European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00050.23K.0928.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Aus Anlass der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren im Umfang des Begehrens, es werde festgestellt, dass der Anspruch der klagenden Partei auf Kinderbetreuungsgeld mit einem Tagsatz von 14,53 EUR für die Zeit von 1. März 2022 bis 28. März 2022 zu Recht besteht, als nichtig aufgehoben. Die Klage wird insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.
Die darauf entfallenden Kosten des Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
II. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang des verbleibenden stattgebenden Teils des Zahlungsbegehrens sowie im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die darauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto im Zeitraum von 29. November 2019 bis 28. März 2022 für ihren am 29. November 2019 in der Slowakei geborenen Sohn S*.
Die Klägerin ist slowakische Staatsbürgerin und lebt mit S* und ihrem Gatten, dem Vater von S* und ebenfalls slowakischer Staatsbürger, in einem gemeinsamen Haushalt in Niederösterreich, wo sich der Lebensmittelpunkt der Familie befindet und auch alle hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2007 in Bratislava unselbständig beschäftigt und pendelt täglich mit dem Zug dorthin; in Österreich war sie nie erwerbstätig. Ihr Gatte ist seit 2006 in Österreich unselbständig beschäftigt und bezieht seit November 2019 Familienbeihilfe für S*.
[2] Von 18. November 2019 bis 12. Juli 2020 bezog die Klägerin in der Slowakei „materské“ (Mutterschaftsgeld) von 18,49 EUR täglich. Andere Leistungen beantragte sie in der Slowakei nicht, weil sie darauf keinen Anspruch hat.
[3] Am 5. Mai 2020 beantragte die Klägerin für S* pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante „851 Tage“ (offensichtlich:) ab Geburt des Kindes. Da die beklagte Österreichische Gesundheitskasse bezweifelte, dass die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt tatsächlich in Österreich hat, ersuchte sie die slowakischen Behörden um entsprechende Auskünfte. Diese teilten am 23. April 2020 mit Formular „E411“ mit, dass die Klägerin noch bis 12. Juli 2020 Mutterschaftsgeld in der Slowakei beziehe und für die Zahlung von Familienleistungen Österreich primär zuständig sei.
[4] Am 3. August 2020 traf die Beklagte daraufhin eine vorläufige Entscheidung über die anzuwendenden Prioritätsregeln nach Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009, in der sie festhielt, dass nach dem Ergebnis ihrer Prüfung Österreich für die Zahlung von Familienleistungen nachrangig zuständig sei. Die Beklagte übermittelte dem slowakischen Träger zwar die vorläufige Entscheidung, nicht jedoch den Antrag der Klägerin. Der slowakische Träger gab keine Stellungnahme iSd Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 ab.
[5] Mit Bescheid vom 14. September 2021 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin für den Zeitraum von 29. November 2019 bis 28. März 2022 ab.
[6] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 29. November 2019 bis 28. März 2022 zu Recht bestehe, sowie zusätzlich, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr für diesen Zeitraum Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Soweit hier noch von Interesse führte sie aus, dass die vorläufige Entscheidung über die Leistungszuständigkeit keine Wirkungen entfalte, weil die Beklagte sie aufgrund der eindeutigen Zuständigkeit Österreichs gar nicht treffen hätte dürfen. Zudem habe die Beklagte dem slowakischen Träger entgegen den Vorgaben des Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 ihren Antrag auf Kinderbetreuungsgeld nicht (mit-)übermittelt, sodass die vorläufige Entscheidung ungeachtet der unterlassenen Stellungnahme des slowakischen Trägers nicht anwendbar geworden sein könne.
[7] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass mangels einer Stellungnahme des slowakischen Trägers iSd Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 die vorrangige Zuständigkeit der Slowakei zur Erbringung von Familienleistungen bindend geklärt sei. Darauf aufbauend stehe der Klägerin zwar ein Unterschiedsbetrag nach Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 zu. Dessen Höhe könne derzeit aber nicht berechnet werden, weil die Klägerin in der Slowakei keine Anträge auf Familienleistungen gestellt habe und demgemäß auch noch keine Entscheidung des slowakischen Trägers vorliege, ob und in welcher Höhe der Klägerin in der Slowakei „Kinderbetreuungsgeld“ zustehe.
