OGH 12Os79/23v

OGH12Os79/23v7.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Besic in der Strafsache gegen * A* und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * A* sowie über die Berufung der Privatbeteiligten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 13. April 2023, GZ 148 Hv 2/23h‑94.5, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00079.23V.0907.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Privatbeteiligten werden zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * A* kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.

Diesem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * Ah*eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigen Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./) und * A* eines solchen nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie am 25. Oktober 2022 in W* * K*, die aufgrund einer psychischen Erkrankung kognitiv beeinträchtigt ist, und, wenngleich sie die Bedeutung des Vorgangs einsah, aufgrund ihres Zustands unfähig war, nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands durch Vornahme des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung missbraucht (I./) und zu missbrauchen versucht (II./), und zwar

I./ * Ah*, indem er mit ihr in eine WC‑Kabine einer öffentlichen Toilette ging, ihr dort die Hose samt Unterhose auf Höhe des Oberschenkels zog und dann mit seinem erigierten Penis an ihren Anus und danach auch an ihre Vulva jeweils ansetzte und zumindest einzudringen versuchte;

II./ * A*, indem er gegen die Toilettentür, hinter der der Mitangeklagte * Ah* „mit dem Opfer zugange war“ klopfte, und rief: „Komm raus, jetzt bin ich dran“, wobei er bereit war, unverzüglich mit dem Opfer den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, jedoch auf Grund seiner Betretung die Flucht ergriff.

[3] Überdies wurden beide Angeklagte zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, der Privatbeteiligten * K* 500 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen. Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wurde die Genannte gemäß § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den Schuldspruch II./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * A*.

[5] Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, das Erstgericht habe „für die Rechtfertigung des Schuldspruchs nur unzureichende Gründe angegeben“. Unter Hinweis auf Aussagepassagen der Zeugen * K*, * M* und * H* sowie der vom Gericht als unglaubwürdig gewerteten Verantwortung des Beschwerdeführers (vgl US 10 f) setzt sie jedoch den Konstatierungen der Tatrichter zur subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers (US 6) bloß eigenständige Beweiswerterwägungen entgegen. Solcherart argumentiert sie  nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[6] Die Rechtsrüge (der Sache nach Z 9 lit b, nominell Z 10) legt nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565), weshalb auf der Basis des Urteilssachverhalts, wonach der Beschwerdeführer die Ausführung der Tat aufgab, weil er sich durch Zeugen gestört fühlte und annahm, dass eine seinem ursprünglichen Tatplan entsprechende Tatvollendung durch die äußeren Umstände nicht mehr möglich war (US 7), kein fehlgeschlagener Versuch (zum Begriff Bauer/Plöchl in WK² StGB §§ 15, 16 Rz 158) anzunehmen sein sollte, der strafbefreienden Rücktritt (§ 16 Abs 1 StGB) von Vornherein ausschließt (dazu RIS‑Justiz RS0090229).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

 

Zur Berufung der Privatbeteiligten:

[8] Gemäß §§ 294 Abs 1 iVm 284 Abs 1 StPO ist das Rechtsmittel der Berufung vom Privatbeteiligten (§ 283 Abs 1 und 4 StPO) binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils beim Landesgericht anzumelden.

[9] Die Rechtsmittelanmeldung der Privatbeteiligten beim Landesgericht für Strafsachen Wien erfolgte jedoch erst am 18. April 2023, somit nach Ablauf der dreitägigen Frist. Solcherart erweist sie sich als verspätet. Die Berufung war daher gemäß §§ 296 Abs 2 iVm 294 Abs 4 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung vom Obersten Gerichtshof sofort zurückzuweisen.

 

[10] Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * A* kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

 

[11] Die Wertung der „völlig mangelnde(n) Reue und absolute(n) Uneinsichtigkeit“ des Beschwerdeführers als eine für die Nichtgewährung bedingter Strafnachsicht mitentscheidende Tatsache (US 18) stellt eine im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 StPO unrichtige Gesetzesanwendung dar (RIS‑Justiz RS0090897 [T11]). Diesem von der Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

Hinzuzufügen bleibt:

[12] Nach den Urteilsfeststellungen wartete der Beschwerdeführer während der zu I./ dargestellten Tathandlungen des * Ah* in der Toilettenanlage vor der Kabinentür und passte auf, dass niemand kommen und das Geschehen in der Toilettenkabine bemerken würde (US 6). Dabei hielt er es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass er den Genannten „durch das Wache halten und Umschauen nach störenden Passanten oder Zeugen bei der Tatbegehung unterstützt“ (US 7 f).

[13] Den Umstand, dass der Beschwerdeführer „auch zur – vollendeten – Tatbegehung durch den Zweitangeklagten beitrug“ berücksichtigte das Erstgericht im Rahmen der Strafbemessung (US 18). Es nahm insoweit jedoch das Vorliegen mehrfacher Beteiligung an „derselben strafbaren Handlung“ an, weshalb die Beitragstäterschaft in der (zumindest versuchten) unmittelbaren Täterschaft aufgehe (US 17).

[14] Dabei verkennt es, dass der Beitrag zum Missbrauch der * K* durch * Ah* und der nachfolgende Missbrauch durch ihn selbst unterschiedliche strafbare Handlungen begründen.

[15] Der Beschwerdeführer wäre daher auf Basis der Urteilsfeststellungen – von der Staatsanwaltschaft ungerügt geblieben – je eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 12 dritter Fall, 205 Abs 1 StGB und nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB schuldig zu erkennen gewesen.

 

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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