OGH 10Ob6/15b

OGH10Ob6/15b30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Frank Riel, Rechtsanwalt in Krems, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Mag. Josef Gallauner, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Unterhalts, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 18. November 2014, GZ 2 R 111/14g‑33, womit das Urteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 28. Mai 2014, GZ 7 C 27/13y‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00006.15B.0630.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (davon 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind polnische Staatsbürger. Sie haben im Juni 2000 in Mexiko geheiratet. Der Kläger verbüßt wegen Mordes an seiner Mutter und versuchten Mordes an seinem Stiefvater eine vom Landesgericht Eisenstadt verhängte lebenslängliche Freiheitsstrafe und ist seit August 2002 in Haft. Schon vor der Inhaftierung lebte er mit der Beklagten in Österreich. Für die von ihm in der Justizanstalt verrichteten Arbeiten erhält er zwischen 80 EUR und 100 EUR pro Monat. Darüber hinausgehende Einkünfte hat er nicht.

Das Scheidungsverfahren ist seit 2010 beim Erstgericht anhängig.

Die Beklagte ist für drei Kinder sorgepflichtig und bezieht Kinderbetreuungsgeld von täglich 14,53 EUR sowie die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Höhe von 416 EUR monatlich. Darüber hinaus hat sie keine Einkünfte. Sie ist Hälfteeigentümerin eines Hauses in Polen, das von ihrer Mutter bewohnt wird, die die andere Miteigentümerin des Hauses ist. Das Haus wurde fremdfinanziert. Die Kreditverbindlichkeiten werden von der Mutter der Beklagten derzeit alleine bezahlt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung von Unterhalt in Höhe von 600 EUR monatlich ab Juni 2013. Er sei auch und vor allem aus Verschulden der Beklagten in Strafhaft. Außer der Arbeitsvergütung nach dem Strafvollzugsgesetz habe er kein Einkommen. Die Beklagte sei verpflichtet, das Haus in Polen zu vermieten. Es sei polnisches Unterhaltsrecht anzuwenden, weil die Streitteile polnische Staatsbürger seien und er sich nicht freiwillig in Österreich aufhalte.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei nicht unterhaltsberechtigt, habe er doch seine derzeitige Lebenslage aufgrund seines schwerwiegenden Verbrechens selbst verschuldet. Das Unterhaltsbegehren sei rechtsmissbräuchlich. Ein Unterhaltsanspruch des Klägers ergebe sich mit Rücksicht auf ihre Sorgepflichten und ihr Einkommen nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, der geltend gemachte Unterhaltsanspruch sei nach österreichischem Recht zu beurteilen. Abgesehen davon, dass für den Unterhalt des Klägers die Republik Österreich durch volle Versorgung in einer Justizanstalt aufkomme, sei die Beklagte aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, ohne Beeinträchtigung ihres eigenen Unterhalts und des Unterhalts ihrer drei Kinder zum Unterhalt des Klägers beizutragen. Die Beklagte sei auf ein allenfalls durch die Vermietung ihrer Haushälfte in Polen erzielbares Mieteinkommen nicht anzuspannen, weil die andere Miteigentümerin die Schulden für das gesamte Haus alleine zurückzahle und in diesem Haus wohne.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts. Zutreffend habe das Erstgericht den Unterhaltsanspruch nach österreichischem Recht beurteilt. Der Kläger habe durch eine Vorsatztat seine Unterhaltsbedürftigkeit verschuldet und könne deswegen seinen Beitrag im Sinn des § 94 Abs 1 ABGB nicht leisten.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig. Wesentlich sei die Rechtsfrage, ob ein deliktisches Verschulden des unterhaltsansprechenden Ehegatten, das zu einer Strafhaft geführt habe, ihm für die Dauer der Strafhaft auch als Verschulden im Sinn eines Verstoßes gegen den Anspannungsgrundsatz, wie er im § 94 Abs 2 Satz 3 ABGB zum Ausdruck komme, zuzurechnen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zwar zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers haben die Vorinstanzen auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch zutreffend österreichisches Sachrecht angewandt:

Seit dem 18. Juni 2011 ist die Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen ‑ Europäische Unterhaltsverordnung (EuUVO) ‑ in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden (vgl 7 Ob 116/12b). Nach Art 15 EuUVO bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUP 2007) gebunden sind, nach jenem Protokoll.

Sofern nichts anderes angeordnet ist, ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art 3 Abs 1 HUP 2007). In Bezug auf Unterhaltspflichten zwischen (auch früheren) Ehegatten findet dieses Recht keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staats, insbesondere des Staats ihres letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staats anzuwenden (Art 5 HUP 2007).

Der Revisionswerber stellt nicht in Abrede, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, beruft sich aber weiterhin auf Art 5 HUP 2007 und hält polnisches Recht für anwendbar. Beide Streitteile seien nämlich polnische Staatsbürger und die Beklagte sei in Polen aufrecht gemeldet und Eigentümerin einer Liegenschaft in Polen. Sie habe, wie sich im Zusammenhang mit einer politischen Tätigkeit der Beklagten in Polen ergeben habe, auch konkrete Lebensinteressen in Polen. Er selbst sei bis Ende 2010 in Polen gemeldet gewesen und widerrechtlich abgemeldet worden.