[8] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin für die Zeit von 13. Juli 2020 (Ende des Bezugs des slowakischen Mutterschaftsgeldes) bis 28. Februar 2022 (letzter voller Monat vor Schluss der Verhandlung erster Instanz) Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR täglich als Ausgleichszahlung zu zahlen und sprach aus, dass ein solcher Anspruch auch für den anschließenden Zeitraum von 1. März 2022 bis 28. März 2022 zu Recht bestehe. Die Mehrbegehren, also das auf Zahlung von Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum von 29. November 2019 bis 12. Juli 2020 sowie von 1. März 2022 bis 28. März 2022 gerichtete Leistungsbegehren sowie das den Zeitraum von 29. November 2019 bis 28. Februar 2022 erfassende Feststellungsbegehren, wies es rechtskräftig ab.
[9] Das in der Hauptsache nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, dass das Kinderbetreuungsgeld nicht bloß als Ausgleichszahlung zustehe. Soweit noch relevant führte es aus, dass die vorläufige Entscheidung der Beklagten über die Leistungszuständigkeit keine Wirkungen entfalte. Da dem slowakischen Träger entgegen Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 nur die vorläufige Entscheidung und nicht auch der Antrag auf Familienleistungen übermittelt worden sei, sei die Frist für eine Stellungnahme nämlich nicht in Gang gesetzt worden. Darauf aufbauend habe das Erstgericht die Leistung zwar zutreffend nicht bloß vorläufig (Art 68 Abs 3 lit a VO [EG] 883/2004) zuerkannt. Die Beklagte habe allerdings nicht bloß einen Unterschiedsbetrag zu leisten, weil Österreich mit Blick auf die Beschäftigung der Klägerin in der Slowakei und die Beschäftigung ihres Gatten in Österreichnach Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO (EG) 883/2004 vorrangig zuständig sei.
[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden habe, ob eine vorläufige Entscheidung iSd Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 mangels einer Stellungnahme des anderen Trägers auch dann bindend sei, wenn diesem der Antrag nicht weitergeleitet wurde.
[11] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie primär die Zurückverweisung der Sache an die Unterinstanzen anstrebt. Hilfsweise begehrt sie, das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass sie zwischen 13. Juli 2020 und 28. Februar 2022 pauschales Kinderbetreuungsgeld bloß in Form einer vorläufigen Ausgleichszahlung leisten müsse und festgestellt werde, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 1. März 2022 bis 28. März 2022 nur mit dieser Einschränkung bestehe.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zulässig, wobei aus ihrem Anlass eine den Vorinstanzen unterlaufene Nichtigkeit aufzugreifen ist. Im Übrigen ist die Revision auch berechtigt.
I. Zur Nichtigkeit:
[13] Aus Anlass der zulässigen Revision ist hinsichtlich des noch nicht rechtskräftig erledigten Teils des Feststellungsbegehrens (betreffend den Zeitraum von 1. März 2022 bis 28. März 2022) die von den Vorinstanzen bloß implizit verneinte Unzulässigkeit des Rechtswegs aufzugreifen.
[14] Gemäß § 65 Abs 2 ASGG fallen unter die Sozialrechtssachen auch Klagen auf Feststellung. Mangels einer Beschränkung gilt das zwar für alle in § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen (RS0114923). Allerdings unterliegen auch Feststellungsklagen nach § 65 Abs 2 ASGG dem Prinzip der sukzessiven Kompetenz und setzen daher jedenfalls einen Bescheid voraus, der über das gestellte Feststellungsbegehren abgesprochen hat (RS0085875 [T2]; 10 ObS 21/10a SSV‑NF 24/19 ua). Darauf aufbauend entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die Sozialgerichte nur dann über ein Feststellungsbegehren entscheiden können, wenn im Verfahren vor dem Versicherungsträger eine entsprechende Feststellungsentscheidung in Leistungssachen vorgesehen ist (RS0085830).
[15] Im Anlassfall hat die Klägerin weder im Verwaltungsverfahren eine feststellende Entscheidung begehrt noch ordnet das KBGG eine solche an. Eine bescheidmäßige Erledigung ist – soweit hier relevant – nach § 27 Abs 3 KBGG überhaupt nur dann vorgesehen, wenn ein Anspruch auf eine Leistung gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird (Z 1). Abgesehen davon, dass aufgrund dieser „anderen Anordnung“ der Verweis auf die Bestimmungen des siebenten Teils des ASVG (§ 25a KBGG) nicht schlagend wird, lässt sich auch aus diesen keine Möglichkeit einer feststellenden Entscheidung ableiten. Vor diesem Hintergrund besteht kein Raum für die Annahme, im Verwaltungsverfahren wäre ein Feststellungsbescheid möglich oder geboten gewesen, sodass auch das Gericht nicht befugt ist, über das Feststellungsbegehren der Klägerin zu entscheiden. Anzumerken ist nur, dass mit einem Zahlungsbegehren ohnedies der Zuspruch künftiger Leistungen erreicht werden kann (§ 89 Abs 1 iVm § 65 Abs 1 Z 8 ASGG), womit der strittige Anspruch auch dem Grunde nach vollständig erledigt wird.
