OGH 10ObS99/23s

OGH10ObS99/23s22.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Lena Steiger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid‑Wilches (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Peter Zivić, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2023, GZ 8 Rs 53/23 g‑62, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00099.23S.0822.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

B e g r ü n d u n g :

[1] Der Kläger verfügt nach den Feststellungen über die Kenntnisse und Fähigkeiten eines angelernten Fleischers und erwarb in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag zumindest 90 Versicherungsmonate als Fleischer. Der Kläger legte die Prüfung zum Fleischhauer im Kosovo ab. In Österreich verfügt er über keinen Lehrabschluss als Fleischer. Aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen scheidet für den Kläger jegliche Tätigkeit als Fleischer aus. Er ist jedoch in der Lage, als Fachberater im Außendienst (Fleischereiprodukte) tätig zu sein. Hierfür wäre eine Zusatzausbildung im Ausmaß von einigen Monaten, jedenfalls aber von weniger als sechs Monaten nötig. Es gibt mehr als 100 solcher Stellen. Faktisch stehen dem Kläger jedoch derartige Positionen nicht offen, da dafür auf dem Arbeitsmarkt zumindest ein Lehrabschluss als Fleischer, vorzugsweise sogar ein Meisterbrief und/oder Zusatzausbildungen gewünscht werden.

[2] Mit Bescheid vom 25. 11. 2021 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 7. 7. 2021 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab, weil Invalidität weder dauerhaft noch vorübergehend vorliege.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension, hilfsweise eines Rehabilitationsgeldes im gesetzlichen Ausmaß, ab. Der Kläger sei trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage, nach einer zumutbaren Nachschulung eine am allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorkommende Verweisungstätigkeit als Fachberater für Fleischereiprodukte (Fachverkauf) auszuüben. Dass ihm dies faktisch nicht möglich sei, weil er gegenüber potentiellen Arbeitgebern mangels Lehrabschlusses bzw Meisterbriefs seine Fähigkeiten nicht nachweisen könne, betreffe eine Frage der Vermittelbarkeit und sei dem Risiko der Arbeitslosenversicherung, nicht aber jenem der Pensionsversicherung zuzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

[4] In seiner gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[5] 1.1 Der Kläger rügt in der Revision, dass die Frage der erforderlichen Dauer der Nachschulung nicht erörtert worden sei. Schon aus den Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen ergebe sich, dass die Nachschulung schon aufgrund des bisherigen Berufsverlaufs – und nicht bloß wegen des fehlenden Lehrabschlusses bzw Meisterbriefs – länger als sechs Monate gedauert hätte. Erheblich sei in diesem Zusammenhang die Frage, ob bei der Beurteilung der Nachschulungsdauer die dem angelernten Facharbeiter fehlende mehrjährige Lehrausbildung samt Lehrabschlusszeugnis fiktiv hinzuzudenken sei.

[6] 1.2 Mit diesen Ausführungen geht die Revision jedoch nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sodass die darin gelegene Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (RS0043603; RS0043312). Das Berufungsgericht hat die Beweisrüge, mit der der Kläger ua die Feststellung über die Nachschulungszeit angefochten hat, mit ausführlicher Begründung behandelt und als nicht berechtigt angesehen, sodass die in diesem Zusammenhang erkennbar geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt.

[7] 2.1 Der Revisionswerber bezeichnet weiters die Frage als erheblich, ob die fehlende Lehrausbildung und das fehlende Lehrabschlusszeugnis fiktiv hinzuzudenken seien, um seine Verweisbarkeit zu bejahen.

[8] 2.2 Dem kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil entscheidend für die Frage der Verweisbarkeit des Klägers allein die aufgrund des medizinischen Leistungskalküls getroffene Feststellung ist, in welchem Umfang er im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist bzw welche Tätigkeiten er noch ausführen kann (vgl RS0084399; RS0084398). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger nach diesen Kriterien auf die Tätigkeit eines Fachberaters im Außendienst verweisbar ist, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. In keinem Fall der Verweisung ist zu berücksichtigen, ob der Versicherte im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, weil für den Fall der Arbeitslosigkeit – worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat – die Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung besteht (RS0084833).

[9] 2.3 Der Gesetzgeber hat die Kompetenzbereiche von Unfall‑ und Pensionsversicherung einerseits und Arbeitslosenversicherung andererseits exklusiv festgelegt. In der Unfall‑ und Pensionsversicherung sind Leistungen zu erbringen, wenn die Fähigkeit zum Erwerb durch Umstände gemindert ist, die auf der persönlichen Eigenart des Menschen beruhen (RS0084347; 10 ObS 93/92 SSV‑NF 6/56). Sind andere Gründe als der Gesundheitszustand des Versicherten kausal für eine „verminderte“ Arbeitsfähigkeit (zB der Entzug des Führerscheins bei einem Berufskraftfahrer), begründet dies nicht Invalidität (vgl RS0084895). Fehlt es an der Invalidität wie im Fall des Klägers, weil er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und unter Berücksichtigung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch verweisbar ist, und findet er dort tatsächlich keinen Arbeitsplatz, weil potentielle Arbeitgeber das Vorhandensein eines Lehrabschlusses als Fleischer oder vorzugsweise eines Meisterbriefs wünschen, so gründet dieser Umstand nicht in der persönlichen Eigenart des Klägers (seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen) und fällt daher nicht in den Kompetenzbereich der Pensionsversicherung. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass infolge dieses Wunsches der Arbeitgeber die Vermittelbarkeit des Klägers fehlt, sodass die Kompetenz der Arbeitslosenversicherung eröffnet ist, zeigt der Revisionswerber nicht auf (vgl etwa den Fall der fehlenden Nachfrage nach Arbeit [RS0085056; RS0084347] oder den Fall, dass Arbeitsplätze üblicherweise nur mit schon in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmern besetzt werden [10 ObS 134/90 SSV‑NF 4/140; RS0084888]).

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