Entgegen diesen Ausführungen liegen die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausweichklausel des Art 5 Satz 1 Halbsatz 2 HUP 2007 nicht vor. Da nach der engeren Verbindung der Ehe zu einer anderen Rechtsordnung zu fragen ist, bleiben Umstände außer Betracht, die vor der Eheschließung lagen (Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2010] Art 5 HUntStProt Rz 15). Der „letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt“ ist das einzige in Art 5 HUP 2007 beispielhaft genannte konkrete Kriterium, aus dem sich eine engere Verbindung ergeben könnte. Auch hier kommt es nur auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe an (Andrae aaO Art 5 HUntStProt Rz 17). Dass die Streitteile während ihrer Ehe jemals einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hatten, wurde weder behauptet noch festgestellt.

Der Kläger hat die engere Verbindung zur polnischen Rechtsordnung nur mit der polnischen Staatsangehörigkeit der Streitteile begründet. Die weiteren nun in der Revision angeführten Umstände sind zum einen unbeachtliche Neuerungen und zum anderen weder für sich noch zusammen mit der gemeinsamen Staatsangehörigkeit geeignet, eine engere Verbindung der Ehe zur polnischen Rechtsordnung zu begründen (vgl 7 Ob 116/12b), haben doch beide Streitteile seit langem ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Da die Anwendung der Ausweichklausel erfordert, dass zu der anderen Rechtsordnung eine engere Verbindung bestehen muss, bleibt es selbst bei Gleichwertigkeit der Verbindung beim Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten (Andrae aaO Art 5 HUntStProt Rz 18). Gegenüber dem schon lange dauernden gewöhnlichen Aufenthalt der Streitteile während der Ehe in Österreich fällt der Umstand, dass die Streitteile polnische Staatsbürger sind, jedenfalls nicht stärker ins Gewicht (vgl 7 Ob 116/12b).

Zutreffend beruft sich der Kläger nicht mehr darauf, dass polnisches Recht aufgrund des Polnisch-Österreichischen Rechtshilfevertrags, BGBl 1974/79, anwendbar sei (vgl dessen § 25 Abs 1). Gemäß Art 69 Abs 2 EuUVO hat nämlich die Verordnung im Verhältnis der Mitgliedstaaten Vorrang vor Übereinkommen und Vereinbarungen, die sich auf Bereiche, die in der Verordnung geregelt sind, erstrecken und denen Mitgliedstaaten angehören (vgl Andrae aaO Art 19 HUntStProt Rz 3).

2. Der Revisionswerber meint, er habe einen Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs 2 Satz 3 ABGB. In seiner konkreten Situation als Strafgefangener könne er seine Unterhaltsbedürfnisse durch eine Erwerbstätigkeit nicht decken.

Der Unterhaltsanspruch nach dieser Bestimmung setzt voraus, dass der beanspruchende Ehegatte selbst keinen ausreichenden Beitrag zum gemeinsamen Lebenshaltungsaufwand im Sinn des § 94 Abs 1 ABGB leisten kann (Koch in KBB4 § 94 ABGB Rz 6 mwN). Grundsätzlich scheidet ein Unterhaltsanspruch aus, soweit beide Ehegatten ihre individuellen Bedürfnisse aus dazu je hinreichendem Einkommen decken können (Koch aaO Rz 7 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits (zum Kindesunterhalt) ausgesprochen, dass während der Dauer einer Strafhaft des Unterhaltsberechtigten der Unterhaltsschuldner von seiner Unterhaltspflicht ganz oder zum Teil befreit ist, weil während dieser Zeit von dritter Seite ohne Vorschussabsicht ganz oder teilweise für den Unterhalt gesorgt wird (1 Ob 352/98s = RIS‑Justiz RS0111945). Für den Ehegattenunterhalt kann nichts anderes gelten.

Ob der Kläger, dessen Kernbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Ähnliches (vgl 10 ObS 370/01m, SSV-NF 16/14) gedeckt sind, mit seinen monatlichen Einkünfte seine individuellen Bedürfnisse ganz oder teilweise befriedigen kann, kann dahin stehen, übersteigt doch ein Unterhaltsbeitrag der Beklagten nach ihren festgestellten Einkommens- und Sorgeverhältnissen ihre Leistungsfähigkeit (§ 94 Abs 1 ABGB). Zutreffend hat das Erstgericht auch verneint, dass die Beklagte auf die Erzielung von Mieteinnahmen anzuspannen ist.

Da der Kläger schon aus diesen Gründen keinen Unterhaltsanspruch gegen die Beklagte hat, muss auf die vom Berufungsgericht als rechtserheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage nicht eingegangen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 52 Abs 1 ZPO.

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