OGH 14Os115/23b

OGH14Os115/23b28.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen * L* wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG, AZ 3 U 122/20m des Bezirksgerichts Hall in Tirol, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 18. Februar 2021 und den zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschluss (ON 9) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00115.23B.1128.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 3 U 122/20m des Bezirksgerichts Hall in Tirol verletzen

1/ dessen Urteil vom 18. Februar 2021 (ON 9) § 35 Abs 1 und § 37 SMG iVm § 270 Abs 4 Z 2 und § 447 StPO sowie

2/ der Beschluss vom 18. Februar 2021 (ON 9), soweit mit diesem vom Widerruf der vom Landesgericht Innsbruck als Vollzugsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2020, AZ 24 BE 44/20k, gewährten bedingten Entlassung abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, § 53 Abs 1 erster Satz und Abs 3 erster Satz StGB.

Dieses Urteil und der Beschluss im bezeichneten Umfang werden aufgehoben, und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Hall in Tirol verwiesen.

 

Gründe:

[1] * L* wurde mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 15. Dezember 2020, AZ 24 BE 44/20k, per 22. Jänner 2021 aus dem Vollzug des unbedingten Teils der mit Urteil desselben Gerichts vom 3. August 2018, AZ 24 Hv 43/18i, verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

[2] Mit (gemäß § 270 Abs 4 iVm § 447 StPO) gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 18. Februar 2021, GZ 3 U 122/20m‑9, wurde L* des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

[3] Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er von Mitte Oktober bis zum 11. November 2020 in R* vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich eine unbekannte Menge Kokain, erworben und besessen, wobei er die Tat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging.

[4] Zugleich fasste dieses Gericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO den Beschluss, unter anderem vom Widerruf der vom Landesgericht Innsbruck zu AZ 24 BE 44/20k gewährten bedingten Entlassung abzusehen und die dort bestimmte Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern (ON 9 S 2 f).

Rechtliche Beurteilung

[5] Dieses Urteil und der zugleich mit diesem gefasste Beschluss stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[6] Gemäß § 37 SMG hat das Gericht nach Einbringen der Anklage die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

[7] Wird durch die Tat (wie hier) das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 und 2 SMG begründet, ist demnach – bei Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG stets geboten (RIS‑Justiz RS0131952).

[8] Lehnt das Gericht diese gleichwohl ab, hat es Feststellungen zu treffen, welche die Nichtanwendung der genannten Diversionsbestimmungen tragen (RIS‑Justiz RS0119091 [T7 und T9]).

[9] Dies gilt auch für eine (wie hier) gekürzte Urteilsausfertigung, die nach § 270 Abs 4 Z 2 StPO (der gemäß § 447 StPO im Verfahren vor dem Bezirksgericht Anwendung findet) im Fall einer Verurteilung unter anderem die vom Gericht als erwiesen angenommenen, entscheidenden Tatsachen in gedrängter Darstellung zu enthalten hat. In diesem Sinn entscheidend sind auch Tatsachen, die für die (Nicht-)Anwendung von Diversionsbestimmungen den Ausschlag geben (RIS‑Justiz RS0125764 [T3]; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 30 ff; Ratz, ebd § 281 Rz 399 und 659).

[10] Das aufgezeigte Fehlen solcher Feststellungen macht das Unterbleiben diversionellen Vorgehens unschlüssig (RIS‑Justiz RS0122332 [T12]).

[11] Das angefochtene Urteil verletzt daher § 35 Abs 1 und § 37 SMG iVm § 270 Abs 4 Z 2 und § 447 StPO.

[12] Gemäß § 53 Abs 1 erster Satz StGB kommt der Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung – abgesehen von den hier nicht relevanten Ausnahmen des § 53 Abs 1 letzter Satz StGB – nur bei einer Verurteilung des Rechtsbrechers wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung in Betracht (RIS‑Justiz RS0112811, RS0092019). Wird die bedingte Strafnachsicht oder die bedingte Entlassung in einem solchen Fall nicht widerrufen, kann das Gericht die Probezeit bis auf höchstens fünf Jahre verlängern (§ 53 Abs 3 erster Satz StGB).

[13] Die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende strafbare Handlung wurde von Mitte Oktober bis zum 11. November 2020 begangen, also bevor die mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 15. Dezember 2020 bestimmte Probezeit zu laufen begann (vgl § 49 StGB).

[14] Der angefochtene Beschluss verletzt daher im bezeichneten Umfang § 53 Abs 1 erster Satz und Abs 3 erster Satz StGB.

[15] Da die Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[16] Von der aufgehobenen Entscheidung rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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