European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00104.23W.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Jugendstrafsachen
Spruch:
Im Verfahren AZ 144 Hv 89/21w des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Jugendschöffengericht ohne Vertretung durch einen Verteidiger in Ansehung des * T* § 61 Abs 1 Z 4 StPO.
Es werden das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 13. Oktober 2022 (ON 38), das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des T*, demzufolge auch in dessen Strafausspruch sowie der nach §§ 50 f StGB gefasste Beschluss (ON 39) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
[1] Mit Strafantrag vom 2. Juni 2022, AZ 405 St 100/22g, legte die Staatsanwaltschaft Wien * T* ein als Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten zur Last (ON 3 in ON 28).
[2] Am 20. Juni 2022 verfügte die Vorsitzende des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht zu AZ 144 Hv 89/21w die Einbeziehung dieses zunächst zu AZ 144 Hv 62/22a vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Einzelrichter geführten Verfahrens (ON 1 S 8).
[3] In der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Jugendschöffengericht war T* nicht durch einen Verteidiger vertreten (ON 37 S 2 und S 10).
[4] Mit Urteil dieses Gerichts vom 13. Oktober 2022 wurde er – soweit hier von Relevanz – des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB schuldig erkannt (ON 37 S 9; ON 38). Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde ihm für die Dauer der Probezeit eine Weisung erteilt (ON 39). Er verzichtete auf Rechtsmittel (ON 37 S 10).
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht ohne Vertretung durch einen Verteidiger das Gesetz:
[6] Gemäß § 61 Abs 1 Z 4 StPO muss der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Schöffengericht durch einen Verteidiger vertreten sein (notwendige Verteidigung).
[7] Der Vorgang, dass T* in einem Strafverfahren mit Verteidigerzwang in der Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertreten war, steht solcherart mit dem Gesetz nicht im Einklang (vgl zur auch Fälle der Konnexität erfassenden Reichweite Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 149; vgl auch 11 Os 56/17w).
[8] Es ist nicht auszuschließen, dass die Gesetzesverletzung dem Angeklagten zum Nachteil gereicht (vgl RIS‑Justiz RS0097281). Deren Feststellung war daher mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil in Ansehung dieses Angeklagten ebenso wie der davon abhängige Beschluss auf Erteilung einer Weisung wie im Spruch ersichtlich aufzuheben und die Verfahrenserneuerung (zur Zuständigkeit des Landesgerichts als Einzelrichter RIS‑Justiz RS0100271) anzuordnen (zum Verschlechterungsverbot im weiteren Verfahren RIS‑Justiz RS0115530).
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