[16] Die Urteile der Vorinstanzen und die davon betroffenen Verfahrensteile sind daher im Umfang der Feststellung, dass der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 1. März 2022 bis 28. März 2022 zu Recht besteht, amtswegig wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs als nichtig aufzuheben (RS0042080). Die Klage ist insoweit nach § 73 ASGG zurückzuweisen.
[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG und § 51 Abs 2 ZPO.
II. Zur Revision
[18] 1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass die Klägerin Grenzgängerin iSd Art 1 lit f VO (EG) 883/2004 und der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist. Unstrittig ist ferner, dass Kinderbetreuungsgeld eine zu koordinierende Familienleistung iSd Art 1 lit z und Art 3 Abs 1 lit j VO (EG) 883/2004 sowie der DVO (EG) 987/2009 ist (RS0122905 [insb T3]; 10 ObS 117/22m ua). Die Beklagte bestreitet auch nicht (mehr), dass sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 KBGG erfüllt sind und die erforderlichen Mutter‑Kind‑Pass Untersuchungen vorgenommen wurden.
[19] 2. Darauf aufbauend hält die Beklagte in der Revision an ihrem bisher vertretenen Standpunkt fest, dass die vorläufige Entscheidung über die Leistungszuständigkeit anwendbar geworden sei und damit die vorrangige Zuständigkeit der Slowakei bindend feststehe. Dass sie dem slowakischen Träger den Antrag der Klägerin versehentlich nicht übermittelt habe, sei ein bloßer Formfehler; um die Folgen einer unterlassenen Stellungnahme zu verhindern, hätte der slowakische Träger sie darauf mit einem Verbesserungsauftrag hinweisen müssen. Sie sei daher (nach Art 68 Abs 2 VO [EG] 883/2004 bzw § 6 Abs 3 KBGG) nur insoweit zur Erbringung von Leistungen verpflichtet, als das österreichische Kinderbetreuungsgeld das „slowakische Kinderbetreuungsgeld“ übersteige; die Klägerin erfülle auch alleVoraussetzungen für den Bezug der „slowakischen Familienleistung“. Dazu hätten die Vorinstanzen aber keine Feststellungen getroffen.
[20] 3. Die vom Berufungsgericht und der Beklagten als entscheidend erachtete, auf dem Ergebnis der Auslegung des Unionsrechts (Art 60 Abs 3 DVO [EG] 987/2009) aufbauenden Frage, ob Österreich iSd VO (EG) 883/2004 vor- oder nachrangig zuständig ist, stellt sich derzeit nicht.
[21] 3.1. Die Antikumulierungsbestimmungen der VO (EG) 883/2004 sind nämlich nur bei einem Zusammentreffen von vergleichbaren (gleichartigen) Leistungen aus zwei Staaten anzuwenden (RS0122907 [T3]; 10 ObS 136/19a SSV‑NF 34/22; EuGH C-347/12 , Wiering [Rn 53 f] zur VO 1408/71 ). Entsprechend diesen unionsrechtlichen Vorgaben gilt auch für eine Anrechnung nach der innerstaatlichen Antikumulierungsregel des § 6 Abs 3 KBGG das Erfordernis des Vorliegens von Leistungen gleicher Art (Art 10 VO [EG] 883/2004; RS0125752 [T3]; 10 ObS 147/21x SSV-NF 35/73 ua). In diesem Sinn vergleichbar sind Leistungen dann, wenn sie einander in Funktion und Struktur (Zweck, Berechnungsgrundlage, Voraussetzungen für ihre Gewährung) im Wesentlichen entsprechen (RS0122907; 10 ObS 55/23w mwN; EuGH C‑347/12 , Wiering [Rn 54 f] ua).
