European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00081.23P.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Jugendstrafsachen
Spruch:
I./ Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * R* wird verworfen.
II./ In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten S* H* betreffenden Schuldspruch II./2./, den die Angeklagten S* H* und Z* H* betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), in dem den Angeklagten S* H* betreffenden Einziehungserkenntnis im Umfang des sichergestellten Klappmessers sowie die Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung aufgehoben und es wird
1./ im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs II./2./ und der Aufhebung des Einziehungserkenntnisses die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen und
2./ im verbleibenden Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
S* H* wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./) und das Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (II./1./) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 142 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von
2 Jahren
verurteilt.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die von diesem Angeklagten erlittene Vorhaft vom 18. Dezember 2022, 19:41 Uhr, bis 18. Dezember 2022, 22:30 Uhr, und vom 1. Februar 2023, 23:00 Uhr, bis 27. April 2023, 12:48 Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet.
Z* H* wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./) nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von
18 Monaten
verurteilt.
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird die verhängte Freiheitsstrafe im Umfang von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren zum Teil bedingt nachgesehen.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die von diesem Angeklagten erlittene Vorhaft vom 1. Februar 2023, 23:00 Uhr, bis 3. Februar 2023, 11:41 Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Übrigen wird verworfen.
S* H* und Z* H* werden mit ihren Berufungen ebenso auf die Strafneubemessung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung betreffend diese Angeklagten.
III./ In Stattgebung ihrer Berufungen werden die über die Angeklagten * T* und * R* verhängten Freiheitsstrafen gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Hingegen wird der diese Angeklagten betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft nicht Folge gegeben.
IV./ Sämtlichen Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden S* H*, * T*, * R* und Z* H* jeweils des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./), S* H* darüber hinaus wegen jeweils eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (II./1./) und nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (II./2./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben in I*
I./ S* H*, * T*, * R* und Z* H* am 1. Februar 2023 in einverständlichem Zusammenwirken dem * S* mit Gewalt fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Winterjacke und 290 Euro Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen und abgenötigt, indem sie den mit dem Rücken zu einer Bushaltestelle befindlichen S* umzingelten, die Übergabe der Jacke verlangten sowie in weiterer Folge S* H* ihm einen Faustschlag und Z* H* ihm zwei weitere Faustschläge ins Gesicht versetzten;
II./ S* H* am 1. Februar 2023, wenn auch nur fahrlässig,
1./ eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring, unbefugt besessen,
2./ eine Waffe, nämlich ein Klappmesser besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Urteil richten sich die vom Angeklagten * R* auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO und von der Staatsanwaltschaft auf § 281 Abs 1 Z 4 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.
I./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * R*:
[4] Entgegen der Diversionsrüge (Z 10a) übersteigt die Schuld des Angeklagten das in § 7 Abs 2 Z 1 JGG festgesetzte Maß. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Tatbestandsverwirklichung einer mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Jugendstraftat (§ 142 Abs 1 StGB iVm § 5 Z 4 JGG) eine hohe kriminelle Energie signalisiert, die einer diversionellen Maßnahme entgegensteht (RIS‑Justiz RS0128235). Gründe dafür, dass ausnahmsweise dennoch nach § 199 StPO vorzugehen gewesen wäre, liegen nicht vor. Vielmehr beruhte das Raubgeschehen auf einem gemeinsamen Willensentschluss von vier Angeklagten, die zudem vorsätzlich in Bezug auf Verletzungen des Opfers handelten (US 9).
[5] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.
II./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[6] Diese ist teilweise berechtigt.
[7] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) und den Ausführungen der Generalprokuratur hat das Erstgericht den Antrag der Anklagebehörde auf „Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Kieferchirurgie und Kieferorthopädie zur Art und Dauer der Verletzungen des * S* sowie der gesundheitlichen Beeinträchtigung im Hinblick auf die Qualifikation des § 143 Abs 2 StGB und die Bedeutung des Wegfalls der Privilegierung des § 19 JGG“ (ON 55 S 23) zu Recht abgewiesen, weil es sich dabei um eine bloße Erkundungsbeweisführung handelte.
[8] Denn die Antragstellerin, die im Übrigen auch kein konkretes Beweisthema benannte, ließ nicht erkennen, weshalb sich aus der Durchführung der begehrten Beweisaufnahme Anhaltspunkte für eine Tatbeurteilung in Richtung der ins Auge gefassten Qualifikation des § 143 Abs 2 (offenbar gemeint: erster Fall) StGB ergeben könnten (vgl RIS‑Justiz RS0118444).
[9] Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft auch nicht konkretisiert, auf welcher Basis der erforderliche Befund hätte aufgenommen werden sollen und nicht einmal behauptet, dass das Opfer seine Zustimmung zu einer allfälligen körperlichen Untersuchung oder einer sonstigen Befundaufnahme erteilen werde (vgl RIS‑Justiz RS0098015 [T14]).
[10] Das im Rechtsmittel nachgetragene Vorbringen hat als unbeachtliche Neuerung auf sich zu beruhen (vgl RIS‑Justiz RS0099618).
[11] Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
[12] Hingegen weist die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hin, wonach Raub in der Begehungsform der „Gewalt gegen eine Person“ eine „strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ im Sinn der durch das GewaltschutzG 2019 (BGBl I 2019/105) geschaffenen Bestimmung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG darstellt (RIS‑Justiz RS0134129). Das Erstgericht ist daher (wie von ihm selbst im schriftlichen Urteil erkannt – US 15) zu Unrecht vom Entfall der Strafuntergrenze des § 142 Abs 1 StGB im Sinn des § 19 Abs 1 zweiter Satz JGG ausgegangen.
