European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00108.23T.0927.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.316,40 EUR (darin enthalten 219,40 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist Zahnärztin und Zahntechnikermeisterin und betreibt eine Zahnarztpraxis. Sie schloss mit der Beklagten einen Bündelversicherungsvertrag ab, der auch das Risiko eines Einbruchsdiebstahls umfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Einbruchdiebstahlversicherung, Fassung 2009 (AEB 2009), und die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung, Fassung 2009 (EABS 2009), zugrunde.
[2] Die AEB 2009 lauten auszugsweise:
„ Abschnitt A Begriffsbestimmungen
[…]
Was ist der Versicherungswert?
Der Versicherungswert ist der am Schadentag geltende Neuwert der versicherten Sache.
Was ist der Neuwert?
Der Neuwert einer Sache sind die Kosten für die Wiederherstellung bzw. Wiederbeschaffung einer Sache gleicher Art und Güte.
[…]
Abschnitt B Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes
Allgemeiner Teil
Auf die Versicherung finden die Bestimmungen der
1. Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) und
2. Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (EABS)
Anwendung.
Besonderer Teil
[…]
Artikel 3 Was ist versichert
3.1. Die Versicherung umfasst die laut Polizze versicherten Sachen.
3.2. Soweit nichts anderes vereinbart ist, sind nur die dem Versicherungsnehmer gehörigen Sachen versichert. Versichert sind auch vom Versicherungsnehmer gekaufte Sachen, die ihm unter Eigentumsvorbehalt übergeben sind, und die dem Versicherungsnehmer verpfändeten Sachen.
[…]“
[3] Die EABS 2009 lauten auszugsweise:
„ Artikel 5 Ersatzleistung
5.1. Der Ermittlung der Ersatzleistung wird unbeschadet der Bestimmungen des Art. 8 der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) der Versicherungswert zur Zeit des Eintrittes des Schadenfalles (Ersatzwert) zugrundegelegt, […]
5.2. Als Ersatzwert gelten:
a) Bei Gebäuden der ortsübliche Neubauwert, bei Gebrauchsgegenständen, Arbeitsgeräten, Maschinen und sonstigen Einrichtungen die Wiederbeschaffungskosten (Neuwert), jeweils zur Zeit des Eintrittes des Schadenfalles. […]
[…]
Besondere Vertragsbeilage Nr. 506802
Deckungspaket Exklusiv für die Einbruchdiebstahlversicherung
In Erweiterung der Allgemeinen Bedingungen für die Einbruchdiebstahlversicherung (AEB) gilt:
[…]
12. Fremdes Gut
Fremdes Gut ist dann mitversichert, wenn es dem Versicherungsnehmer zur Bearbeitung, Benutzung, Verwahrung oder zu einem sonstigen Zweck in Obhut gegeben wurde und der Versicherungsnehmer mit dem Eigentümer nachweislich keine andere Vereinbarung getroffen hat, […]“
[4] Am 14./15. September 2018 kam es in der Ordination der Klägerin zu einem Einbruchsdiebstahl, bei demein medizintechnisches Gerät gestohlen wurde.
[5] Die W* Leasing GmbH war Leasinggeberin und die Klägerin war die Leasingnehmerin dieses Geräts. Die vereinbarte Laufzeit des Leasingvertrags war von 1. Dezember 2015 bis 30. November 2020. Die monatliche Leasingrate betrugnetto 1.149,59 EUR zuzüglich 20 % Umsatzsteuer in Höhe von 229,92 EUR. Nach dem Leasingvertrag wäre die Klägerin mit Zahlung des Restwerts, der einer monatlichen Leasingrate entsprach, Eigentümerin des Geräts geworden.
[6] Dem Leasingvertrag zwischen der Klägerin und der Leasinggeberin lagen die AllgemeinenVertragsbedingungen für Mobilien‑Leasing (AVBMOB) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
„ 1. Vertragsgrundlagen und Definitionen
1.1. Die Leasinggeberin (LG) kooperiert mit der E* GmbH, [...] Die Kooperationspartnerin (Kopar) ist Eigentümerin des Leasingobjekts (LO).
[...]
11. Versicherung
Auf Wunsch der LG hat der LN den Bestand einer die üblichen Risken abdeckenden Versicherung für das LO und deren Vinkulierung zugunsten der Kopar nachzuweisen.
12. Gefahren, Risiko
12.1. Der LN trägt die Gefahr für Untergang, Totalschaden, Diebstahl sowie Verfall, Beschlagnahme und Einziehung des LO durch Behörden.
12.2. Untergang durch höhere Gewalt, zufälliger Untergang und Totalschaden beenden den LV mit Eintritt des Ereignisses, ohne dass es einer Auflösungserklärung bedarf. […]“
[7] Sowohl die Leasinggeberin als auch die Eigentümerin, nicht aber die Klägerin waren vorsteuerabzugsberechtigt.
