OGH 2Ob180/23v

OGH2Ob180/23v25.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T*, vertreten durch ARNOLD Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Übernahme eines Mietobjekts, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Mai 2023, GZ 39 R 300/22i‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00180.23V.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Rechtsvorgängerinnen der Streitteile schlossen 2012 einen auf 16 Jahre befristeten Mietvertrag ab. Da die Mieterin erst nach Ablauf von fünf Jahren den vollen Mietzins zu entrichten hatte und erhebliche Investitionen in das als Edelrohbau übergebene Mietobjekt tätigte, war beiden Vertragsparteien ein erhöhter Bestandschutz wichtig. Im Mietvertrag sahen die Vertragsparteien daher vor, dass der Mieter das Mietverhältnis (nur dann) vorzeitig aufzulösen berechtigt ist, „wenn der Mietgegenstand ohne Verschulden auf Seiten des Mieters […] länger als drei Monate zum bedungenen Gebrauch untauglich wird“, und schlossen eine Teilkündigung oder Teilauflösung des Vertrags aus.

[2] Die Vorinstanzen verneinten eine nach § 1117 ABGB wirksame Auflösung des Bestandvertrags.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Klägerin zeigt in ihrer außerordentlichen Revisionkeine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[4] 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) bzw Vertragsformblätter iSd § 879 Abs 3 ABGB liegen nach der Rechtsprechung dann nicht vor, wenn die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt wurden (RS0123499 [T2]). Von einer individuellen Vereinbarung kann in Abgrenzung von einem Formularvertrag nur gesprochen werden, wenn der Geschäftspartner auch hinsichtlich des Vertragsinhalts eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener berechtigter Interessen hat; wenn und soweit es ihm also möglich war, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Sein Vertragspartner muss daher zu einer Abänderung des von ihm verwendeten Textes erkennbar bereit gewesen sein (2 Ob 76/22v Rz 4 mwN). Bei einer individuellen Aushandlung des Vertragstextes liegt die von § 879 Abs 3 ABGB vorausgesetzte Ungleichgewichtslage („verdünnte Willensfreiheit“), wie sie der Verwendung bei AGB typischerweise zu eigen ist, gerade nicht vor (4 Ob 103/22h Rz 8 mwN).

[5] Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt es keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, den Anwendungsbereich des § 879 Abs 3 ABGB im Hinblick auf die strittige Klausel wegen Vorliegens einer im Einzelnen ausgehandelten Bestimmung als nicht eröffnet anzusehen. Schließlich gingen dem Vertragsabschluss nach den Feststellungen monatelange Verhandlungen der anwaltlich vertretenen Vertragsparteien in mehreren Runden voraus, in deren Rahmen der von der Vermieterin erstellte Erstentwurf des Mietvertrags intensiv überarbeitet wurde, wobei es auch zu Änderungen einzelner Punkte auf Wunsch der Mieterin kam, die jedoch hinsichtlich der strittigen, näher besprochenen Klausel keine Änderungswünsche hatte.

[6] Mit ihren Ausführungen zum Vorliegen einer gröblich benachteiligenden Klausel iSd § 879 Abs 3 ABGB kann die Klägerin damit keine für den Verfahrensausgang präjudizielle Rechtsfrage erheblicher Bedeutung aufzeigen.

[7] 2. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936; RS0042871). Darin, dass eine andere Auslegung vertretbar wäre, liegt dagegen keine im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung (RS0042776 [T2]; RS0112106 [T2, T4]).

[8] Wenn die Vorinstanzen die strittige Klausel dahin ausgelegt haben, dass die Vertragsparteien damit die grundsätzlich dispositive Bestimmung des § 1117 ABGB (vgl RS0020879 [T1]) dahin abbedungen haben, dass eine Möglichkeit zur vorzeitigen Vertragsauflösung nur bei einer mehr als drei Monate lang durchgehend vorliegenden gänzlichen Unbrauchbarkeit des Mietobjekts aus dem Mieter nicht zuzurechnenden Gründen bestehen sollte, liegt darin schon deswegen keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung, weil das Erstgericht einen diese Auslegung deckenden übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien festgestellt hat.

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