OGH 4Ob210/23w

OGH4Ob210/23w21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Tarmann‑Prentner, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei C* Ltd, *, Malta, vertreten durch Mag. Martin Paar und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 5.855 EUR sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 20. April 2023, GZ 2 R 55/23z‑20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 5. Jänner 2023, GZ 15 C 814/22w‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00210.23W.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Zuspruch von 5.855 EUR an den Kläger sowie im Kostenpunkt unberührt bleiben, werden im Zinsenpunkt dahin abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei 4 % Zinsen aus 5.855 EUR seit 5. März 2019 zu zahlen, und das Mehrbegehren von 4 % Zinsen aus 5.855 EUR von 12. September 2016 bis 4. März 2019 abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 438,92 EUR (darin 228 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger hat von 23. 3. 2015 bis 11. 9. 2016 bei von der maltesischen Beklagten ohne österreichische Konzession veranstaltetem illegalem Online-Glücksspiel (Gewinne und Verluste saldiert) 5.855 EUR verloren, die er samt 4 % Zinsen seit 12. 9. 2016 von der Beklagten mittels eines am 15. 4. 2022 bei Gericht eingelangten Europäischen Zahlungsbefehls begehrte.

[2] Die Beklagte wandte unter anderem Verjährung des Begehrens auf Zahlung von vor dem 15. 4. 2019 angefallenen Zinsen nach § 1480 ABGB ein.

[3] Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und meinte, der Einwand der Verjährung des Zinsenbegehrens gehe „ins Leere“. Die ordentliche Revision ließ es nachträglich zu, weil es zur Frage der Verjährung von rückständigen Vergütungszinsen nach § 1480 ABGB von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei. Außerdem gebe es keine Rechtsprechung, ob auch Zinsen aus bereicherungsrechtlich zurückgeforderten, aus unwirksamen Glücksspielverträgen stammenden Beträgen nach § 1480 ABGB binnen drei Jahren verjähren würden.

[5] Die ordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung begehrt die Abänderung dahin, dass Zinsen erst seit 15. 4. 2019 zuzusprechen seien; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[6] Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und teilweise berechtigt.

[8] Die Beklagte macht darin ausschließlich geltend, dass der Zuspruch von mehr als drei Jahre vor Klagsanbringung angefallenen Zinsen zu Unrecht erfolgt sei.

[9] Wie schon das Berufungsgericht – nachträglich – erkannt hat, trifft dies grundsätzlich zu:

[10] 1.1. Das Organisieren, Anbieten oder Zugänglichmachen von Glücksspiel durch einen Unternehmer ist verboten, und zwar auch dann, wenn er nicht selbst am Spiel teilnimmt und etwa die Gewinne stellt, sondern nur auf sonstige Weise an der Durchführung des Spiels mitwirkt. Vor diesem Hintergrund ist ein Vertrag, mit dem dem Kläger die Teilnahme an Online-Glücksspielen auf der Website der Beklagten ermöglicht wurde, nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig. Die Rechtsfolgen dieser Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Verbots- und Sittenwidrigkeit richten sich nach einer Analogie zu § 877 ABGB. Durch die wiederkehrenden Geldüberweisungen des Klägers ist die Beklagte unmittelbar bereichert worden, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei jeweils noch nicht um die Leistung eines Spieleinsatzes im Rahmen eines unerlaubten Glücksvertrags gehandelt hätte. Ein Belassen der Zahlung oder die Anwendung der § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB oder § 1432 ABGB, auch wenn die Zahlung nicht geleistet wurde, um das verbotene Spiel unmittelbar zu bewirken, sondern „nur“ um am Spiel überhaupt teilnehmen zu können, widerspräche überdies dem Verbotszweck der § 2 Abs 1 und Abs 4 in Verbindung mit § 4 Abs 1 GSpG (RS0016325 [insb T15, T16]).

[11] 1.2. Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme gelten ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht als Verzögerungszinsen im Sinne des § 1333 ABGB; darunter fallen auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“; vgl RS0032078), wie etwa bei bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung nach einem Spätrücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag (RS0033829); generell unterliegen sowohl vertraglich bedungene als auch gesetzliche Zinsen der dreijährigen Verjährung gemäß § 1480 ABGB (RS0031939).

[12] 1.3. Warum für gesetzliche Zinsen aus – wie hier – bereicherungsrechtlich zurückgeforderten, aus unwirksamen Glücksspielverträgen stammenden Beträgenanderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

[13] 2.1. Die Beklagte weist in ihrer Revision – vom Kläger unwidersprochen – daher zutreffend darauf hin, dass der Zinsenzuspruch durch die Vorinstanzen der dargelegten Rechtslage nicht entspricht. Mehr als drei Jahre vor Klagsanbringung angefallene Zinsen sind verjährt.

[14] 2.2. Die Beklagte hat diesen Einwand sowohl in erster Instanz als auch in ihrer Berufung konkret erhoben (§ 1501 ABGB), sodass auch im Revisionsverfahren darauf Bedacht zu nehmen ist (vgl RS0034743).

