OGH 1Ob143/23w

OGH1Ob143/23w20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der L*, geboren am *, vertreten durch die Prutsch‑Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 26. Juni 2023, GZ 2 R 110/23w‑71, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00143.23W.0920.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Betroffenen unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Die Revisionsrekurswerberin wurde nach dem UbG in ein Krankenhaus eingewiesen, weil sie sich zu Hause nicht mehr selbst versorgen könne. Dort wurde ein „Delir mit wahnhafter Symptomatik“ diagnostiziert. Nach dem Clearingbericht des Erwachsenenschutzvereins ist sie nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Der vom Erstgericht beauftragte Sachverständige attestierte ihr ein demenzielles Krankheitsbild mit Verhaltensauffälligkeiten, Defiziten im Bereich der Orientierungs- und Gedächtnisleistung sowie einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistung und des Kurzzeitgedächtnisses. Aufgrund dieses Störungsbildes zeige sich eine „wahnhafte Stimmung“, die sich etwa in der Überzeugung äußere, man wolle ihr „etwas Böses antun“, sie „neuerlich verhaften“. Auf dieser Grundlage wurde für die Betroffene ein einstweiliger Erwachsenenvertreter zur Besorgung von Vermögensangelegenheiten sowie zum Abschluss von Verträgen im Zusammenhang mit einer bestimmten Liegenschaft bestellt.

[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 29. 3. 2023 wurde der vom einstweiligen Erwachsenenvertreter zu besorgende Aufgabenbereich um die Einkommensverwaltung sowie die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden erweitert.

[3] Das Rekursgericht wies den dagegen von der Betroffenen erhobenen und durch einen frei gewählten Rechtsanwalt eingebrachten Rekurs zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG für nicht zulässig.

[4] Voraussetzung für eine wirksame Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwalts wäre gewesen, dass die Betroffene bei Vollmachtserteilung fähig war, deren Zweck zu erkennen. Dies sei nach den Verfahrensergebnissen nicht anzunehmen. Dem im Rekursverfahren einschreitenden Rechtsanwalt fehle es daher an einer wirksam erteilten Vollmacht.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der anwaltlich vertretenen Betroffenen ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt, weil dieses die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur wirksamen Vollmachtserteilung durch einen Betroffenen falsch angewendet hat:

[6] 1. Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist jeder im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene Beschluss des Rekursgerichts bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage anfechtbar, also auch wenn mit diesem – wie hier – das Rechtsmittel zurückgewiesen wurde (RS0120565 [insb T7, T12]).

[7] 2. Die schutzberechtigte Person kann sich bei Erhebung ihres Rekurses von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern (nach der Aktenlage) nicht offenkundig ist, dass ihr bei Vollmachtserteilung die Vernunft völlig gefehlt hätte und sie nicht fähig gewesen wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539 [insb T11]). Nur bei offenkundig gänzlich fehlender Fähigkeit zu einer solchen Einsicht wäre die Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters unwirksam (1 Ob 233/22d mwN).

[8] 3. Der Senat legte bereits in seiner im vorliegenden Erwachsenenschutzverfahren zu 1 Ob 105/23g ergangenen Entscheidung dar, dass davon bei der Betroffenen nicht ausgegangen werden könne. Dass der in erster Instanz beigezogene psychiatrische Sachverständige ihre allgemeine Vollmachtsfähigkeit verneinte, ändert nichts daran, dass insgesamt keine Anzeichen dafür vorliegen, dass sie des Gebrauchs der Vernunft gänzlich beraubt und daher offensichtlich nicht in der Lage wäre, den Zweck und das Wesen einer erteilten Verfahrensvollmacht zumindest in Grundzügen zu erfassen.

[9] 4. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht eine Entscheidung über das Rechtsmittel der Betroffenen unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

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