OGH 22Ds4/23t

OGH22Ds4/23t8.11.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Pressl und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Schaffhauser in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. Mai 2022, GZ D 10/20, D 40/20, D 253/20, D 261/20, D 56/21, D 90/21, D 104/21‑34, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Mag. Kranz, des Kammeranwalts Mag. Steiner sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Dr. Kier zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00004.23T.1108.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen 2/c und 3/a umfassten Taten als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

*, Rechtsanwalt in *, wird für die ihm weiterhin zur Last liegenden Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt gemäß § 16 Abs 1 Z 3 DSt zur Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von zwei Monaten verurteilt.

Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird diese Disziplinarstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

 

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Übrigen wird nicht Folge gegeben.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Beschuldigte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

(1) a) in den Jahren 2016 und 2017 * M* in diversen Rechtsangelegenheiten und

b) im Jahr 2017 * B* im Zusammenhang mit dem zu AZ 43 Hv 58/17p des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführten Strafverfahren

beraten, jedoch nach Abschluss dieser Tätigkeiten den Genannten keine Rechnung gelegt,

(2) a) der Aufforderung der Rechtsanwalts-kammer Wien vom 21. September 2020, sich binnen 14 Tagen zu (der Aufforderung angeschlossenen) Beschwerden des * T* und der * B* vom 20. September 2020 zu äußern, trotz am 12. Oktober 2020 unter Setzung einer Nachfrist von 8 Tagen ergangener Erinnerung der Rechtsanwaltskammer Wien erst am 13. Juli 2021 entsprochen,

b) als Vertreter des * T* im Verfahren AZ 151/091/2832/2019 des Verwaltungsgerichts Wien der Aufforderung dieses Gerichts vom 4. Februar 2020, binnen einer Woche das allfällige Erfordernis der Beiziehung eines Dolmetschers zum Verhandlungstermin bekannt zu geben und binnen vier Wochen diverse Unterlagen vorzulegen, ohne Aufklärung und Anleitung zur Erfüllung des gerichtlichen Auftrags an * T* weitergeleitet, sodass die Verhandlung am 5. Mai 2020 ohne Abführung des Beweisverfahrens zwecks Ladung eines Dolmetschers vertagt und vom Gericht erneut die Beibringung der Unterlagen abgefordert werden musste, und

c) die mit Schreiben vom 14. Mai 2020 ergangene Aufforderung seines ehemaligen Mandanten * T*, diesem gehörende Unterlagen auszufolgen, nicht beantwortet und der weiteren Aufforderung, eine Abrechnung seiner Leistungen infolge Beendigung des Mandats vorzunehmen, nicht entsprochen,

(3) a) * P* jedenfalls vom 28. April 2020 bis Anfang Mai 2022 keine Abrechnung über die von ihm im Zusammenhang mit den zu AZ 601 Hv 7/17f des Landesgerichts Korneuburg geführten Strafverfahren und den Ansprüchen der privatbeteiligten Versicherungsgesellschaften erbrachten Leistungen unter Berücksichtigung der von * P* geleisteten Kostenvorschüsse in der Höhe von insgesamt 51.600 Euro gelegt und

b) den Auftrag des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 16. Dezember 2020, sich zur Eingabe des Rechtsanwalts * vom 10. Dezember 2020 binnen drei Wochen zu äußern, trotz Urgenz vom letztgenannten Tag nicht befolgt,

(4) der Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. Februar 2021, binnen 14 Tagen zum Schreiben der * GmbH Stellung zu nehmen, trotz am 4. März 2021 unter Setzung einer Nachfrist von 8 Tagen ergangener Urgenz nicht entsprochen und

(5) seiner Verpflichtung, gemäß dem zu AZ 28 C 189/19g ergangenen Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. Februar 2020, der N* die * e.U. 1.860 Euro samt Anhang zu zahlen, trotz spätestens im September 2020 erfolgtem Eintritt der Vollstreckbarkeit erst nach mit Beschluss des Bezirksgerichts Liezen vom 23. Februar 2021 zu AZ 4 E 194/21w ergangener Exekutionsbewilligung am 1. April 2021 entsprochen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen wegen des Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 3, 5, 9 lit a und 10 StPO erhobene Berufung des Beschuldigten ist teilweise im Recht.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) begründet der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung die als verwirklicht angesehenen Disziplinarvergehen nicht numerisch bezeichnet, keine Nichtigkeit.