[15] 3.1. Mit ihrem Revisionsantrag auf Einschränkung auf seit 15. 4. 2019 angefallene Zinsen übersieht die Beklagte allerdings § 2 des am 21. 3. 2020 als Art 21 2. COVID‑19‑Gesetz, BGBl I 2020/16, kundgemachten Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in der Justiz (1. COVID‑19‑JuBG), wonach die Zeit vom Inkrafttreten dieses Gesetzes bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 in die Zeit, in der bei einem Gericht eine Klage oder ein Antrag zu erheben oder eine Erklärung abzugeben ist, nicht eingerechnet wird. Dabei handelt es sich um eine Fortlaufshemmung (arg: „wird in die Zeit ... nicht eingerechnet“), was dahin zu verstehen ist, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen ist und nach dem Fortfall des Hemmungsgrundes der noch nicht abgelaufene Teil der Verjährungszeit abgelaufen sein muss, um die Verjährung herbeizuführen (RS0034530). Bei laufenden Fristen, die während des oder nach dem hier von 22. 3. 2020 bis einschließlich 30. 4. 2023 laufenden Hemmungszeitraum enden, muss jener Fristteil, der bei Beginn der Hemmung offen war, nach Wegfall der Hemmung noch ablaufen; Fristen, die während des Hemmungszeitraums ausgelöst werden, beginnen erst nach Wegfall der Hemmung in voller Länge zu laufen (Kolmasch in Schwimann/Kodek 5 [2021] §§ 902, 903 ABGB Rz 24 f; Derselbe, Unterbrechung und Hemmung von Fristen aufgrund der COVID‑19‑Krise, Zak 2020/193, 115 [116]; RS0034530 [T1]; vgl RS0114507 [T1, T2]).

[16] Von § 2 1. COVID‑19‑JuBG sind nach dem Willen des Gesetzgebers (IA 397/A BlgNR 27. GP  35) und der hA (Kolmasch in Schwimann/Kodek 5 §§ 902, 903 ABGB Rz 25; Dokalik,Die Begleitgesetzgebung zu den COVID‑19‑Maßnahmen im Zivil- und Wirtschaftsrecht, RdW 2020/202, 228 [232]) auch Verjährungsbestimmungen erfasst (für eine teleologische Reduktion dagegen Jenny/Rastegar, Reichweite der Fristenhemmung gemäß § 2 1. COVID‑19‑JuBG, Zak 2023/176, 104 [105 f]).

[17] 3.2. Dies bedeutet hier, dass die Verjährungsfrist für die vor der Klagsanbringung angefallenen Zinsen im Ergebnis um 40 Tage verlängert wird (vgl Kolmasch, Zak 2020/193, 116 f): Nur die Zinsen, die drei Jahre und 40 Tage vor Klagsanbringung angefallen sind, sind demnach verjährt.

[18] 4. Damit war der Revision teilweise Folge zu geben und der Zinsenzuspruch (nicht wie begehrt auf seit 15. 4. 2019, sondern) auf seit 5. 3. 2019 angefallene Zinsen einzuschränken; das Mehrbegehren war abzuweisen.

[19] 4.1. Dies hat keine Änderung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen zur Folge, weil vor diesen die Zinsen Nebengebühren waren.

[20] 4.2. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren stützt sich auf §§ 50, 43 Abs 2 erster Fall, ZPO: Die Beklagte ist im Revisionsverfahren als nur mit einem geringfügigen Teil unterlegen zu betrachten.

[21] Bekämpft der zuvor mit Kapital und Zinsen unterlegene Beklagte im Rechtsmittelverfahren nur mehr den Zinsenzuspruch, bestimmt sich hierfür die Bemessungsgrundlage unter analoger Anwendung des § 12 Abs 4 RATG (vgl 3 Ob 113/97g = RS0107153 [zum Berufungsverfahren]).

[22] Die Bemessungsgrundlage für die Rechtsanwaltskosten beträgt daher 200 EUR, der Ansatz für den Ersatz der Revisionskosten gemäß TP 3C RAT dementsprechend 130,20 EUR.

[23] Für die Gerichtsgebühren des Revisionsverfahrens ist dagegen der Kapitalwert der Zinsen maßgeblich, die im Revisionsverfahren allein noch strittig sind und daher die Hauptforderung bilden (vgl RS0046488; Obermaier, Kostenhandbuch3 [2018] Rz 1.448). Dieser Kapitalwert beträgt hier – berechnet für den im Revisionsverfahren relevierten Zeitraum – jedenfalls unter 2.000 EUR (rund 607 EUR), woraus sich gemäß TP 3 GGG Pauschalgebühren von 228 EUR ergeben.

[24] Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen (hier maltesischen) Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (§ 54 Abs 1 ZPO). Ist die Höhe des ausländischen (hier maltesischen) Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt, kann die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (RS0114955), was hier jedoch im gesamten Verfahren unterblieben ist. Der Beklagten waren daher die Kosten ihrer Revision nur ohne Umsatzsteuer zuzusprechen.

Stichworte