European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00101.23V.1128.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * L* und * S* sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen (also in den Freisprüchen) unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu I./A./, B./ und C./, demgemäß auch in den Strafaussprüchen beider Angeklagten, im Adhäsionserkenntnis und in den Kostenaussprüchen aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten ebenso wie die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant, wurden mit dem angefochtenen Urteil * S* und * L* jeweils des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./A./), darüber hinaus S* des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I./B./1./) sowie des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster und vierter Fall StGB (I./B./2./) und L* des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (I./C./1./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben (I./) am 26. Jänner 2020 in W*
A./ * L* und * S* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB), wobei L* den S* auch mehrfach ermutigte, seine Tathandlungen fortzusetzen, * Sz* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem sie mit den Händen und einem Schleifmesser oder Schleifstein auf ihn einschlugen sowie auf ihn eintraten und S* sich auf den am Boden liegenden Sz* warf, wodurch dieser mehrere an sich schwere Verletzungen, und zwar unter anderem einen Bruch des linken Jochbeins, einen Bruch des Dornfortsatzes des siebten Halswirbels und des vierten Brustwirbels, Serienrippenbrüche rechts in den seitlichen Abschnitten, links in den seitlichen Abschnitten und in den Rückenabschnitten, einen Bruch des Brustbeins, Rissquetschwunden im Bereich der Nase, des Kopfes, eines Augenlides und der Augenumrandung, Prellungen der Hüfte, des Brustkorbes, des Beckens und der Lendenregion, eine offene Wunde im Bereich des Ellenbogens und Abschürfungen im Bereich des Rückens, der Stirn und der Knie erlitt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit des Genannten zur Folge hatte;
B./ S* den Sz* mit Gewalt, nämlich jeweils durch zu A./ genannte Tathandlungen,
1./ zu nötigen versucht, Katzenkot zu essen, indem er ihn im Zuge der Tat zu A./ dazu aufforderte;
2./ zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, wobei Sz* durch die Tat in besonderer Weise erniedrigt wurde, indem er im Zuge der Tat zu A./ einen Bambusstock in dessen Anus einführte, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung zur Folge hatte, nämlich eine Perforation des Mastdarms mit Schleimhautverletzung an einer Hämorrhoide, die wiederum zu einer Bauchfellentzündung samt beginnendem Nieren‑ und Leberversagen sowie einer Verschiebung der Elektrolyte des Opfers führte;
C./1./ L* den Sz* dadurch geschädigt, dass sie dessen Mobiltelefon unbekannten Werts aus dessen Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen, indem sie es im Anschluss an die zu A./ und B./ genannten Taten (US 10) an sich nahm und ihm nicht mehr aushändigte (US 10, 20).
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die von S* auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a StPO und von L* auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.
Zum amtswegigen Vorgehen:
[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zunächst davon, dass dem angefochtenen Urteil im Schuldspruch zu I./C./1./ nicht geltend gemachte, der Angeklagten L* zum Nachteil gereichende Nichtigkeit aus Z 9 lit b StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
[5] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten grundsätzlich für sich (RIS-Justiz RS0128998). Die Hemmung der Verjährung nach § 58 Abs 2 StGB bezieht sich dabei nur auf die frühere(n) Tat(en), während die zuletzt begangene unabhängig davon verjährt, dass der Täter zuvor ein mit strengerer Strafe bedrohtes Verhalten gesetzt hat, das aufgrund längerer Verjährungsfrist später verjährt (RIS-Justiz RS0128998 [T2]).
[6] Die Verjährungsfrist des Erfolgsdelikts (Salimi in WK² StGB § 135 Rz 5, 28 und 54; vgl auch RIS-Justiz RS0093634) der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB beträgt ein Jahr (§ 57 Abs 3 letzter Fall StGB).
[7] Nach den Urteilsfeststellungen setzte L* die dem Tatbestand des § 135 Abs 1 StGB subsumierten Handlungen am 26. Jänner 2020 im Anschluss an die zu I./A./ und B./ genannten Taten (arg „sodann“; US 10). Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen (§ 58 Abs 3 StGB) hat das Erstgericht nicht getroffen. Mit Blick auf die Verjährungsfrist von einem Jahr macht das Fehlen von Konstatierungen zu solchen Umständen die (implizite) rechtliche Beurteilung, die Strafbarkeit der in Rede stehenden dauernden Sachentziehung sei nicht verjährt, unschlüssig (RIS-Justiz RS0122332 [T1, T6, T7, T11], RS0091794 [T4]).
Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten S* und L*:
[8] Zutreffend relevieren die Verfahrensrügen (Z 3), dass eine Trennung der Aussage der – (nur) in Ansehung des Angeklagten S* aussagebefreiten (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) – Zeugin * W* mit Blick darauf, dass den Schuldsprüchen I./A./ und B./ der gleiche Lebenssachverhalt und dem Schuldspruch zu I./A./ Mittäterschaft der Angeklagten zugrunde liegt, nicht möglich war (§ 156 Abs 3 StPO; vgl 15 Os 29/06p, 13 Os 65/12a; RIS-Justiz RS0097865).
[9] Zwar hat die Zeugin W* in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zum Angeklagten S* keine direkten Angaben gemacht, jedoch stützt sich das Urteil – zu Tathandlungen der Angeklagten L* zum Schuldspruch I./A./ – (auch) auf die Angaben der genannten Zeugin (US 15), sodassunter Berücksichtigung des dem Schuldspruch zu I./A./ zugrunde gelegten bewussten und gewollten Zusammenwirkens der Angeklagten als Mittäter (vgl dazu RIS-Justiz RS0090006, RS0089808 [T13]) nicht unzweifelhaft auszuschließen ist, dass die unter Verletzung des § 156 Abs 3 StPO zustande gekommene Aussage der Zeugin W* der Durchsetzung des Prozessstandpunkts beider Beschwerdeführer hinderlich war (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 79, 739 f). Gleiches gilt hinsichtlich des Schuldspruchs zu I./B./1./ und 2./, liegendiesem doch ebenfalls (zumindest teilweise) die zu I./A./ genannten, von den Angeklagten im bewussten und gewollten Zusammenwirken verübten Gewalthandlungen zugrunde (RIS‑Justiz RS0112987 [T1]).
[10] Der aufgezeigte Verfahrensmangel sowie der von Amts wegen wahrzunehmende Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Schuldspruch zu I./C./1./ machtendaher in Ansehung beider Angeklagter die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang schon bei der nichtöffentlichen Beratung erforderlich, wobei eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen war (§ 285e StPO).
[11] Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen der beiden Angeklagten ist damit nicht erforderlich.
[12] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft aufdie kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)