[8] Die Klägerin kaufte am 17. September 2018 das baugleiche Gerät wie das beim Diebstahl weggenommene Gerät um den marktkonformen Preis von netto 77.000 EUR zuzüglich 15.400 EUR Umsatzsteuer.
[9] Die Beklagte leistete aus dem Versicherungsvertrag eine Zahlung von 30.988,59 EUR an die Leasinggeberin und von 41.761,69 EUR an die Klägerin, insgesamt somit 72.750,28 EUR.
[10] Der Versicherungsvertrag zwischen den Streitteilen war nicht zu Gunsten der Leasinggeberin oder der Eigentümerin des Geräts vinkuliert.
[11] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 19.649,72 EUR sA. Die Beklagte schulde ihr den Ersatz der Wiederbeschaffungskosten, somit 92.400 EUR, welche sie für das Ersatzgerät bezahlt habe. Nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags seien auch fremde Sachen versichert, sodass ohne Vorliegen einer Vinkulierung das Sacherhaltungsinteresse der Klägerin versichert sei.
[12] Die Beklagte beantragt Klageabweisung und wendet – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, es komme beim Ersatz der Umsatzsteuer auf die Verhältnisse der Leasinggeberin an. Weil die Leasinggeberin vorsteuerabzugsberechtigt sei, schulde die Beklagte nur den Nettokaufpreis.
[13] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 13.452 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 6.197,72 EUR sA ab. Da das Interesse der Klägerin an der Nutzung des Geräts zu berücksichtigen sei, könne nicht allein auf die Verhältnisse bei der Leasinggeberin abgestellt werden. Die Wiederbeschaffungskosten hätten netto 77.000 EUR betragen. Mit der Leasinggeberin seien 30.988,59 EUR abgerechnet worden, sodass der Klägerin die Differenz von 46.011,41 EUR zuzüglich Umsatzsteuer, sohin 55.213,69 EUR zustehen würden. Die Beklagte habe bereits 41.761,69 EUR an die Klägerin gezahlt, sodass die Beklagte zu einer weiteren Zahlung von 13.452 EUR verpflichtet sei.
[14] Das Berufungsgericht gab nur der Berufung der Beklagten Folge. Es gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.249,72 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 15.400 EUR sA ab. Das Sacherhaltungsinteresse der Leasinggeberin sei durch Zahlung des Nettowiederbeschaffungswerts befriedigt worden; ebenso das mitversicherte Sachersatzinteresse der Klägerin. Bei der Einbruchsdiebstahlsversicherung handle es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung. § 80 VersVG gehe grundsätzlich vom Eigentümerinteresse aus. Von einem fehlenden Interesse der Eigentümerin des medizinischen Geräts an der Versicherung sei nicht auszugehen. Nach den Leasingbedingungen sei nämlich die Klägerin zum Abschluss des Versicherungsvertrags und zur Vinkulierung der Versicherung zugunsten der Eigentümerin des Geräts verpflichtet gewesen; dass die Klägerin den Versicherungsvertrag tatsächlich nicht zugunsten der Eigentümerin vinkuliert habe, schade nicht. Das Sacherhaltungsinteresse der Eigentümerin des gestohlenen Geräts sei daher von der Versicherung umfasst. Da sowohl die Leasinggeberin als auch die Eigentümerin vorsteuerabzugsberechtigt seien, sei das Sacherhaltungsinteresse durch die Verpflichtung zur Zahlung des Nettowiederbeschaffungswerts befriedigt worden. Ein Ersatz der Umsatzsteuer komme nicht in Betracht, weil der Klägerin kein versicherter Schaden in dieser Höhe entstanden sei.
[15] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, diese im Sinn einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[16] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[17] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[18] 1. Die Frage der Vinkulierung der Versicherung ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht relevant, weil sie als Charakteristikum und unumgänglichen Mindestinhalt (lediglich) eine Zahlungssperre zugunsten des Vinkulargläubigers mit der Wirkung aufweist, dass Leistungen des Versicherers an den Versicherungsnehmer nur mit Zustimmung des Vinkulargläubigers möglich sind. Ein Rechtsübergang auf den Vinkulargläubiger tritt durch die Vinkulierung somit nicht ein. Zweck der Vinkulierung einer Versicherung ist eine Sicherstellung für die Forderung desjenigen, zu dessen Gunsten die Vinkulierung erfolgt (7 Ob 44/13s mwN; vgl auch RS0086331; RS0080844). Die Frage, an wen die Versicherung Zahlung zu leisten hat, ist im vorliegenden Fall gar nicht strittig.