[22] 3.2. Liegen vergleichbare Familienleistungen nicht vor und ist der Anspruch – wie hier unstrittig – nach nationalem österreichischen Recht zu bejahen, würde das Fehlen der Leistungszuständigkeit Österreichs nach den Koordinierungsregeln nicht dazu führen, dass eine Leistungsgewährung nach dem innerstaatlichen Recht ausgeschlossen wird (EuGH C-352/06 , Bosmann [Rn 28 und 31; zur VO 1408/71 ]). In dieser Konstellation stünde der Leistung nur eine nationale Antikumulierungsregel entgegen (vgl EuGH C‑611/10 , C‑612/10 , Hudzinski und Wawrzyniak [Rn 70; zur VO 1408/71 ]). Auch nach § 6 Abs 3 KBGG kommt es aber nur bei einem Zusammentreffen vergleichbarer Leistungen zum Ruhen des Anspruchs (zu einer Anrechnung); der Frage der vor- oder nachrangigen Zuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 kommt auch nur in diesem Fall Bedeutung zu. Mit der Frage, ob sämtliche Familienleistungen des prioritär zuständigen Mitgliedstaats jenen des nachrangig zuständigen Mitgliedstaats gegenüberzustellen sind oder ob nur jene Familienleistungen zu berücksichtigen sind, die gleichartig sind, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 146/16t (SSV‑NF 31/2) ausführlich auseinandergesetzt. Die in den Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 2016/53 enthaltene Ansicht, die Verordnung (EG) 883/2004 sehe im Gegensatz zur Vorgängerverordnung (EWG) 1408/71 keine Sonderkoordinierungsregeln für bestimmte Familienleistungen mehr vor, sondern habe zu einer Vereinheitlichung der Koordinierungsregeln für alle Familienleistungen geführt, weshalb alle ausländischen Familienleistungen (unabhängig von der Leistungsart, ihres nationalen Zwecks etc) auf das österreichische Kinderbetreuungsgeld anzurechnen seien (ErläutRV 1110 BlgNR 20. GP 8), wurde abgelehnt. Auch nach § 6 Abs 3 KBGG ist daher auf die Vergleichbarkeit der Leistungen abzustellen (vgl RS0125752; Sonntag, Unions‑, verfassungs‑ und verfahrensrechtliche Probleme der KGBB‑Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 [2 f]; Burger/Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz³ [2017] § 6 KBGG Rz 20, 22; Schober in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG6 [2023] § 6 KBGG Rz 9; aA Weißenböck in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz² [2022] Anm 3.3).
[23] 3.3. Die Frage, ob es zu einer Koordinierung kommt und die Beklagte bloß einen Unterschiedsbetrag iSd § 6 Abs 3 KBGG leisten muss, hängt daher davon ab, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine vergleichbare slowakische Leistung hat.
[24] 4. Ob und welche mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistungen die Slowakei gewährt, lässt sich mangels Erhebungen zur slowakischen Rechtslage derzeit aber nicht beantworten. Die Vorinstanzen haben diese Frage mit den Parteien auch nicht erörtert und vor allem die Beklagte nicht aufgefordert, die ihrer Ansicht nach vergleichbare slowakische Leistung, für die die Klägerin angeblich alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, konkret zu bezeichnen. Es lässt sich somit noch nicht beantworten, ob die Antikumulierungsregeln des § 6 Abs 3 KBGG überhaupt zur Anwendung gelangen. Das stellt einen Verfahrensmangel besonderer Art dar, der die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur amtswegigen Ermittlung des ausländischen Rechts bedingt (RS0116580; RS0040045).
[25] 5. Im fortgesetzten Verfahren wird daher mit den Parteien zu erörtern und anschließend durch Ermittlung des ausländischen Rechts zu klären sein, ob die Slowakei Familienleistungen gewährt, die mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar sind. Auf das slowakische Mutterschaftsgeld („materské“) wird dabei nicht (mehr) einzugehen sein, weil dieses bereits zur Gänze angerechnet bzw das Klagebegehren für den Bezugszeitraum dieser Leistung rechtskräftig abgewiesen wurde. Mit Blick auf die neueste Rechtsprechung, kann aus derzeitiger Sicht auch eine Auseinandersetzung mit dem slowakischen Elterngeld („rodičovský príspevok“) unterbleiben (10 ObS 101/22h).
[26] Sofern sich ergeben sollte, dass die Slowakei keine dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbaren Leistungen gewährt, wird dem verbleibenden Leistungsbegehren unabhängig davon stattzugeben sein, ob Österreich nach der VO (EG) 883/2004 (vor- oder nachrangig) zuständig ist. Mit den (Aus-)Wirkungen der von der Beklagten gefällten vorläufigen Entscheidung nach Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 werden sich die Vorinstanzen hingegen erst zu befassen haben, wenn feststeht, dass vergleichbare Familienleistungen zusammentreffen.
[27] Abschließend ist nur noch anzumerken, dass die Beklagte selbst nach ihrem eigenen Standpunkt das begehrte Kinderbetreuungsgeld nach Ablauf der zweimonatigen Frist des Art 60 Abs 3 DVO (EG) 987/2009 zumindest als vorläufige Leistung auszahlen hätte müssen (10 ObS 42/19b [ErwGr 9.2.] SSV‑NF 33/29).
[28] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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