OGH 14Os53/23k

OGH14Os53/23k6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer und Hon.‑Prof. Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * F* wegen Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 115 Hv 115/17z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO betreffend den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Jänner 2023, AZ 23 Bs 218/22k, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00053.23K.0906.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2017 wurde * F* – soweit hier wesentlich – der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB sowie nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen (ON 48). Seiner (auch) gegen die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB gerichteten Berufung gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 12. April 2018, AZ 18 Bs 41/18p, keine Folge (ON 61).

[2] Aus der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme wurde F* mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 10. Jänner 2022, AZ 19 BE 105/20t, am 28. Februar 2022 bedingt entlassen.

[3] Am 13. Juni 2022 beantragte F* (soweit gegenständlich relevant) die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, weil sich aus dem zu AZ 19 BE 105/20t des Landesgerichts Krems an der Donau eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten erhebliche Bedenken gegen die Ergebnisse des der Einweisung zugrunde gelegten Gutachtens ergeben würden und davon auszugehen sei, dass eine die Anstaltsunterbringung rechtfertigende Gefährlichkeit (auch) im Urteilszeitpunkt nicht vorgelegen sei.

[4] Mit Beschluss vom 4. Juli 2022, GZ 115 Hv 115/17z‑135, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab. Seiner dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 19. Jänner 2023, AZ 23 Bs 218/22k, keine Folge. Das Beschwerdegericht argumentierte (ebenso wie bereits das Erstgericht) im Wesentlichen damit, dass neue Tatsachen oder Beweise, die sich bloß auf die Anordnung der Maßnahme (hier: die Gefährlichkeitsprognose), nicht aber auf die Begehung der Anlasstat(en) selbst beziehen, einer Wiederaufnahme nicht zugänglich seien.

Rechtliche Beurteilung

[5] Unter Behauptung einer Verletzung der Art 5 und Art 6 MRK beantragte der Verurteilte am 3. Mai 2023 die Erneuerung des Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 363a StPO. Dieser Antrag verfehlt sein Ziel.

[6] Auf das eine Verletzung des Art 6 MRK behauptende Vorbringen ist nicht einzugehen, weil der EGMR und der Oberste Gerichtshof die Anwendbarkeit des Art 6 MRK auf Verfahren über die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens grundsätzlich verneinen. Denn in einem solchen Verfahren wird (anders als in einem wiederaufgenommenen) nicht über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden (RIS‑Justiz RS0120762, RS0105689; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 16). Vom Antragsteller ins Treffen geführte Ausnahmen macht der EGMR nur für außerordentliche Rechtsbehelfe, die entweder der innerstaatlichen Umsetzung eines Urteils des EGMR (in welchem eine Konventionsverletzung festgestellt wurde) dienen (11. 7. 2017, Nr 19867/12, Moreira Ferreira/Portugal [Nr 2]) oder die – ungeachtet ihrer innerstaatlichen Einordnung als außerordentlich (also gegen rechtskräftige Entscheidungen gerichtet) – ihrer Natur und Reichweite nach gewöhnlichen Rechtsmitteln vergleichbar sind, dem über sie erkennenden Gericht also einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren entsprechende Kognitionsbefugnis verleihen (5. 2. 2015, Nr 22251/08, Bochan/Ukraine [Nr 2]; RIS‑Justiz RS0131773; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 27; vgl im Übrigen zuletzt 14 Os 90/22z).

[7] Dies ist hier nicht der Fall, weil das Verfahren über einen Antrag auf Wiederaufnahme dem über diesen erkennenden Gericht – ungeachtet der Möglichkeit zu sofortigem Freispruch (§ 360 Abs 1 StPO) – keineswegs (volle) Kognitionsbefugnis über die Stichhaltigkeit der Anklage verleiht.

[8] Unter Verweis auf Art 5 Abs 4 MRK behauptet der Erneuerungswerber, dass ein im Maßnahmenvollzug Untergebrachter, dem Beweismittel vorliegen, wonach die Voraussetzungen für die Einweisung in den Maßnahmenvollzug nie vorgelegen seien, die Möglichkeit haben müsse, die Unrechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung geltend zu machen und feststellen zu lassen. Vorliegend habe das Beschwerdegericht diesen Ausspruch der Sache nach jedoch verwehrt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs schließt jedoch § 1 Abs 2 GRBG die Geltendmachung einer – damit angesprochenen – Verletzung des Rechts auf Freiheit (Art 5 MRK) im Zusammenhang mit der Verhängung und dem Vollzug von Freiheitsstrafen oder vorbeugenden Maßnahmen nicht nur durch Grundrechtsbeschwerde, sondern auch durch – gegenüber dieser subsidiären – Antrag auf Erneuerung des Verfahrens aus (RIS‑Justiz RS0123350 [insbesondere T1 und T2]).

[9] Dieser war daher bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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