[19] Strittig ist vielmehr, wessen Interesse woran versichert ist. Diese Frage ist aber unabhängig von einer Vinkulierung zu beantworten (Reisinger,ZVR 2013, 61 [63]; vgl auch 7 Ob 39/94).
[20] 2. Unstrittig ist, dass die Leasinggeberin als Unternehmerin vorsteuerabzugsberechtigt ist, nicht jedoch die Klägerin als Leasingnehmerin. Ebenso unstrittig bleibt, dass die Ansprüche der Leasinggeberin bereits mit dem Ersatz des Nettowiederbeschaffungswerts durch die Beklagte befriedigt wurden. Zu klären ist noch, ob auch ein Anspruch der nicht vorsteuerabzugsberechtigten Leasingnehmerin auf Ersatz der von ihr aufgewendeten Umsatzsteuer für die eigene Wiederbeschaffung nach dem Diebstahl ein vom Versicherungsvertrag umfasstes Risiko ist.
[21] 3.1. Eine vom Leasingnehmer genommene Sachversicherung deckt das Sacherhaltungsinteresse des Leasinggebers ab (7 Ob 132/12f), und zwar auch dann, wenn im Vertrag vom Leasinggeber keine Rede ist (7 Ob 39/94 mwN; Armbrüster in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 § 11 Rn 60).
[22] Daneben ist das Sachersatzinteresse des Leasingnehmers gedeckt (Klimke in Prölss/Martin 31 § 43 VVG Rn 45). Dieses besteht darin, dass er nicht wegen Beschädigung, Verlust oder Zerstörung der Sache, für die er nach dem Leasingvertrag die Gefahr trägt, einen Haftungsschaden erleidet, indem er mit einer Schadenersatzverpflichtung belastet wird (7 Ob 132/12f mwN).
[23] 3.2. Die Versicherung des Sacherhaltungsinteresses des Leasinggebers hat zur Folge, dass sich die Berechnung der Entschädigung im Regelfall nach den Verhältnissen des Leasinggebers richtet. Bei einem Totalschaden oder Verlust ist deshalb auf die Verhältnisse des Leasinggebers abzustellen, weil der Leasingvertrag damit üblicherweise beendet wird und damit das Interesse des Versicherungsnehmers an der Leasingsache erlischt (7 Ob 132/12f zur Kfz‑Kaskoversicherung [zustimmend Reisinger,ZVR 2013, 61 {63}]). Dann ist nur noch das Eigentümerinteresse des Leasinggebers betroffen (Klimke in Prölss/Martin 31 § 43 VVG Rn 45a; Armbrüster in Prölss/Martin 31 Vor §§ 74–99 VVG Rn 104; Rixecker in Langheid/Rixecker 7 § 43 VVG Rn 12; Muschner in Rüffer/Halbach/Schimikowski 4 § 43 VVG Rn 8; krit Klimke in Prölss/Martin 31 AKB 2015 Abs. A_2_5_8 Rn 53). Der Grund hierfür liegt in der Natur der Sachversicherung, ein Sachschaden entsteht nämlich nur beim Eigentümer (Muschner in Rüffer/Halbach/Schimikowski 4 § 43 VVG Rn 8; Langheid in MünchKommVVG³ § 46 VVG Rn 17).
[24] 3.3. Wird aber das Sacherhaltungsinteresse des Leasinggebers bzw Eigentümers befriedigt, ist damit grundsätzlich auch das auf die Vermeidung von Schadenersatzansprüchen gerichtete, mitversicherte Sachersatzinteresse des Leasingnehmers abgedeckt (vgl 7 Ob 132/12f, sowie Kraus in Riedler, Versicherungsrecht – Versicherungspraxis C.I.a.iii.). Das Sachersatzinteresse des Leasingnehmers ist nämlich nur ein vom Eigentümerinteresse abgeleitetes Interesse, das auf den Schutz vor Ansprüchen des Eigentümers durch dessen Befriedigung gerichtet ist (vgl Klimke in Prölss/Martin 31 § 43 VVG Rn 45a). Ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer für die Anschaffung einer neuen und nicht versicherten Sache durch den (früheren) Leasingnehmer ergibt sich aus der Versicherung seines Sachersatzinteresses am Leasinggegenstand aber nicht.
[25] 3.4. Die Ausführungen der Revisionswerberin zur Wiederherstellungsklausel vermögen ebenfalls nicht zu überzeugen, weil der bedingungsgemäße Ersatz des Neuwerts der Sache anstelle des Zeitwerts keine Auswirkungen darauf hat, wessen Interesse versichert ist.
[26] 4. Das Berufungsgericht hat daher das auf Zahlung der Umsatzsteuer gerichtete weitere Klagebegehren zutreffend abgewiesen.
[27] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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