[13] Das angefochtene Urteil war daher in den die Angeklagten S* H* und Z* H* betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) ebenso aufzuheben wie die jeweiligen Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung.
III./ Zur amtswegigen Maßnahme:
[14] Gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden davon, dass dem Schuldspruch II./2./ des S* H* nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG eine sich zu seinem Nachteil auswirkende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet.
[15] Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte am 1. Februar 2023 ein Klappmesser bei sich (US 8).
[16] Gewöhnliche Messer (das sind Messer mit stumpfen Rücken, wie Jagdmesser, Hirschfänger, Brotmesser, Tischmesser und Küchenmesser) und insbesondere Taschenmesser aller Art sind aber selbst dann, wenn sie eine Feststellungsvorrichtung für die Klinge besitzen (sogenanntes „Fixiermesser“), in der Regel nicht als Waffen im technischen Sinn, sondern als Gebrauchsgegenstände anzusehen. Erst dann, wenn ein solches feststellbares Taschenmesser überdies noch eine besondere Vorrichtung zum Ausspringen der Klinge besitzt („Springmesser“ und „Fallmesser“ im Sinne des § 11 Abs 1 Z 6 WaffG 1967), ist es eine Stichwaffe und Stoßwaffe und als Waffe im technischen Sinn zu werten (RIS‑Justiz RS0082031; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 1 WaffG Rz 1).
[17] Ob das gegenständliche „Klappmesser“ solche besonderen Eigenschaften (vgl aber ON 4.14 S 4 f: „Springmesser“; sowie die Fotos ON 26.8) hatte, lassen die Konstatierungen offen.
[18] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs II./2./ sowie des auf das Klappmesser bezogenen Einziehungserkenntnisses.
[19] Im Hinblick auf das in Relation zum Gesamtvorwurf geringe Gewicht dieser Tat sah sich der Oberste Gerichtshof dazu veranlasst, hinsichtlich der in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche I./ und II./1./ auch über den S* H* betreffenden Strafausspruch im Weg einer Strafneubemessung in der Sache selbst zu erkennen (vgl RIS‑Justiz RS0100261; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 21).
IV./ Zur Strafneubemessung:
[20] Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof hinsichtlich
- S* H* als erschwerend das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), drei einschlägige Vorverurteilungen, den raschen Rückfall (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) sowie die führende Beteiligung (vgl US 7, 13: Schläge und Wortführerschaft; § 33 Abs 1 Z 4 StGB), als mildernd das Alter unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), das Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) sowie die teilweise Schadensgutmachung und
- Z* H* als erschwerend keinen Umstand und als mildernd das Alter unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), seine Unbescholtenheit (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) sowie die teilweise Schadensgutmachung.
[21] Davon ausgehend erweist sich bei S* H* eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren als tat- und schuldangemessen. Die bedingte Nachsicht auch nur eines Teils der Strafe kam bei diesem Angeklagten mit Rücksicht auf dessen Vorverurteilungen, das beträchtliche Überwiegen der Erschwerungsgründe und auch die Tatbegehung während eines anhängigen Verfahrens nicht mehr in Betracht.
[22] Bei Z* H* entspricht eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Im Hinblick darauf, dass dieser Angeklagte dem Opfer im Zuge des Raubgeschehens auch Faustschläge ins Gesicht versetzte (US 7), liegen die Voraussetzungen bedingter Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) nur im Umfang von 12 Monaten vor (§ 43a Abs 3 StGB).
[23] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten gründet sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.
[24] Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeiten hat gemäß § 400 StPO der Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0091624).
[25] Mit ihren Berufungen waren S* H* und Z* H* ebenso auf die Strafneubemessung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrem auf diese Angeklagten bezogenen Teil ihrer Berufung. Mit ihren impliziten Beschwerden waren die Genannten auf die Aufhebung zu verweisen.
[26] Die Entscheidung über die allfällige neuerliche Erteilung von Weisungen und die Anordnung von Bewährungshilfe obliegt in Ansehung des Z* H* dem Erstgericht (vgl RIS‑Justiz RS0086098 [T1, T4, T5]).
V./ Zu den Berufungen betreffend die Angeklagten * R* und * T*:
[27] Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist verfehlt, weil ein solches Rechtsmittel auf Basis des Schuldspruchs auszuführen ist (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.283). Mit der Hypothese, es wäre bei Annahme der (nicht abgeurteilten) Qualifikation nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB eine höhere Strafe auszumessen gewesen, wird somit kein Berufungsargument erhoben.
[28] Mit der Kritik an der unterbliebenen diversionellen Erledigung (der Sache nach Z 10a) ist der Berufungswerber T* auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R* zu verweisen.
[29] Hingegen war den die Anwendung des § 43 Abs 1 StGB reklamierenden Berufungen der Angeklagten R* und T* Folge zu geben. Bei keinem der jugendlichen Angeklagten liegen Gründe vor, die einen auch nur teilweisen Vollzug der verhängten Freiheitsstrafen erforderlich erscheinen ließen. Insoweit genügt der Hinweis auf die bei beiden Berufungswerbern vorliegende Unbescholtenheit, deren Geständnis, die teilweise Schadensgutmachung und die untergeordnete Beteiligung am Raubgeschehen (US 16). Dass der Angeklagte T* den Großteil der Raubbeute erhielt (erneut US 16), fällt insoweit nicht ins Gewicht.
[30] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Er bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12).
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