European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00098.23P.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 3. August 2023, AZ 22 Bs 192/23f, gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht der Beschwerde des Betroffenen * S* gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21. Juli 2023, GZ 31 HR 186/23d‑43, mit dem die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungs‑ und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO unter Annahme derselben Haftgründe in eine vorläufige Unterbringung nach § 431 Abs 1 StPO umgewandelt wurde, nicht Folge und ordnete deren Fortsetzung aus denselben Haftgründen an.
[2] Nunmehr begehrt der Betroffene – gestützt auf den erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – die „Erneuerung des Haftprüfungsverfahrens“ mit der Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK mangels Anwesenheit des Verteidigers bei der Befundaufnahme durch die Sachverständige sowie – der Sache nach – nach Art 5 MRK.
Rechtliche Beurteilung
[3] Nach ständiger Rechtsprechung ist zwar eine Planwidrigkeit des § 363a StPO anzunehmen und Lückenschließung dahin geboten, dass es eines Erkenntnisses des EGMR für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht bedarf, womit auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst – aufgrund eines Erneuerungsantrags – festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts dazu führen kann (RIS-Justiz RS0122228, RS0122229 [T2]). Dabei handelt es sich aber um einen subsidiären Rechtsbehelf (RIS‑Justiz RS0122737; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.120), weshalb in Ansehung des als verletzt betrachteten Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) ausschließlich die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung gelangen, die insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regeln (RIS‑Justiz RS0123350 [T1], RS0122737 [T26]; Rebisant, WK-StPO §§ 363a–363c Rz 49).
[4] Vom Schutzbereich des Art 6 MRK werden Verfahren über die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“, mithin Entscheidungen über die Schuld oder Nichtschuld erfasst, nicht aber Verfahren, innerhalb derer Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses (hier: die Fortsetzung der vorläufigen Unterbringung) überprüft werden (RIS‑Justiz RS0120049 und RS0121601, zuletzt 13 Os 44/21a; Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 4, 27).
[5] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
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