European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00151.23V.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Beide Parteien sind polnische Staatsbürger und miteinander verheiratet. Ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt befand sich im Sprengel des Erstgerichts. Die (noch) in Österreich ansässige gefährdete Partei (im Folgenden Antragstellerin) begehrte vom Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge Antragsgegner), der nunmehr in Polen ansässig ist, während des laufenden Ehescheidungsverfahrens die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Zuerkennung von Unterhalt. Das von der Antragstellerin beim Erstgericht anhängig gemachte Ehescheidungsverfahren wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zuständigkeit des polnischen Gerichts in dem dortigen vom Antragsgegner eingeleiteten Scheidungsverfahren gemäß Art 19 EuEheKindVO 2201/2003/EG ausgesetzt (vgl 3 Ob 113/22x).
[2] Das Erstgericht bejahte gemäß Art 3 und Art 5 HUP 2007 die Anwendung österreichischen Rechts, sprach der Antragstellerin mittels einstweiliger Verfügung einen Unterhaltsrückstand von 3.910,20 EUR zu und wies den Antrag auf Gewährung von laufendem monatlichen Unterhalt ab.
[3] Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung zur Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage nach allfälliger Verfahrensergänzung auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zur Frage der Anwendbarkeit österreichischen Rechts und der Zuständigkeit österreichischer Gerichte zu.
[4] Dagegen richtet sich der (fälschlich als „Revisionsrekurs“ bezeichnete) Rekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Zuständigkeit des polnischen Gerichts auszusprechen. Zudem regt er die Einholung einer Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) an. Es bestehe weder die Zuständigkeit des österreichischen Gerichts, noch sei österreichisches Recht anwendbar. Das Unterhaltsbegehren sei außerdem rechtsmissbräuchlich.
[5] Die Antragstellerin beantragt mit ihrer Rekursbeantwortung („Revisionsrekursbeantwortung“), den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Rekurs ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[7] 1.1. Gemäß EuUVO (Verordnung [EG] Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen), Art 14 („Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen“) können die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, bei den Gerichten dieses Staats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist.
[8] 1.2. Im vorliegenden Fall kann die Prüfung der Voraussetzungen des Art 14 EuUVO dahinstehen, zumal sich die Zuständigkeit des Erstgerichts schon aus der rügelosen Einlassung des Antragsgegners ergibt. Art 5 EuUVO („Durch rügelose Einlassung begründete Zuständigkeit“) regelt nämlich, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser VO zuständig ist, dadurch zuständig wird, dass sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt. Dies ist hier der Fall, zumal der Antragsgegner weder im erstinstanzlichen noch im Rekursverfahren, sondern erst im Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts ein Bestreitungsvorbringen in Richtung internationaler Unzuständigkeit erhob.
[9] 2.1. Gemäß Art 3 Abs 1 HUP (Haager Unterhaltsprotokoll 2007) ist, sofern in diesem Protokoll nichts anderes bestimmt ist, für Unterhaltspflichten das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach Art 5 HUP findet Art 3 in Bezug auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten, früheren Ehegatten oder Personen, deren Ehe für ungültig erklärt wurde, keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staats, insbesondere des Staats ihres letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staats anzuwenden.
[10] 2.2. Art 5 HUP lässt einen gewissen Ermessensspielraum des Rechtsanwenders offen, weil das Element der engeren Verbindung durch verschiedene Kriterien beeinflusst wird und der letzte gemeinsame Aufenthalt als eines dieser Merkmale lediglich Indizwirkung entfaltet („insbesondere“). Da es bereits Leitlinien des Obersten Gerichtshofs zu dieser Bestimmung gibt, die auf den vorliegenden Fall übertragbar sind, käme eine Zulässigkeit des Rechtsmittels nur infrage, wenn das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Höchstgerichts abgewichen wäre oder seinen Ermessensspielraum überschritten hätte. Beides ist hier nicht der Fall.
[11] 2.3. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Dort lag auch der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile. Eine engere Verbindung der Ehe der Parteien zu dem Recht eines anderen Staats (hier: Polen) muss von einem gewissen Gewicht sein, damit eine Abweichung von der Grundsatzanknüpfung in Art 3 HUP gerechtfertigt ist, wobei hierfür die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (RS0131702; vgl zuletzt 4 Ob 114/20y). Umstände, die vor der Eheschließung oder nach der Trennung/Scheidung oder Ungültigerklärung liegen, bleiben für die Beurteilung der engeren Verbindung außer Betracht, weil auf Umstände der „betreffenden Ehe“ abzustellen ist (10 Ob 6/15b; 3 Ob 104/17s). Hier könnte für eine engere Verbindung zum polnischen Recht nur der Umstand sprechen, dass beide Streitteile polnische Staatsbürger sind und in Polen geheiratet haben. Allerdings kommt dem gewöhnlichen Aufenthalt bereits nach dem Wortlaut des Art 5 HUP größere Bedeutung zu als der Staatsangehörigkeit der Ehepartner (vgl auch 7 Ob 116/12b; 10 Ob 6/15b). Behält ein Ehepartner den bisherigen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bei, so müssten ganz außergewöhnliche Umstände vorliegen, um eine engere Beziehung der Ehe zu einem anderen Recht als jenem des Aufenthaltsstaats annehmen zu können (3 Ob 104/17s). Nach den Feststellungen haben die Streitteile den Großteil ihrer Ehe in Österreich verbracht und die Antragstellerin lebt nach wie vor hier. Die Anknüpfung der Vorinstanzen an österreichisches Recht ist daher im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung vertretbar. Der Antragsgegner zeigt keine besonderen Umstände auf, die eine Anknüpfung an polnisches Recht geboten erscheinen ließen.
[12] 3. Auch im Hinblick auf die materiell‑rechtlichen Voraussetzungen des sicherungsweise geltend gemachten Unterhaltsanspruchs zeigt der Antragsgegner keine erheblichen Rechtsfragen auf. Im Übrigen kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem Rekursgericht nicht entgegentreten, wenn dieses der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist (vgl RS0042179).
[13] 4. Zusammenfassend ist der Rekurs des Antragsgegners in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen zurückzuweisen. Da die richtige Anwendung der angezogenen Normen des Gemeinschaftsrechts durch das Rekursgericht offenkundig ist, bedarf es auch nicht der vom Antragsgegner angeregten Anrufung des EuGH.
[14] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO.
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