltschaft zur Einsichtnahme gleichzuhalten sei. Unabhängig von der Rechtsrichtigkeit der Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft liegt nämlich jedenfalls eine Entscheidung vor, an die das Zivilgericht, wie ausgeführt, gebunden ist.
[9] 2.5. Die vom Rekursgericht und ihm folgend von der Klägerin formulierte Rechtsfrage, ob sich das Zivilgericht mit der bloßen Mitteilung der Staatsanwaltschaft von der Zurücklegung der Anzeige begnügen dürfe oder auf eine stichhaltige Begründung zu dringen habe, stellt sich hier nicht, weil die Staatsanwaltschaft die Zurücklegung der Anzeige ohnehin inhaltlich begründet hat.
[10] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.
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