[5] Nach ständiger Judikatur ist nämlich in Bezug auf die allfällige Verletzung der insoweit angesprochenen Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 2 StPO (hier iVm § 77 Abs 3 DSt) darauf abzustellen, ob die Norm, nach der subsumiert worden ist, zweifelsfrei erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0116669), was hier zu bejahen ist, weil das DSt bloß vier – klar von einander abgegrenzte – materielle Disziplinartatbestände kennt (dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 1), womit die vom Disziplinarrat vorgenommene Subsumtion als (jeweils mehrere) „Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes“ (ES 4) keinen Zweifel an der Einordnung als Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt lässt.

[6] Der Disziplinarrat legte ausführlich dar, aufgrund welcher Beweisergebnisse er aus welchen Gründen zu seinen Feststellungen gelangte (ES 17 bis 25 iVm ES 7 bis 9). Der damit auch zum Ausdruck gebrachte Schluss vom objektiven Tatgeschehen auf die subjektive Tatseite ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882).

[7] Zur Verwirklichung der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt genügt auf der subjektiven Tatseite Fahrlässigkeit (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 7/1 mwN). Hievon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens dessen subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 90), trifft der Einwand fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Z 9 lit a) nicht zu, die insofern erforderliche Feststellungsbasis ergibt sich vielmehr aus der – unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit gebotenen (RIS‑Justiz RS0099810) – Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (ES 9 bis 17 iVm ES 22 bis 25).

[8] Die zum Schuldspruch 2/b erhobene Rechtsbehauptung, durch die Weiterleitung der (deutschsprachigen) Aufforderung des Verwaltungsgerichts Wien an seinen Mandanten * T* habe der Beschuldigte seiner Aufklärungspflicht entsprochen, entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, wonach * T* zum in Rede stehenden Zeitpunkt der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen ist (ES 12).

[9] Entgegen der Subsumtionsrüge zu den Schuldsprüchen 1, 2/b und 5 ist die unter dem Aspekt des § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt erforderliche Publizität den Feststellungen des Disziplinarrats sehr wohl zu entnehmen, weil die insoweit konstatierte Kenntnisnahme des disziplinarrechtswidrigen Verhaltens (ES 23 und 24) durch die Staatsanwaltschaft Wien (1), das Verwaltungsgericht Wien (2/b) sowie die Bezirksgerichte Innere Stadt Wien und Liezen (5) das angesprochene Tatbestandselement verwirklicht (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 14 mwN).

[10] Im bisher behandelten Umfang war der Berufung daher nicht zu folgen.

[11] Im Recht ist hingegen der Einwand fehlerhafter Subsumtion der von den Schuldsprüchen 2/c und 3/a umfassten Taten als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (Z 10).

[12] Da es sich in beiden Fällen um bloß interne Vorgänge zwischen dem Beschuldigten und seinen Mandanten handelt, ist nämlich diesbezüglich das Erfordernis der Publizität (erneut Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 14 mwN) zu verneinen. Der Umstand, das der Disziplinarrat den Subsumtionsfehler in Bezug auf den Schuldspruch 3/a nachträglich erkannt hat (ES 24), vermag an der Fehlerhaftigkeit des Schuldspruchs (ES 4) nichts zu ändern.

[13] Das angefochtene Erkenntnis war daher in teilweiser Stattgebung der Berufung in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen 2/c und 3/a umfassten Taten (auch) als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (ersatzlos) aufzuheben.

[14] Dies hatte die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge.

[15] Bei der deswegen erforderlichen Strafneubemessung waren die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839). Demzufolge waren die Umstände, dass der Beschuldigte zahlreiche strafbare Handlungen begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und dass er schon zehn Mal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten disziplinarrechtlich verurteilt worden ist (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), erschwerend, die zum Teil geständige Verantwortung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und die lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) mildernd.

[16] Hievon ausgehend (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) war auf der Grundlage der sich nicht zuletzt durch die wiederholte, qualifiziert einschlägige Delinquenz zeigenden Größe des Verschuldens (§ 16 Abs 6 DSt) sowie im Hinblick darauf, dass den Beschuldigten bislang zahlreiche, teils empfindliche Geldbußen (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) nicht von weiterem disziplinarrechtlichen Fehlverhalten abzuhalten vermochten, die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft (§ 16 Abs 1 Z 3 DSt) unerlässlich.

[17] Mit Blick auf die dargestellten Strafbemessungskriterien erweist sich eine Dauer der Untersagung von drei Monaten als angemessen. Da aber die Verfahrensdauer aufgrund ihres Ausmaßes von rund vier Jahren in die Grundrechtssphäre reicht (Art 6 Abs 1 MRK), war die Dauer der Untersagung in Anerkennung der und als Ausgleich für die Grundrechtsverletzung auf zwei Monate zu reduzieren.

[18] Einem unbedingten Ausspruch steht das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) entgegen.

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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